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Ausgabe:

1940

Spalte:

158-160

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Scott, Percy

Titel/Untertitel:

John Wesleys Lehre von der Heiligung 1940

Rezensent:

Stumpff, Albrecht

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157

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

158

Calvinist Lampadius dagegen eingewandt hat: es gehe nicht darum,
wie Christus das Brot sieht, sondern ob sein Leib in, unter und mit
dem Brote ist. Die Lutheraner sind auf N.s Ubiquilätslehre nicht
weiter eingegangen.

N.s Lehre über den Inhalt des dritten Glaubensartikels — Wiedergeburt
(bei N. im Sinne von ordo salutis), unio mystica und ewiges
Leben — behandelt Lindström im 5. Kapitel, wo er sich ausführlich
mit Koepp und Eiert, auseinander setzt. Entgegen der lutherischen
Orthodoxie ist für N. der Glaube nur ein schwacher Ersatz für
die eigentlich nötige Liebe, aber doch stark genug, um Christus in
den Gläubigen hinabzuziehen. Christus kommt — wie es N. mit vielen
Zitaten aus Luthers großer Gal.-Vorlesung beschreibt, selbst zum
Menschen und nimmt erneuernd in ihm Wohnung. Aber „trotz aller
scheinbaren Gleichheit mit Luthers Zeichnung des neuen Lebens,
trotz der Betonung der Freiwilligkeit und Spontaneität der Liebe besteht
dabei der Grundunterschicd zwischen N. und dem Reformator,
daß bei ersterem Gott als das Ziel alles Dichten und Trachten des
Menschen auf sich richtet, während beim letzteren Gott nicht die causa
finalis, sondern efficiens der Liebe ist. ... Im einen Falle wird
die Lebensform des Menschen beibehalten, indem das Begehren immer
weiter die treibende Kraft ist, wenn auch die Rangordnung der begehrten
Gegenstände sich erweitert. Im andern Fall geschieht ein radikaler
Bruch mit der Einstellung des alten Menschen, indem das Leben
seine Struktur ganz ändert" (S. 283 f.). — N.s unio-Lehre (der
Ausdruck „unio mystica" kommt im Luthertum zuerst bei ihm vor)
ist untrennbar mit seinem Liebesgedanken verbunden, also von dem
Luthers verschieden, und dieser Liebesgedanke ist wiederum der Orthodoxie
fremd geblieben (S. 298). — Das ewige Leben ist nach N.
dasselbe wie das Leben im Urständ, nur ohne die Möglichkeit des
Falles: Gott wohnt durch Liebe und Gegenliebe in den Menschen.
Dieses ewige Leben beginnt schon auf Erden, vervollkommnet sich
aber in der Ewigkeit. „Die Sehnsucht des Menschen, die bei nichts
Zeitlichem Ruhe finden kann, da alles Weltliche nur endlich gut ist,
■erlangt hier ihre Befriedigung in dem ungehinderten Genuß des höchsten
, absoluten und allumfassenden ewigen Gutes" (S. 303). Diese
Liebeseinheit ist freilich keineswegs „gedacht als .akosmistisches' Aufgehen
in einer die Individualitäten auslöschenden neutralen Göttlichkeit
" (S. 313). „Die Seligen weilen dann auf der neuen Erde, wo
es ein neues Europa, ein neues Asien usw. gibt. . . . Ein Unterschied
von Nationen, Völker™ und Stämmen wird bestehen bleiben. . . .
Unter dem Haupt Christus werden Deutsche, Italiener, Franzosen,
Schweden usw. zusammen sein, je für sich gruppiert. . . . Die jetzt
herrschende Rassenmischung wird aufhören, da ein jeder . . . dem
Volk zugehören wird, von dem er auf väterlicher Seite herstammt.
Wenn solche Abstammung jetzt, trotz aller Historiker und Geschlcchts-
forscher, im Dunkel liegt, wird sie dort klar sein" (S. 31 lf.). —
Lindströms Endurteil über N.s Lehre lautet: „Wir stehen vor einer
Synthese in echtem Sinne, wo Eros und Agape in eine „höhere" Einheit
eingegangen sind. Wir haben früher betont, daß die Erneuerung
des christlichen Liebesgedankens durch Luther deutliche Spuren in
diesem System hinterlassen hat, besonders in dem mutigen Festhalten
an Gottes Herabsteigen. In diesem Zusammenhang hat ja N.s Ubi-
quitätslehrc ihren systematischen Ort. Aber es ist nur natürlich, daß
sie zuletzt der Luther ganz fremden Art von Liebesgemeinschaft zwischen
Gott und Mensch dienen muß, die für N. der Höhepunkt des
Gottesverhältnisses ist. Die Liebe im Sinn der Mystik mit ihrer berauschenden
unio, die der Hamburger Pastor sicher nicht aus Erfahrung
kannte, hat seinem frommen Denken Konsequenz und den geistigen
Genuß großer Linien verliehen, und durch diese Gabe hat sie
sich die Macht angemaßt, die Grundstruktur der Anschauung zu bestimmen
" (S. 313).

Lindströms fleißige Erstlingsarbeit fußt auf ausgedehnten
Quellenstudien und teilt aus den doch nicht jedermann
zugänglichen Texten reichliche Belege mit. Ihre
Bedeutung für die Dogmengeschichte liegt nicht nur darin
, daß sie uns Philipp Nicolai in dem theologiegeschichtlichen
Zusammenhang zeigt, aus dem heraus er
erst recht beurteilt werden kann, sondern darüber hinaus
noch darin, daß sie weiter zu untersuchen anregt, wie
Melanchthon und geistesverwandte Männer das Erbe Luthers
verwandelt haben. Für den Systematiker aber bedeutet
N.s Versuch, das Christentum als Religion der
Liebe zu deuten, die ernste Warnung, Gottes Liebe nicht
mit menschlicher Neigung zu verwechseln.

