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Ausgabe:

1940

Spalte:

168-170

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Titel/Untertitel:

Procès-verbaux du Premier Congrès de Théologie Orthodoxe 1940

Rezensent:

Dibelius, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

168

„Kirche" aus l. Tim. 3, 1 ff. und Tit. 1,7 ff. schließen muß, daß
schon im N.T. der Obergang von der kollegialen zur monarchischen
Gestaltung des Bischofsamts geschehen sei, wird kaum allgemeine Zustimmung
finden. Bei der Entwicklung der Lehre von der Kirche hätte
bei den konservativen Theologen neben Löhe vor allem Vilmar genannt
werden müssen. Out orientierend der Artikel Bekennende Kirche
, wenn auch die Entwicklung über die damals bestehende Lage
schnell hinausgegangen Ist. Bei DEK hätte bei den vorbereitenden
Einigungsbestrebungen neben den behördlichen vor allem auch die des
Evang. Bundes genannt werden müssen. Bei Kirchenordnungen vermißt
man das, wenn auch kurze Eingehen auf die Kirchenordnungen
des 19. Jahrhunderts, da hätte die große Bedeutung der rhein.-westf.
K.O. von 1835 und ihre Einwirkungen auf andere K.-Ordnungen
hervorgehoben werden müssen; es ist doch einfach nicht wahr, wenn
manchmal behauptet wird, daß nur das konstitutionelle Vorbild der
staatlichen Entwicklung hier Pate gestanden habe. Wenn es bei
Lippe heißt: „Im Jahre 1934 hat die ganze Kirche ihren Anschluß
an die altpreußische Union vollzogen, und zwar an die Kirchenprovinz
Westfalen", so ist daran richtig, daß damals diesbezügliche Verhandlungen
stattgefunden haben, aber die dann folgende kirchliche Entwicklung
in Preußen hat es der Landessynode unmöglich gemacht,
dem Anschluß zuzustimmen, auch die Verhandlungen der lutherischen
Gemeinden zwecks Anschluß an die hannoversche lutherische Kirche
haben zu keinem Ergebnis geführt, sodaß die lippische Kirche nach
wie vor aus vier reformierten und einer kleinen lutherischen Klasse
besteht. Bei dem Aufsatz Mandäer hätte auf die zahlreichen Arbeiten
der neueren Zeit und die Parallelen zum Ev. Joh. hingewiesen werden
können. Die Marburger Fakultät ist etwas stiefmütterlich behandelt
, wie man überhaupt den theologischen Fakultäten eine ausführlichere
Behandlung gewünscht hätte. Es hätten Vilmar und seine
Gegner Ernst Henke und Heppe genannt werden müssen und um die
Jahrhundertwende neben W. Herrmann und Ad. Jülicher der prakt.
Theologe E. Chr. Achelis und von späteren, wenn man von lebenden
absehen will, Rudolf Otto trotz der besonderen Artikel bei ihrem
Namen. Der Mitarbeiter an der 1712 erschienenen Marburger Bibel
heißt nicht Schefer, sondern Scheffer, ein bekannter hessischer Familienname
. Bei Martin Lutherbund (lutherischer Ootteskasten) fehlt der
Hinweis darauf, daß er auch für lutherische Gemeinden in reformierten
Kirchengebieten (reformierte Diaspora!) Gaben gibt. Der bekannte
Gemeinschaftsführer Walter Michaelis war nicht 1908—1910 zum
zweiten Mal Pfarrer in Bielefeld, sondern 1908—1919. Bei dem im
übrigen sehr gut orientierenden Aufsatz über Fr. Nietzsche vermißt
man in einein Kirchenlexikon die Erwähnung seiner Stellung zum
A.T. und Judentum. Bei C. J. Nitzsch hätte erwähnt werden müssen,
wie groß sein persönlicher Einfluß auf seine Hörer war; so hat der
Vater Bodelschwingh als Student schwer unter dem Gegensatz Heng-
stenberg-Nitzsch gelitten. Ökumenische Bewegung: man vermißt wenigstens
eine Erwähnung der das gegenwärtige Deutsche Reich verurteilenden
Entschließung von Oxford im Jahr 1937. Neben dem
Orientalisten Justus Olshausen hätte der Erlanger Hermann Olshausen
eine kurze Würdigung verdient; denn der von ihm herausgegebene
Kommentar zum N.T., nach seinem Tode von Ebrard und Wiesinger
fortgesetzt, hat im vorigen Jahrhundert eine erhebliche Bedeutung gehabt
. Wenn es bei Ordination heißt, daß sie in Altpreußen durch den
Gen.-Sup. erfolgt, so stimmt das für die rhein.-westf. Kirche nicht, wo
sie dem Superintendenten zusteht. Bei den Osterbriefen wäre der
Hinweis darauf ganz interessant, daß in gewissem Sinne aus ihnen die
Osterprogramme unserer höheren Schulen mit ihren manchmal sehr
wertvollen wissenschaftlichen Abhandlungen hervorgegangen sind. Bei
Geschichte der Liebestätigkeit hätte auf die weithin unbekannte Tatsache
hingewiesen werden können, daß die ersten evangelischen Diakonissen
im lutherischen Stift Keppel im Siegerland, später reformiert
geworden, erwähnt werden. Vermißt wird ein besonderer Artikel über
Neapel, sind doch die dort von dem verstorbenen Leipziger Hans
Achelis ausgegrabenen und in verschiedenen Veröffentlichungen einem
größeren Kreis bekannt gewordenen Katakombenmalereien von erheblicher
Bedeutung, sie sollen den Übergang von der illustrierenden und
symbolisierenden kirchlichen Malerei zu den Heiligenbildern sein.

