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Ausgabe:

1940

Spalte:

126-128

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Buri, Fritz

Titel/Untertitel:

Clemens Alexandrinus und der Paulinische Freiheitsbegriff 1940

Rezensent:

Munck, Johannes

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

12G

ten zum lange vernachlässigten Büchlein Ruth erschienen;
ich erinnere nur an Jepsen, ThSt. u. Kr. 1937/38,
416ff., den Kommentar von Goslinga (Kampen 1938)
und Boone, Ruth's romance and redemption (1930);
Arbeiten, die in Methode und Ergebnis genug von einander
abweichen, wenn wir auch über die Wunderlichkeiten
der älteren Exegese (man vgl. die Zusammenstellung
bei Reuß, Gesch. d. H. Schriften des AT. § 243) wohl
hinaus sind.

Paul Humbert's gut lesbarer, mit wirklicher Einfühlung
geschriebener Aufsatz geht eigene Wege; um die
ältere Literatur müht er sich gamicht viel, nur G u n -
kel's schöne Analyse (Reden und Aufsätze [1913]
65 ff.) erkennt er an. Im übrigen verfolgt er „un but
aussi pratique que modeste: essayer de degager avec
precision, aux oours d'une exegese cursive, la vraie
lecon de l'histoire de Ruth, et chercher ä surprendre
en passant quelques secrets de l'art consomme de l'au-
teur" (S. 4).

H. geht aus von einer lebendigen Nachgestaltung des Textes;
er kommt zu trefflichen Beobachtungen, die manches an dem vielgeprüften
Buch neu scheu. Nur selten hört er der knappen Erzählung
mehr ab, als sie hergibt (z. B. S. 24 ,,ä la voix timide de la jeune
fille repond maintenant la voix grave de Booz": das mag schön nachempfunden
sein, geht aber nach meinem Empfinden über die Aussagen
des Textes hinaus). Hier und da vollzieht H. auffallende Akzentverschiebungen
; so scheint er mir auf die Notiz in 1,1, daß die
Geschichte „zur Richterzeit" gespielt habe, viel zu viel Gewicht zu
legen, wenn er S. 10 gar behauptet, die nach Bethlehem zurückkehrende
Noomi „n'apparait donc pas . . . comme un simple individu
victime des malheurs de la vie, mais eile incarne tragiquement et
doit rappeler au lecteur la rigueur et l'exigence du Dien, qui, au
temps des Juges, s'evissait impitoyablement contre 1 'infiddlite
d'Isracl. Noomi revit aussi, dans l'intention de l'autcur, une parabo-
lique et religieuse grandeur!" Und es kommt noch stärker: „L'impie-
ti d'Israel punic en la personne de la fanville de Noomi, est donc
aussi le prelude des promesses aecordees par la Rrovidence ä ceux
qui pratiqueront la pietas" (ebda.)! Ich vermisse im Text des Büchleins
Ruth jeden Hinweis auf ein solches Verständnis; die Gefahr der
i,Überhöhung" ist gerade bei dieser „anmutigen und fesselnden Erzählung
" (Reuß a.a.O. 245), deren „schlichte Schönheit" (G u n -
kel a.a.O. 65) immer wieder besticht, so überaus groß!

Aber im übrigen wird man gern von dem bewährten
Neuchäteler Autor lernen: so, wenn er als Hauptthema
des ganzen Buches „die göttliche Belohnung der Treue''
bezeichnet; das Ganze ein Hohealied auf die Pietas bei
Gott und Mensch! Mit Recht übergeht.H. die These mit
Stillschweigen, daß hinter der Ruthsage eine Kultlegende
von Bethlehem stände (Staples, AJSB
1936, 145ff.). Mit Recht wehrt sich H. gegen jede
Verniedlichung des Stoffes, besonders in der „dritten
Hauptszene", die Boaz und Ruth auf der Tenne sieht:
ein „Idyll" ist's nicht, was hier sich ereignet: Boaz zeigt
Pietas, Ruth Dankbarkeit, Noomi klugen Starksinn. Mehr
als G u n k e 1, dessen Bezeichnung der Geschichte als
„Noxelle" H. ablehnt, weil er mehr in den Ausdruck
hineinlegt, als G u n k e 1 tat, betont der Vf. das religiöse
Moment als treibende Kraft der Erzählung: vielleicht ist
er auch hier von einer gewissen Übersteigerung nicht
fern. Das verte'hlte Urteil, als handle es sich bei der
Ehe der Ruth mit Boaz um die „Leviratsehe", übernimmt
H. leider aus der communis opinio — widerlegt hat
dies Urteil schon Reuß a.a.O. S. 297: ist denn Boaz
Machions Bruder? Ist im Gesetz vom Vorkaufsrecht,
Lev 25,25, von einer Pflichtehe die Rede? Ist uns überhaupt
die Verhandlung im Tor im Kap. 4 in allen Zügen
verständlich? Das Problem der Zusammenhänge
David's mit Moab harrt nach dieser Arbeit so wie vorher
noch der Lösung; daß 4,18—22 „un appendice
secondaire" (S. 31) sind, glaube ich nicht; der Grund1,
den man für diese These anführt: daß „Obed nach der
vorangehenden Erzählung als Sohn des Machion gilt"
(so auch SATA I 2 [1914] 276 Anm. [Greßmann]),
verschlägt doch ihm Rahmen der Genealogie garnichts:
«a kam's eben auf die leibliche, nicht die nominelle Abstammung
an. Wäre der Abschnitt 4, 18 ff. nicht, so besaßen
wir bestimmt das Ruthbuch nicht! Wir bitten den