Münster F.. Haenchen

L i n d s t r ö m, Dozent Dr. theol. Martin : Philipp Nicolais Verständnis
des Christentums. Gütersloh: C. Bertelsmann 1939. (VIII,
299 S.) gr. 8° = Beitr. z. Förd. christl. Theol., 2. Reihe: Samml.
wiss. Monogr. 40. Bd. RM 1°—; g«b- RM 12~•

Das zuvor angezeigte Buch Lindströms hat nun der
Verlag Bertelsmann in einer guten deutschen Übersetzung

herausgebracht. Nicolais Tätigkeit in Köln (S. 12ff.) ist
hier noch genauer dargestellt, O. Dittrichs „Geschichte
der Ethik", Band IV und H. E. Webers „Reformation,
Orthodoxie und Rationalismus", 1. Teil, in den Anmerkungen
berücksichtigt.

S. 51, Z. 13 v. o. lies „Heilkunde".
Münster i. W. Ernst Haenchen

Scott, I.ic. Percy, B. D.: John Wesleys Lehre von der Heiligung

verglichen mit einem lutherisch-pietistischen Beispiel. Mit einem
Geleitwort von Prof. D. Dr. H. Frick, D. D. Berlin: Töpelmann
| 1939. (XII, 97 S.) gr. 8° = Stud. z. Geschichte d. neueren Protestantismus
, hrsg. von H. Hoffmann und L. Zscharnack. 17. Band.

RM 5.50.

Das Buch ist getragen von dem „tiefen Verlangen,
daß diese beiden großen protestantischen Gemeinschaften
, Luthertum und Methodismus, in gegenseitigen Bemühungen
dahin kommen möchten, sich künftig ein gut
Teil besser zu verstehen als das in der Vergangenheit der
Fall war" (S. 2). Da Luther und Wesley in der Lehre
von der Heiligung offenbar nicht übereinstimmen, will
der Vf. die Wesley'sche Auffassung dieses Lehrstücks
darbieten, um nachher den Vergleich mit der lutherischen
Seite zu führen. So wird in einem ersten Teil aufgezeigt
, daß unter Heiligung bei Wesley „ein Vorgang"
zu verstehen sei, „durch den der Gläubige allmählich der
Sünde abstirbt und in der Gnade wächst" (S. 11). „Das
Evangelium bietet uns die Möglichkeit dieses Wachstums
an, sie zu verweigern ist Sünde. In dieser Lehre
liegt der Schlüssel zur Erfassung des Wesens der Me-
thodistemkirche" (S. 7), denn sie betrachtet es als ihre
„Hauptarbeit", die einmal Bekehrten im Glauben zu fördern
(S. 12). Das Ziel der Heiligung ist „vollkommene
Liebe"; „hier ist der Gegensatz zwischen Luther und
Wesley am deutlichsten. Die Lehre vom Glauben nimmt
für Luther die Stellung ein, die die Lehre von der Liebe
für Wesley hat" (S. 15).

Wie sieht solche „Heiligung" mit dem Ziel der „vollkommenen
Liebe" praktisch aus? Sie verwirklicht sich
in zwei Stufen; Wesley redet gern von „Kindlein" und
„Vätern". Vf. gliedert seine Darstellung dementsprechend
und beschreibt zuerst die erste Stufe; das neue Leben
mit seinen Kennzeichen Gerechtigkeit, Friede und
Freude; dann die Heilsgewißheit, die als „der grundlegende
Beitrag des Methodismus zum Leben und Denken
der Kirche" (S. 24) bezeichnet wird; endlich wird
die Frage der „Sünde bei den Gläubigen" erörtert. Dann
folgt die Beschreibung der zweiten Stufe, der „Vollkommenen
", und — sehr instruktiv — eng damit verbunden
ein Kapitel über die Gemeinschaft.

Die ganze Darstellung erfolgt unter dem Gesichtspunkt
des Vergleichs zwischen Wesley und Luther, wobei
sich Vf. im wesentlichen an Köberle's Buch über Rechtfertigung
und Heiligung als typisch vom Luthertum herkommende
Darstellung des Problems hält. Eine ausdrückliche
Auseinandersetzung mit Köberle erfolgt im
Schlu'ßteil des Buchs (S. 71 ff.) unter den Überschriften:
Das neue Leben. Die Lehre von der Sünde- Der Begriff
Wachstum. Die Gemeinschaft.

Der eigentliche Unterschied zwischen Luthertum und
I Methodismus kommt in den verschiedenen Teilen des
Buchs immer wieder heraus. Vor allem in der Sün-
I den lehre, — ihr ist anhangsweise ein verdienstvolles
J besonderes Kapitel gewidmet (S. 65 ff.). Zwar verlang-
I te Wesley von seinen Predigern die Anerkennung der
I Erbsündenlehre. Aber er unterschied zwischen äußeren
I und inneren Sünden, er erklärte, daß die äußeren, gro-
[ ben, das göttliche Gebot übertretenden Handlungen von
j bekehrten Christen nicht mehr begangen werden (S. 66),
und sonderte auch von den inneren Sünden noch „Fehler
" aus, die der Mensch unwissend oder unfreiwillig,
j insbesondere wegen seiner begrenzten Veranlagung, begeht
. Wirkliche Sünde ist wesentlich bestimmt durch
das Moment der Freiwilligkeit (S. 68); alles andere trägt
, keinen Schuld-Charakter. Wesley „glaubt, daß Gottes