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Ausgabe:

1940

Spalte:

155-157

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lindström, Martin

Titel/Untertitel:

Philipp Nicolais Verständnis des Christentums 1940

Rezensent:

Haenchen, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6 156

lysiert Thomas Stellung zu Kunst und Leben, dann sein Verhältnis zu
Christus und endlich die gegenseitige Verschlingung beider Beziehungen
; das Ergebnis lautet: „Thomas Christentum ist eine wirkende
Kraft, weil es ganz aus dem Leben geboren und in die Tat umgesetzt
wurde" (S. 116). Von Philosophie scheint Schw. eine etwas sonderbare
Vorstellung zu haben, sonst würde er seine mehrfache Polemik
gegen Philosophie und „Philosophiegeschichte" gerade angesichts
Thomas wohl selbst als fehl am Platze empfinden.

Königsberg (Pr.) Hans Schlemmer

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Lind ström, Martin: Philipp Nicolais Kristendomstolkning.

Stockholm: Svenska Kyrkans Diakonistyrelses Bokförlag [1937J.
(331 S.) gr. 8°.

Anders Nygrens großes Werk über den christlichen
Liebesgedanken und Ragnar Brings Buch über Glauben
und Werke haben zusammen die Schrift über „Philipp
Nicolais Christentumsdeutung" gefördert, welche Nygrens
Schüler M. Lindström 1937 als Licentiaten-Ab-
handlung vorgelegt hat- Nicolai (im folgenden abgekürzt
: N.) ist überall bekannt als Dichter der Lieder
„Wie schön leuchtet der Morgenstern" und „Wachet auf,
ruft uns die Stimme"; sein erbitterter Kampf gegen den
Calvinismus und seine„erotische Mystik" werden allenfalls
noch erwähnt. Aber wie er zu der eigentümlichen
Verbindung lutherischer Rechtgläubigkeit mit einem Luther
ganz fremden Liebesgedanken gekommen ist, hat
erst Lindström deutlich gemacht. N-, dessen Leben und
Schriftstellerei im 1. Kapitel („Biographische Orientierung
", S. 11—52) dargestellt wird, hat als Schüler und
Student eine von Melanchthon zurechtgemachte aristotelische
Psychologie und Ethik kennen gelernt- Was das
bedeutete, geht aus Kap. 2 („Das Erbe aus der antiken
Philosophie"), Abschnitt 2 (S. 58—72) hervor, wo Me-
lanchthons Willenslehre nach seinem liber de anima
von 1553 wiedergegeben wird. Wie sich jedes Begehren
auf das richtet, was als Lust bringend erkannt wird,' so
auch das höchste, der Wille. Eigentlich sollte er seine
Erfüllung und Ruhe in Gott finden; aber nach dem Fall
wird nur das endliche Gut begehrt. Erst im Licht des
Evangeliums kann Gott wieder unser Strebeziel werden.
Hier wird deutlich die Gottesliebe als Eros verstanden,
als Streben nach dem Glück, in dem der Mensch endgültig
zur Ruhe kommt. Diese Voraussetzungen wurden
für N. bedeutsam, als er — bereits angeregt durch
pseudo-augustinische Schriften — in der Zeit, wo er seinen
„Freudenspiegel des ewigen Lebens" verfaßte, Bekanntschaft
machte mit dem Buch des spanischen Humanisten
Luis Vives, „de veritate fidei christianae", dessen
Inhalt der zweite Abschnitt des 2. Kapitels (S. 73—87)
umreißt. Auch hier wird die Liebe zu Gott als Begehren
nach dem höchsten Glück, als Eros, aufgefaßt; ja
selbst Gottes eigene Liebe erscheint nicht anders. „Das
Dasein wird bewertet nach einer Skala von Zielen, von
denen jedes niedere Mittel ist zur Erreichung dies höchsten
'Zieles. Und nach dieser Wertskala, nach der „Liebenswürdigkeit
" des Gegenstandes, richtet sich alle Liebe
, auch die Gottes, die als ein Begehren gefaßt werden
kann, ohne daß Gottes Selbstgenügsamkeit und Seligkeit
aufgegeben wird, da sie auf Gott selbst, das höchste
Gut, gerichtet sein muß. Gott liebt das Geschaffene in
dem Maß, als er darin sein eigenes Bild sieht" (S. 88).
Auch die Menschwerdung Gottes und Christi Werk werden
von Vives unter diesem Gesichtspunkt gesehen. In
dieser Auffassung der christlichen Botschaft, die N. hier
entgegentrat, wurde er noch bestärkt durch seine Beschäftigung
mit der Schrift „De una persona et duabus

naturis Christi" des Tübinger Philosophen lakobSchegk, frisch sein und vor scinem inneren Al^,u das Kanze detaillierte Bild der

in der Analogie mit Form-Materie hervor, die den aristotelischen
Erosgedanken enthält. . . . Der Gottesbegriff
hat einen großen Teil seines entscheidenden Inhalts von
den Griechen. Die selige Selbstgenügsamkeit, Unabhängigkeit
, Bedürfnis- und Affektlosigkeit gehören unerschütterlich
zur Definition des Göttlichen. Es ist bezeichnend
genug, daß der Logos möglichst außerhalb
des Inkarnationsgeschehens gestellt wird. Der Gedanke,
daß sich Christus im Himmel von Ort zu Ort bewegen
sollte, wird mit der Begründung abgelehnt, daß er sich
selbst völlig genug ist und nichts außerhalb seiner zu
suchen braucht, das in seiner Seligkeit fehlen sollte. Also
hat er keine Ursache, sieh zu bewegen" (S. 111)!

