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Ausgabe:

1940

Spalte:

166-167

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Titel/Untertitel:

Calwer Kirchenlexikon 1940

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

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Die ganze Gedankenführung M.'s zielt
darauf ab, für das Gebiet der ParaPsychologie
die Alternative von „a nim ist ii sehe r"
und „spiritistischer" Deutung durchzuführen
und diese Alternative durch empirisch-rationale Argumente
zu Gunsten der spiritistischen Deutung zur Entscheidung
zu bringen.

Dieses Unternehmen beruht zunächst auf einem
Sprachgebrauch, der der religionswissenschaftlichen Forschung
nicht gerecht wird, der z. B. den Unterschied von
Animismus und Animatismus unberücksichtigt läßt. Weiter
aber und vor allem ist die zu Grunde gelegte Alternative
unzureichend und deshalb irreführend.

Für die Gesamtheit der Fragen, die dem Grenzgebiet
von Psychologie, Psychiatrie, Metaphysik, Ethik
und Theologie angehören, darf ja die Instanz der
Religionspsychologie besondere Beachtung
beanspruchen. Für sie ergibt sich aber ohne Weiteres
eine dritte Deutungsmöglichkeit neben der animisti-
schen, d. h. nach dem Sprachgebrauch M.'s derjenigen
Deutung, die alle übernormalen Phänomene auf körpergebundene
Seelenkräfte zurückführt, und neben der spiritistischen
Deutung M.'s: eben die religionspsychologische
, d. h. diejenige, die in den übernormalen, okkulten
und mediumistischen Phänomenen wohl Hinweise auf die
Realität der religiösen Ewigkeitswelt und damit auf die
Wahrheit des religiösen Ewigkeitsglaubens sieht, ohne
sie aber gewaltsam in die Sphäre empirisch-rationaler
Beweisführung hineinzuziehen.

M.'s ganzes Unternehmen besteht in Versuchen der
zuletzt gekennzeichneten Art. Diese Versuche erweisen
sich aber der genaueren Nachprüfung als methodisch
nicht einwandfrei, da sie letztlich — trotz aller gewiß
ehrlich gemeinten Vorsichtsmaßregeln M.'s — auf einer
petitio prineipii beruhen, die das gewünschte Resultat
vorwegnimmt.

Unter diesen Versuchen gelten für M. als besonders
beweiskräftig die Argumente aus der Erscheinung Abgeschiedener
(Bd. 1, Kap. I mit den Ergänzungen der
Kap. II u. III), die Argumente aus den sog. Kreuzkarre-
spondenzen (Bd. II, Kap. IV, S. 104ff.) und die Argumente
aus der Vorwegnahme des Sterbens (Kap. VI).

Bei der ersten Gruppe ergeben sich außer den vorher
erhobenen grundsätzlichen Einwendungen im Einzelnen
noch Bedenken aus dem "Inhält der Kundgebungen.
Denn diese Kundgebungen betreffen in weitem Umfang
nichtige und gleichgültige Dinge. Aus diesem Grunde
kostet mich wenigstens die zusammenhängende Lektüre
der Ausführungen M.'s, so reizvoll sie im übrigen ist,
immer wieder beträchtliche Oberwindung.

Auf die „cross-correspondences" der zweiten Gruppe
hat die Gesellschaft für psychische Forschung eindringendste
Arbeit und mehrere Bände ihrer Veröffentlichungen
verwendet. Der in der deutschen Fachliteratur
üblich gewordene Ausdruck „Kreuzkorrespondenzen" ist
wenig glücklich; besser wäre „Querentsprechungen" oder
„Wechselbezüge". Es handelt sich in der Hauptsache
Um ein wechselseitiges sich-Ergänzen der durch verschiedene
Medien erfolgenden Äußerungen. Wie problematisch
dabei der in Frage stehende Sachverhalt ist, zeigt
der Umstand, daß sogar erste Autoritäten der Meta-
Psychik sich über das Wesen dieser „Kreuzkorrespondenzen
" nicht zu einigen vermochten.

Daß auch die Argumente der dritten Gruppe aus der
„Vorwegnähme" des Todes problematisch bleiben, belegt
gerade das im Schlußabschnitt von M. berichtete
»eigene Erlebnis" aus dem Jahre 1933. Denn alle für
die Beweisführung in Betracht kommenden Personen
sind im Voraus „Spiritisten". Und M. selbst muß vom
Standpunkt des Gegners aus darauf verweisen, die Deutung
des vorliegenden Falles dürfe nicht voraussetzen,
Was durch ihn bewiesen werden solle.

So kommen wir also zurück zu dem über alle Einzelfragen
übergreifenden und deshalb entscheidenden
Haupteinwand: die Alternative von „animistischer" und

J „spiritistischer" Deutung ist verfehlt und verhindert die
sachgemäße religionspsychologische Deutung.