Vf., uns doch einmal eine ausführlichere Darstellung des
Stoffes in Form eines Kommentar zu geben, wir werden
dankbar von ihm lernen!
Göttingen K. M ö h 1 e n b r i n k

i

NEUES TESTAMENT

Buri, Dr. theol. Fritz: Clemens Alexandrinus und der Pauli-
nische Freiheitsbegriff. Zürich: M. Niehans [1939]. (114 S.)
gr. 8". RM 3 -.

Von Overbeckscher Problemstellung ausgehend —
die B. als „Urliteraturthese" auf Grund der Abhandlung
! „Die Anfänge der patristischen Literatur" und konse-
| quent durchgeiiihrtes eschatologisches Verständnis der
neutestamentlich-urcliristiichen Zeugnisse definiert — ver-
S wirft der Vf. die Bemühungen der Klemensforschung
' zwischen Overbeck und sich und will jetzt Klemens' Stel-
■ lung zum paulinischen Freiheitsbegriff untersuchen, um
so das Verhältnis der Christentumsauffassung des Kle-
I mens zum Vorstellungs- und Begriftsge'halt des neute-
[ stamentlich-urchristlichen Glaubens in einem wichtigen
I Punkt zu erhellen.

Klemens muß in seinem Kampf gegen die gnosti-
schen Häresien das häretische Verständnis des paulini-
i sehen Freiheitsbegriffs angreifen und an seiner Stelle
sein eigenes behaupten. Der Angriff gilt dein pessimistischen
Dualismus der Häretiker, die den Erlösergott und
den Schöpfer auseinanderhalten, und dem libertinisti-
schen Antinomismus, weil das Gesetz nicht von Gott
stammt, und ihrem Determinismus: der Glaube sei eine
Natursubstanz. Weil die Häretiker ihre Lehre auf Paulus
bauen, muß Klemens in seiner Polemik auch die Frage
des rechtmäßigen Schriftverständnisses aufwerfen.
Wesentlich ist hier, daß die Häretiker nach Klemens
die Schrift wörtlich statt allegorisch auffassen.

Das Positive, das Klemens den Ketzern gegenüber
aufstellen will als legitime Interpretation des paulinischen
Freiheitsbegrifts, ist ein Freisein von der Welt im
Sinne eines dankbaren, aber affektfreien Gebrauchs der
Schöpfung. Hier findet B. einen Gegensatz zwischen
dem, was er mit einem m. E. unglücklichen Ausdruck
„optimistischen Monismus" genannt hat, und der weltverneinenden
Haltung des vollendeten Gnostikers. Ebenso
behauptet Klemens gegen den häretischen Antinomismus
die dauernde Geltung des alttestamentlichen Gesetzes
in der Kirche. Aber auch hier entdeckt B. einen
Widerspruch zu dieser positiven Bewertung des Gesetzes
in dem Leben über das Gesetz hinaus, das Klemens
wieder bei dem vollendeten Gnostiker schildert. Die-
| selben Tendenzen und die nämlichen Spannungen kehren
j dann wieder bei dem zentralen Punkt seiner Auseinandersetzung
mit den Häretikern: die Behauptung der Willensfreiheit
gegenüber dem gnostischen Determinismus.
Die Freiheit des menschlichen Willens steht fest als
Grundlage der sittlichen Entwicklung, aber bei der höch-
| sten Stufe des christlichen Gnostikers ist die Vollendung
zur Natur geworden.

Im nächsten Kapitel vergleicht B. die von Klemens
behauptete Interpretation des paulinischen Freiheitsbegriffs
mit dem wirklichen Paulus in der Auffassung Albert
Schweitzers (nach seiner „Mystik des Apostels
Paulus") und stellt fest, daß eine Umdeutung bei Klemens
vorliegt. Im einzelnen weißt B. jetzt nach, daß
Klemens der Vorstellungswelt der paulinischen Eschato-
logie völlig fremd gegenüberstehe. Wenn er auch gelegentlich
Paulus nähersteht als die von ihm bekämpften
Häretiker, so ist doch das wesentliche, daß an Stelle
I einer eschatologischen Grundauftassung eine konsequent
uneschatologische getreten ist. Und wo Klemens anscheinend
der des Paulus nahekommt wie im Freisein des vollendeten
Gnostikers, ist es doch etwas ganz anderes als die
eschatologische Freiheit von der Welt bei dem Apostel.
Klemens' Stellung zum Gesetz entspricht seiner Stellung