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Ausgabe:

1940

Spalte:

164-166

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mattiesen, Dr. Emil

Titel/Untertitel:

Das persönliche Überleben des Todes 1940

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Theologische Litcraturzeitung 1940 Nr. 5/6

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nungen gibt, wird nicht weiter erörtert. Offenbar schwebt
dem Verf. ein stufenweiser Erkenntnisweg vor und schon
an diesem Aufbau wird deutlich, daß man als Motto über
das Buch den thom istischen Satz setzen könnte: gratia
naturam non tollit, sed perffcit. Reformatorischem Denken
dürfte das sowenig entsprechen wie dem biblischen.

Im ersten Teil stellt der Verf. das „Bild" des Gottesreiches
, wie es sich in der Bibel „abgeprägt" hat und im
Dogma, im Kirchenlied und schließlich in der „christlichen
Weltanschauung" oder im „christlichen Weltbild"
erweitert und fortgeführt ist, von der Schöpfung bis zur
neuen Welt dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild
gegenüber, das alles Sein in Vorgänge innerhalb
einer vierdimensionalen Mannigfaltigkeit auflöst. Diese
Bilder, die der Deutung bedürfen, sind nicht mit der
Wirklichkeit zu verwechseln, von der sie bestenfalls nur
einen Teil wiedergeben. Wenn also diese beiden Bilder
zur Zeit völlig beziehungslos nebeneinanderstehen, so
darf daraus nicht auf ein Nebeneinander von Naturreich
und Gottesreich geschlossen werden. Der Zusammenhang
wird aber schon auf der Stufe des Erlebnisses
offenbar. Das Naturerlebnis bat sich ausgedrückt in Mythen
, Sagen und Märchen, so wie das Gotteserlebnis in
Dogma, Lied und prophetischer Predigt. Im Naturerlebnis
steht die Natur uns nicht mehr als Objekt gegenüber
, sondern sie ist es, in die wir hineingeschaffen sind,
sodaß alle ihre Kräfte durch uns hindurchgehen. Das
Wissen um unsern Wesenszusammenhang mit der übrigen
Kreatur ist der Inhalt der „natürlichen Offenbarung
". Allerdings sucht der Mensch sich durch Magie
und Technik von der Verstocktheit in die Natur loszureißen
und zum Herrn der Natur zu machen, ein Versuch
, der den Menschen infolge seiner Schuld und Selbstsucht
der dämonischen Naturgewalt versklavt. Die Natur
macht so wie die Geschichte die Schuld zum Schicksal.
Und doch liegt der Ursprung der Naturdämonie in un-
serm Herzen, das der Kern des Geschehens, auch des
Naturgeschehens ist. Der Makrokosmos ist das Gegenbild
des Mikroskosmos. Wo es aber um Schuld und
Schicksal geht, ist der Zusammenhang mit dem Gottesreich
gegeben. Denn es ist die Befreiung von der Dämonie
des Herzens und der Naturgewalten durch das Erlebnis
der Gotteswirklichkeit. „Das Widerfahrnis der Naturwirklichkeit
ist Gleichnis und Teilerlebnis für das Widerfahrnis
der Gotteswirklichkeit" (S. 79), die Natur
Werkzeug von Gottes Gericht und Gnade, ja das Gottesreich
besteht nicht außerhalb der Naturreiche, sondern
„beherrscht ihr ganzes Gebiet", sie sind „ein Teil von
ihm" (S. 78). Von da aus wird auf der Stufe des Glaubens
und Erkennens Jesus verständlich, der ohne Magie
und Technik der Herr der Natur und als Heiland der
Menschen „der Heiland der Natur" (S. 83) ist. Die
Wunderheilungen sind nur „Symptome um die inneren
Vorgänge" (S. 90), die als Verwandlung der Herzen
durch Jesu rätselhafte, der Natur vergleichbare Gewalt
zwischen ihm und den Menschen sich abspielten. Indem
so die Natur als Außenseite innerer Vorgänge in das
Gottesgeschehen miteinbezogen ist, erweist sie sich als
Gottes gute Schöpfung. Nur durch uns Menschen kommt
der Dämon in die Natur. Wenn der Verf. die Nichtigkeit
und Angst der Naitur nur als „Geburtswehen zur Neuen
Schöpfung" (S. 99), den grausamen Daseinskampf in
der Natur als dem ursprünglichen Schöpferwillen entsprechende
„Naturnotwendigkeiten" (S. 101) verstehen
will, also einen objektiven um des Menschen willen auf
der Natur liegenden Fluch nicht anerkennt, so wird er
damit dem biblischen Zeugnis (1. Mos. 3,17—19; 5,29;
Rom. 8,20) schwerlich gerecht. Er sieht richtig, daß
zwischen Natur und Gottesreich kein Nebeneinander bestehen
kann, da die Natur Gottes gute Schöpfung ist
una bleibt, der die Verheißung der Gottesherrschaift gegeben
ist. Und doch gehört die Natur in ihrer jetzigen
Gegebenheit zu dem Fleisch und Blut, das Gottes Reich
nicht ererben wird (1. Cor. 15,36—38. 50; 6,13). Die
Neuschöpfung der Natur geht durch ihre Vernichtung