Daß gleichwohl M.'s Werk äußerst lehrreich ist, soll
noch ausdrücklich betont werden. Über das frühere Buch
M.'s „Der jenseitige Mensch" (1925) hat Hans Driesch
! geurteilt, es sei für sein Gebiet ein Standardwerk. Dies
| Urteil gilt durchaus auch für das vorliegende Werk.

Nachtrag. Nach Absendung dieser Anzeige erhielt
ich den inzwischen erschienenen 3. Band; und bald
I darauf ist der Autor des Werkes heimgegangen.

Für den 3. Band mit dem angeblich endgültigen
(„vollzogenen") Beweise der spiritistischen Lehre und
I der Abwehr der Kritiker gilt nun aber in erhöhtem Maße
| die Notwendigkeit des Abstandes der eigenen Stellung-
j nähme. Ich werde deshalb den 3. Band später bespre-
I chen.

Berlin Georg Wobbermin

KIRCHENFRAGEN DER GEGENWART

Calw er Kirchenlexrkon. Kirchlich - theologisches Handwörterbuch.
In Verb, mit sachk. Mitarb. hisg. von Friedr. Keppler. 2 Bände.
Jeder Band 8 Lfgn. mit 9—10 Bog. Lex. 8°. je Lieferg. RM 2.50.
In der ThLZ. 1937, Nr. 21, S. 389ff. hatte Berichterstatter
die ersten 7 Lieferungen besprochen. Es liegen
jetzt die Lieferungen 8—11 zur Besprechung vor. Auf
die Anzeige der ersten 7 Lieferungen, die sich mit der
Anlage und Tendenz des ganzen Werkes beschäftigt, wird
hingewiesen. Es ist kaum nötig zu bemerken, daß die
anerkennende Würdigung der ersten Lieferungen auch
der Fortsetzung des Werkes gilt. Hervorzuheben sind
wieder die ausführlichen Behandlungen von manchen
systematischen Begriffen wie Leib und Seele, Offenbarung
, Kirche, Krieg, Kultur und Christentum, Mensch,
Liebe sowie die bei aller Knappheit gut orientierenden
kirchen- und dogmengeschichtlichen Aufsätze z. B. über
Katholizismus, Kierkegard, Kreuzzüge, Kulturkampf, Luther
, Luthertum in Deutschland und den andern Ländern
, Liberalismus (sehr objektiv urteilend), Messe, Methodismus
, Mystik mit gutem Überblick über die einzelnen
sehr verschiedenartigen Formen und treffender Kritik
, Oxfordgruppenbewegung, Papst und Papsttum mit
Verzeichnis sämtlicher Päpste und ihrer Regierunggszei-
ten. Besonders ausführlich wieder die Artikel zu°Mis-
sion, nicht nur in den dazu gehörenden Artikeln, sondern
auch bei den einzelnen Ländern. Daneben wieder
wertvolle Beiträge über Persönlichkeiten, die für das
Geistesleben und politische Leben Bedeutung haben wie
Karl Marx, Wilhelm Marx, Krieck, Leibniz, Materialismus
, Monistenbund, Ostwald, Okkultismus. Ausführlich
sind Mythus, Nationalsozialismus, Nationalkirchliche Bewegung
in Deutschland behandelt. Aus der praktischen
Theologie greife ich heraus Liturgie, Kirchliches Minder-
| heitenrecht sowie die erfreulich nüchterne Beurteilung
des Offenhaltens der Kirchen. Der ausführliche Beitrag
I über Kirchenbau empfängt durch die Bildertateln am
| Ende des ersten Bandes eine wertvolle Ergänzung. Sehr
gut der Aufsatz über Maria in der kirchlichen Kunst.

Nun einige Einzelheiten bezw. Korrekturen und Ergänzungen.
Bei dem sonst vortrefflichen Aufsatz über Hecht der religiösen Kinder-
| erziehung fehlt der Hinweis darauf, daß nach dem neueren, in Deutsch-
! land geltenden Recht in glaubensverschiedenen Ehen der überlebende
I Teil der Eltern, dem die Sorge für das Kind zusteht, unter gewissen
i Einschränkungen das Recht hat, die konfessionelle Erziehung der Kin-
I der anders zu bestimmen wie bisher. Bei Konfessionswechsel hätte auf
| die häufig vorgenommene, ärgerliche Wiedertaufe von Evangelischen
j beim Eintritt in die röm.-kath. Kirche hingewiesen werden müssen.

Bei Konkordat vermisse ich die Erwähnung der wertvollen Veroffent-
j lichungen von Dr. Ohlemüller. Bei Kreuz wäre der Hinweis auf die
! bedeutsame Schrift von Joh. Reil, Christus am Kreuz in der Bildkunst
der Karolingerzeit, Verlag Döltrich Leipzig angebracht gewesen. Bei
Joh. Lepsius hätte seine im Auftrag des Auswärtigen Amts herausgegebene
Aktenveröffentlichung über die grausame Behandlung der
Armenier durch die Türken im Weltkrieg und die Versuche der deutschen
Regierung, sie zu lindern, genannt werden müssen, üb man bei