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Ausgabe:

1940

Spalte:

128-130

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Twisselmann, Willi

Titel/Untertitel:

Die Gotteskindschaft der Christen nach dem Neuen Testament 1940

Rezensent:

Grundmann, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

zur Welt, Christus ist ihm nicht Ende, sondern Vollendung
des Gesetzes.

In dem letzten Kapitel stellt B. sich die Aufgabe:
„die bei Clemens allgemein festgestellte Umprägung des
urchristlichen Gedankengutes, statt immer nur von der
hellenistischen Philosophie, dem Piatonismus und der
Stoa, einmal von der urchristlichen Gedankenwelt und
ihren Problemen aus in ihrer inneren Notwendigkeit zu
verstehen zu suchen" (S. 95). Es zeigt sich dann, daß
es das Ausbleiben der Parusie ist, das Klemens zu der
Umdeutung des paulinischen Freiheitsbegriffs zwingt.
Durch die „Enteschatologisierung" des christlichen Glaubens
haben die paulinischen Aussagen eine ganz andere
Bedeutung erhalten als die ursprüngliche, sodaß B. (S.
99) anerkennen kann, daß „Clemens, bei aller grundsätzlichen
Verschiedenheit, Paulus doch immer nocn mehr
gerecht wird, als die ihm äußerlich näher stehenden Häretiker
". Aber diese Umdeutung mit ihrer gläubigen
Gnosis, die ursprünglich einer neuen Grundlegung des
paulinischen Freiheitsbegriffs dienen sollte, stellt neben
den paulinischen einen neuen Freiheitsbegriff. Abschliessend
versucht B. diesen Tatbestand zu würdigen mit
einem Seitenblick zu „der heutigen Theologie".

Klemens' Verhältnis zu Paulus ist nur wenig behandelt
worden. B. kennt nur die „schöne Studie Eva
Aleiths" in „Paulusverständnis in der alten Kirche", ein
Lob, dem ich nicht beistimmen kann. Unbekannt ist ihm
leider geblieben die wertvolle und feine Untersuchung
von Seesemann, „Das Paulusverständnis des Clemens
Alexandrinus" in Theol. Studien u. Kritiken 107, 1936,
312—346. Er hätte hier nicht nur Themen, die er behandelt
, wie das Gesetz und die Freiheit schon behandelt
gefunden, sondern er hätte vor allem Methodisches
für seine Arbeit zulernen können.

Wenn die Klemensforschung diese Frage wenig angegriffen
hat, liegt es darin, daß sie ihr kein Problem
gewesen ist. Seesemann schreibt mit Recht S. 312:
„D a ß Paulus in der Alten Kirche sehr bald mißverstanden
wurde, ist allbekannt." Von Overbeck haben wir
alle gelernt. Aber die neue übertriebene Beurteilung
von Overbeck, für die Bernoulli wirbt, weiden wir, die
nicht in der Schweiz leben, wohl kaum verstehen können.

Von Overbeck hat B. eine Überschätzung des Klemens
gelernt. Sein Paulusverständnis ist nicht bahnbrechend
in der Kirche gewesen. Die Enteschatologisierung
ist schon mit den ersten Schriften außerhalb des Neuen
Testaments eine Tatsache, die Geltung des alttestament-
lichen Gesetzes ist schon Mt- 5, 17 f. behauptet worden.
Die sogenannten Gnostiker aus der Mitte des 2. Jahrhunderts
zeugen aber von einer Neuentdeckung von Paulus
innerhalb der kirchlichen Interpretation des Alten
Testaments, und Klemens ist nicht nur Zeuge der kirchlichen
Tradition des 2. Jahrhunderts, sondern auch von
der wieder entdeckten Spannung zwischen dem Alten
und dem Neuen Bund. Wenn er Paulus „umdeutet", so
deutet er ihn eben aus einer ganz anderen Situation heraus
, wo die Möglichkeit für eine eschatologische Auffassung
der paulinischen Botschaft im Sinne Schweitzers
ausgeschlossen war. Das, was B. als Klemens' Einsatz
versteht, ist m. E. wesentlich etwas Gegebenes, nicht nur
bei Klemens' Lehrern, sondern bei der kirchlichen Tradition
überhaupt, und so eingewurzelt, daß es auch gilt
für einen frei lehrenden christlichen Philosophen, wie
Klemens es gewesen ist.

Durch die scharf umrissenen Fragen, die bei B. an
Klemens gestellt werden, um dann sofort abzurücken gegen
„die heutige Theologie", läßt die Arbeit die liebevolle
Versenkung in Klemens' geistiges Schaffen vermissen
, die bei einem so schwer zugänglichen Verfasser
bis jetzt immer notwendig war, um wesentliche Früchte
zu erlangen. B.s Unternehmen unterscheidet sich von
seinen Vorgängern durch seinen systematischen Charakter
. Sauber geordnet, mit einer zwar nicht immer stofflich
begründeten Dreiteilung schreitet seine Untersuchung
vorwärts. Und man liest seine Arbeit mit Interesse und

I ist trotz allem dankbar für diese Monographie, die eine
Lücke auslüllt in der Klemensforschung.