Deutlich tritt auch in diesen Lieferungen das Bestreben
hervor, gerecht zu urteilen, ohne doch in den Fehler
zu verfallen, über bedeutsame Persönlichkeiten von ihnen
besonders nahestehenden Männern die Artikel schreiben
zu lassen, wie das in andern Sammelwerken wohl der
Fall ist, sodaß dann eine so bunte und sich vielfach widersprechende
Darstellung entstehet, durch die man sich
schwer hindurchfindet. Dabei ist in unserm Lexikon im
ganzen eine durchaus einheitliche Linie gewahrt.

Halle a. S. Wilhelm U s e n e r

Beyer, Hei mann Wolfgang: Tausend Jahre deutscher Schicksalskampf
im Osten. Berlin: Verlag d. Evang. Bundes 1939. (19 S.)
gr. 8°. RM 0.40.

Der Leipziger Kirchenhistoriker hielt diesen Vortrag
auf der Generalversammlung des Ev. Bundes in Wien
unmittelbar vor Beginn des Polenfeldzugs. Er zeigt die
großen richtungbestimmten Schicksalsmotive der deutschen
Geschichte: die weltpolitische Spitze weist nach
Westen und Süden, aber der Mutterboden deutscher
Volkskraft liegt im Osten. Nur dort konnte das zusammengedrängte
Volk im Mittelalter den notwendigen Le-
j bensraum gewinnen. Mit dieser Aufgabe verband sich
I die andre, Schutz des Abendlandes gegen Asien zu sein.
Die ersten Kaiser, Karl und Otto, hatten die Aufgabe in
Angriff genommen; Fürsten und Bischöfe, Ritter und
Ritterorden, Bauern, Bürger und Mönche, das Volk in
j seiner Breite führte sie weiter. Rückschläge wie die
Niederlage von Tannenberg und der tschechisch-hussi-
tische Nationalismus wirkten bis in die jüngste Gegenwart
nach. Die religiösen Kräfte sind gerecht gewürdigt
: in der Ostsiedlung wirken Schwert, Pflug und
Kreuz miteinander. Die Ostsiedlung ist ohne Christianisierung
undenkbar, sie ist die Voraussetzung für die Einfügung
der unterworfenen Völker in den deutschen Lebensraum
. Die auf dem östlichen Kolonialboden entstandene
Reformation testigt das Deutschtum und grenzt es
schärfer gegen die Nichtdeutschen ab. Nachretormatori-
sche Zeit und Südostdeutschtum sind wohl allzuknapp
behandelt- Bringt die vorzüglich geschriebene großzügige
Überschau auch nichts Neues, so gibt sie einen starken
Eindruck von der Bedeutung des Gegenstandes.

Cilli Gerhard May

AI i vis atos, Prof. Hamilcar S.: Proces - Verbaux du Premier
Congres de Theologie Orthodoxe ä Athenes 29 Novembre —
6 D6cembre 1936. Athenes: Imprimerie „Pyrsos" 1939. (540 S.) 4°.

Die Orthodoxe Kirche des Ostens ist keine geschlossene
Einheit. Die „autokephalen" Kirchen stehen nebeneinander
(dabei bildet die bulgarische Kirche noch ein
besonderes Problem), die Stellung des Ökumenischen
Patriarchats bietet gewisse Schwierigkeiten, eine autoritative
Begegnung der Kirchen erscheint im Augenblick
noch unmöglich. Vollends ist nicht an die Einberufung
eines ökumenischen Konzils im Sinne der Alten Kirche
zu denken (das letzte fand im Jahr 787 statt!). Die Verhandlungen
darüber, die in dem vorliegenden Bande immerhin
40 Seiten einnehmen, muten den Außenstehenden
etwas doktrinär an; so wird z. B. ernsthaft erwogen,
welche „Irrtümer" römische Katholiken und Anglikaner
abzuschwören haben, wenn sie zu einem solchen Konzil
eingeladen werden wollen.. Da das Konzil unmöglich
und eine panorthodoxe Synode zur Zeit noch nicht möglich
erscheint, mußte die seit Jahren erwünschte Begegnung
unter den Orthodoxen sich auf dem Boden der
Theologie vollziehen. Dieser erste Kongreß orthodoxer
wissenschaftlicher Theologen fand nach langen Vorbereitungen
1936 statt, und jetzt, nach drei Jahren, ist der

| ausführliche Bericht darüber erschienen.

Wer die Verhandlungen dieses Kongresses sorgfältig
studiert, wird einen starken Eindruck erhalten von dem

I geistigen Leben, das sich heute in den orthodoxen Kirchen
regt. Es war schon ein kirchengeschichtliches Ereignis
, daß diese Lebendigkeit und Gelehrsamkeit nicht
nur auf Konferenzen der ökumenischen Bewegung hervortrat
, sondern sich auch einmal verband zu einer imponierenden
Selbstdarstellung. Jeder, der die orthodoxen
Kirchen der Gegenwart ein wenig kennt, weiß, wie viele
ausgezeichnete Gelehrte und ausgeprägte Persönlichkeiten
sich in den Fakultäten wie im Episkopat finden; und
wenn sonst das Fehlen der russischen Kirche im ökumenischen
Verband beklagt wird, so hat doch die russische
Theologie durch die Konzentration ihrer besten Kräfte
im Theologischen Institut in Paris sich eine besonders
geistesmächtige Vertretung geschaffen. Daß alle diese
Theologien sich nun zusammenfinden konnten, diese geschichtliche
Tatsache ist, so paradox es auch klingen
mag, der vom Westen ausgehenden ökumenischen Bewegung
zu verdanken. Sie hat die vorher fehlende regel-