hindurch. Jene von R. behauptete Kontinuität von Naturreich
und Gottesreich ist unbiblisch1, ebenso wie nach
| biblischem Zeugnis die Natur ihre Gleiebnisfähigkeit
i nicht in sich trägt, sondern sie durch die Offenbarung
| des hl. Geistes für die Erwählten empfängt (Matth,
j 13,11). Das rechte Verständnis der Natur gewinnen
wir eben nicht durch eine „christliche Tiefenschaiu" aus
I dem Erleben Gottes in Christus (S. 108), die jenseits
des Gegensatzes von Glauben und Wissen steht (S. 107),
J sondern aus der Offenbarung der eschatologischen Ver-
! heißung. Jene Tiefenschaiu kann nur zu einem theologi-
' sehen Naturalismus führen, der bei R. nicht ganz fehlt,
j z. B. in dem Satz: „Die Rechtfertigung des Sünders ist
j das Genesen des Kranken, dem der Arzt schon heute
j sagt: Du bist gesund, denn du wirst gesund" (S. 117).
I Die göttliche Rechtfertigung sagt gerade umgekehrt:
! Weil du um Christi willen ails Sünder doch gerecht bist,
I darum wirst du gerecht. Ebenso liegt es in der
Linie eines theologischen Naturalismus, wenn R. behauptet
, daß das ärztliche und staatliche Bemühen um
{ Reinigung der Schöpfung von Krankheit sich „durch
j Ernst, Reinheit und Güte" als „Gottesdienst" (S. 108)
j ausweisen könnte. Diese Bedenken schließen nicht aus,
daß das Buch viel feine und tiefe Gedanken und Anregungen
enthält.
| Memel Werner W i e s n c r

Mattiesen, Dr. Emil: Das persönliche Überleben des Todes.

Eine Darstellung der Erfahrungsbeweise. 2 Bände. Berlin: W. de
Oruyter & Co. 1936. (Oes. Umfang XL, 894 S.) gr. 8°.

Jeder Band geb. RM 9.80.

Die Anzeige dieses großen und bedeutsamen Werkes
habe ich aus doppeltem Grunde nicht so schnell erledi-

! gen können, wie ich selbst gewünscht hätte. Erstlich
verlangte der Umfang des Werkes mit der gewaltigen
in ihm verarbeiteten ausländischen Literatur sorgfältigste
Prüfung, die wiederholte Lektüre erforderte. Und
erst recht nötigte die innere Schwierigkeit und Kompliziertheit
der ganzen Problematik zu einem gewissen Ah-

] stand für die eigene Stellungnahme.

Bei dieser eigenen Stellungnahme befinde ich mich
nun in der eigentümlichen Lage, mit weitgehender
Zustimmung und Anerkennung doch
schärfste Ablehnung verbinden zu müssen.

Zur Begründung dieser Paradoxie beginne ich mit
einer persönlichen Erinnerung. Das Gesamtgebiet der
Parapsychologie hat mich erstmalig vor 30 Jahren ein-

j gehend beschäftigt, damals im Anschluß an die persönlichen
Unterhaltungen mit William James bei dem Besuch
der Harvard-Universität im Anschluß an die deutsche
Ausgabe seiner Varieties („Die religiöse Erfahrung
in ihrer Mannigfaltigkeit"). Weiterhin habe ich mich
dann stetig auf dem Lautenden zu halten bemüht. Aber
M.'s Kenntnis der einschlägigen Literatur — namentlich

I der Veröffentlichungen (Proceedings) der englischen

| „Gesellschaft für psychische Forschung" (Society for
Psychical Research) und ihrer amerikanischen Tochtergesellschaften
— ist überwältigend.

Die weitgehende Zustimmung meines oben genannten
paradoxen Urteils bezieht sich in negativer Hin
sieht auf die Ablehnung alles materialistisch-naturalistischer
. Denkens, in positiver Hinsicht auf den Ewigkeits-

| glauben, der in den Gedankengängen des Verfassers
zum Ausdruck kommt. Die in jenem Urteil ausgespro-

| ebene Anerkennung gilt neben der umfassendien Li-

! teratur-Kenntnis dem starken Willen zu wissenschaftlich-

| methodischer Arbeitsweise. Die Ablehnung aber betrifft
den Versuch, den religiösen und speziell den christlichen
Ewigkeitsglauben empirisch-rational „beweisen"
zu wollen, sie betrifft damit den „Spiritismus" M.'s-
Hier fehlt bei M. die klare Unterscheidung zwischen religiöser
Glaubensüberzeugung und rationaler Erkenntnis,

j die ebenso für kritisches Denken wie für den religiösen
Glauben unerläßlich ist, am allermeisten für den Glauben
im neutestamentlich-reformatorischen Sinne.