Aarhus Johannes Munck

Twi ss el m an n, Willi: Die Gotteskindschaft der Christen nach
! dem Neuen Testament. Gütersloh: C. Bertelsmann 1939. (105 S.)
8° = Beitr. z. Förd. christl, Theol., hrsg. von P. Althaus, 41. Bd.,
1. H. RM 3—.

Die Herausarbeitung jener Symbole, unter denen
das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in den Reli-
I gionen und im Christentum dargestellt ist, ist von weit-
j tragender religionsgeschichtlicher und theologischer Be-
| deutung. Sowohl in Bildern persönlicher als auch in Bil-
i dern sozialer menschlicher Beziehungen ist dieses Ver-
j hältnis beschrieben worden: Vater—Kind, Herr—Knecht,
! König—Untertan, Arbeitgeber—Arbeitnehmer, Gläubiger
—Schuldner, Besitzer—Verwalter, Freund—Freund — das
i alles sind solche Beziehungen, in denen das Verhältnis
I zwischen Gott und Mensch beschrieben wird. Es läßt
| sich nun erkennen, daß auf diese Symbole nicht nur so-
j ziale und kulturelle Verhältnisse einwirken, sondern zu-
I gleich in ihrer Verwendung sich rassische Differenzie-
! rungen offenbaren. Es ist nicht zufällig, daß in den reli-
i giösen Verhältnissen des Orients die Symbole Herr—
Knecht und König—Untertan vorherrschen, während im
Griechentum und Hellenismus auf Grund der Idee der Verwandtschaft
zwischen Gottheit und Menschengeschlecht
die Symbolik Vater-Sohn und die Idee der Gottesfreundschaft
die Vorhand hat. So ist also hier religionstypo-
logisch wie -psychologisch viel zu lernen und in der Folge
davon wird auch die theologische Fragestellung vor
neue Einsichten gestellt. Ich habe aus diesen Erwägungen
1938 in meiner Arbeit über „Die Gotteskindschaft
im Neuen Testament und ihre religionsgeschichtlichen
| Voraussetzungen" selbst in dieser Richtung vorzustoßen
versucht, habe infolgedessen mit Interesse zu Twissel-
manns Arbeit gegriffen und kann sie nur mit tiefer Enttäuschung
anzeigen. Die neuen Fragestellungen sind
überhaupt nicht berücksichtigt, neuere Literatur ist mit
Ausnahme des Theologischen Wörterbuches zum NT
nicht benutzt. Daß es eine kritische Arbeit am Neuen
Testament gibt, scheint dem Verfasser nur dem Hörensagen
nach bekannt zu sein und sie scheint für ihn etwa
mit H. J. Holtzmann ihren Abschluß gefunden zu haben.
So bietet die Arbeit unserer Erkenntnis keine Förderung.
Die Anzeige muß neben einigen kritischen Einzelbemcr-
I kungen die Grundfrage nach diesem durchaus nicht vereinzelten
Versagen herausstellen, wozu sich gerade diese
Arbeit gut eignet.

In zwei einleitenden Kapiteln erörtert der Verfasser den religions-
geschichtlichen Befund, wobei vor allem das rabbinische Judentum
sehr kurz wegkommt. Eine Absetzung gegen andere Symbole erfolgt
nicht, sodaß die Urteile in der Luft hängen; der zweifellos vorhandene
j hellenistische Einfluß gerade bei dem in Frage stehenden Problem
auf das Judentum und die Verarbeitung dieses Einflusses sind überhaupt
nicht gesehen. Der Begriff Sohn Gottes wird nicht besprochen.
Dieses ungenügende religionsgeschichtliche Referat bildet aber die
Basis für schwerwiegende religionsgeschichtliche Urteile.

Auch das Kapitel „Die Synoptiker" vermag in keiner Weise zu
befriedigen. Die Bezeichnung abba wird in einer Anmerkung erwähnt,
in ihrer religionsgescliichtlichen Bedeutung aber überhaupt nicht siebt-
I bar gemacht. Der Verfasser bringt es fertig, die synoptischen Aus-
| sagen Ober die Gotteskindschaft abzuhandeln und über die Beurteilung
j der Kinder durch Jesus, denen er das Reich Oottes zuspricht und die
j er als vorbildlich für die Menschen hinstellt, nicht ein einziges Wort
| zu schreiben! Andere Symbole werden nicht besprochen. Religionsgeschichtliche
Verglcichung und Erörterung des Verhältnisses zur Umwelt
j findet nicht statt, es wird aber dauernd behauptet der heilsgeschicht-
i liehe Zusammenhang zwischen A. u. N.T. Alles Interesse liegt auf der
j Differenzierung zwischen der Kindschaft der Menschen und der Sohnschaft
Jesu, die ein Teil seiner Messianität sei und deren Aussagen nicht auf die
J übrigen Menschen übertragen werden dürften. Daß diese Frage viel
| schwieriger liegt, wird allerdings aus manchen Ausführungen des Ver-
| fassers selbst deutlich. Zunächst gibt die Versuchungsgeschiclite ein
| sehr deutliches Bild von dem, was Sohnschaft ist, wovon sich der
I Verfasser bei Schlatter hätte überzeugen können; sie hat den Begriff
I nicht nur, wie behauptet, als Titel. Sodann ist die Schärfe der Tren-
| nung „mein Vater" und „euer Vater" vor allein inatthäisch. Daß