Die Theologie, welche N. unter diesen Einflüssen
neben denen der Orthodoxie entwickelte, ist das 3. bis
5. Kapitel (S. 114—314) gewidmet, die nach dem Schema
der drei Glaubensartikel von „Gott, Welt und
Mensch" (Kap. 3; S. 114—161), „Christi Person und
Werk" (Kap. 4; S. 162—250) und dem „Heil in der
Welt des Glaubens und des Schauens" (Kap. 5; S. 2bl
bis 314) handeln. Hier wird deutlich, daß der Same dos
griechischen Erosbegriffes reichlich autgegangen ist.

Auch Gottes Liebe ist ein Begehren, das in der Vereinigung mit
dem Geliehen ausruhen will. Freilich: Liebe kommt erst in der Gegenliebe
des Geliebten zur Ruhe. Darum zeugt Gott von Ewigkeit
den Sohn, der als ewige Liebe des Vaters Sehnsucht beantworten
kann. Aber Liebe will sich weiter ausbreiten, will ihr Abbild hervorbringen
. Deshalb schafft Gott den Menschen mit dem Verlangen nach,
dem höchsten Gut, der Liebe, in der sein Sehnen zur Ruhe kommen
soll. So taucht bei N. im Rahmen des Erosgedankens, der sonst nur
eine zum höchsten Gut, zu Gott, aufsteigend« begehrende Liebe kennt,
auch eine herabsteigende Liebe auf, eben die Gottes, ohne dali dadurch
jener Rahmen gesprengt wird. Lindstrüni bestreitet nicht, dali auch
Züge der Agape in das Bild dieser Liebe hineingewoben sind; aber
das Eroshafte in Gottes Verlangen nach menschlicher Gegenliebe überwiegt
doch so, daß Gottes Heiligkeit dadurch bedroht wird. Gottes
Reaktion gegen die Sünde versteht N. fast als Eifersucht. „Die
Majestät der Heiligkeit und Gerechtigkeit wird zu einem subjektiven
Interesse degradiert. . . . Das Glückshegehren des natürlichen Menschen
fällt, recht verstanden, ganz und gar mit Gottes Willen zusammen
' (S. 157). Gottes und des Menschen Begehren sollen zur
gemeinsamen Befriedigung konvergieren — so kennzeichnet Lindström
N.s Lehre über den ersten Artikel.

Was N. über Christi Person und Werk sagt, wird auf dem Hintergrund
der Christologie von Brenz, Schegk, Chemntiz, Hunnius und
Hafenreffer wiedergegeben. Gott ist unendliche Liebe; der Mensch
soll auf diese Liebe antworten und so ein Ruheplatz für Gott sein, ein
Tempel seiner Sabbatsruhe. Dali die Gottheit bei der Menschwerdung
ganz in der menschlichen Natur Raum findet, ist nach N. nur ein
„gesteigerter Sonderfall dessen, was allgemein gilt" (S. 237). N.
verliert sich in „abenteuerliche Erosspekulationeii. Beide, die göttliche
und die menschliche Natur, werden von Sehnsucht nach einander beherrscht
" (S. 238). Daß die menschliche Natur zur Teilnahme an
der göttlichen Majestät erhöht werden kann, ohne ihre Menschlichkeit
zu verlieren, wird von N. nur zu verständlich gemacht! Wenn die mit
Gott vereinten Christen nach der Schrift göttliche Taten ausführen,
dann muß auch Jesus, der mit Gott zu einer Person vereinte, göttliche
Taten tun und wahrer Mensch sein können — das läßt sich a minore
ad maius erschließen. — Die von N. mit den Begriffen Idiopoiia, Me-
tapoiia und Koinopoiia entwickelte Lehre von der communicatio idio-
matum tritt an Besonderheit weit hinter seinem Versuch zurück, die
Allgegenwart der menschlichen Natur Christi im Sakrament zu erklären
. Die Calvinisten haben N.s Ubiquitätslehre phantastisch genannt
. Wie kann Christi menschliche Natur endlich, räumlich umschrieben
sein und doch allgegenwärtig? Gott, die unendliche Liebe,
hat in sich das unräumliche Licht der Allwissenheit und Allgüte. Vor
diesem Licht ist alle Zeit in einem unteilbaren Gegenwartsaugenblick,
aller Raum in einem mathematischen Punkt konzentriert. Raum und
Zeit hindern die göttliche Allgegenwart nicht. Auf dieser Allgegenwart
baut sich Gottes Allwirksamkeit auf. Ist nun der Logos Mensch
geworden, so existiert die ganze Welt, mitsamt seinem eigenen menschlichen
Leib, unräumlich im verborgenen Licht der Gottheit. Wie ein
gelehrter Geograph, auch wenn sein Leib krank wird, doch geistig

die der in der scholastischen Theologie wohl Bewanderte ! Erdf und, ih™ IUndcr- .df* er sic1.1 fr"h" ™.ben> kann, so

auf Brenzens Veranlassung als Gutachten für die Ubi- ^dFT deo£L?t .iiSÄS?

•i- i. 1 L j w/" ij. u » „, r. o 4i_ des Fleisches berührt (S. 187). So ist die uottheit allgegenwärtig',

quitatslehre der Wurttemberger verfaßte. Der 3. Ab- i Da aber dic FÜUe tler v0oUhc'it ln Chri»tus leibhaftig wohnt, muß -

schnitt des 2. Kapitels (S. 88—113) referiert darüber. ; wofern Christus nicht bloß zum Teil Gottmensch sein soll - seine

Lindström Urteilt Über Schegks Schrift: „Der antike , menschliche Natur überall sein, wo seine göttliche ist — sclbstver-

lEinfluß tritt ... in der ganzen Anlage der Christologie, 1 ständlich ebenso unräumlich wie die göttliche. Kein Wunder, daß der