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Ausgabe:

1940

Spalte:

117-118

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Köhler-Irrgang, Ruth

Titel/Untertitel:

Sippenpflicht und Sittlichkeit 1940

Rezensent:

Baetke, Walter

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Seite 1

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117

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 5/6

118

Feld iür grundlegende Arbeiten. Millet zeigt Verbindungsfäden
zwischen den jüdischen Bildern von Dura
und der christlichen Buchmalerei bis in die karolingische
Periode hinauf und versucht vorwärtsstoßend, ältere
Vorbilder und Bildserien vermutungsweise zu rekonstruieren
. Die künftige Forschung wird gut tun, Millets
Andeutungen aufzunehmen und durch minutiöse Kleinarbeit
zu sicheren Erkenntnissen zu führen. Die Tatsache
der Entdeckung einer groß aufgezogenen jüdischen
Wandmalerei in den Synagogen, die E. L. Sukcnik 1930
in seinen Vorlesungen über Ancient Synagogues in Palastine
and üreece p. 66 prophezeit hat, bringt ganz neue
Fragestellungen in die Welt der spätantiken Kunstgeschichte
hinein. Übrigens: im Jerusalemer Talmud Abo-
da Zara 3,1—3 (zitiert S. 143 Anm. 1) steht nichts
davon, daß man u.n 200 begonnen habe, Wände der
Synagogen zu bemalen. Wenn man die Stelle nachschlägt
(sie steht p. 42 d Z. 35 der Krotoschiner Ausgabe
), so steht da nur: „In den Tagen des Rabbi Jocha-
uan erlaubte man Bilder an der Wand, und es wurde
nicht von ihnen verboten." Es kann sein, daß dabei
nicht nur an Privathäuser gedacht ist, sondern auch an
Synagogen. Aber das muß der Leser erfahren.

Sehr ungläubig stehe ich dem Versuch gegenüber, in
der Verteilung der Gegenstände der einzelnen Bilder und
Cyclen leitende Ideen zu finden. M. erkennt in der obersten
Reihe eine Serie von Bildern, welche der „Geschichte
der Nation" gewidmet sind. Darunter kommt ein
„liturgischer" Cyclus — der dann aber doch die Geschichte
des Purimfestes enthalten müßte, die in der
dritten Reihe steht? — und der letzte Streifen soll Bilder
„moralischen Inhalts" bringen. Diese Konstruktion
läßt sich nur unter reichlichem Appell an die gutwillige
Phantasie des Beschauers durchführen, und mir scheint
das Urteil von Rostovtzeff (S. 115f.) der Wahrheit
näher zu kommen, der von einer leitenden Idee nichts
wissen will und die Auswahl der Gegenstände dem
Wunsch der verschiedenen Stifter der Gemälde zuschreibt
.

Mit einer Bitte will ich schließen. Es scheint allmählich
zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein, den
ausgemalten Raum in dem zur Kirche umgebauten christlichen
Hause als Baptisterium zu bezeichnen. M. tut
das (S. 12) und Rostovtzeff (S. 133 f.) zieht daraus sogar
Schlüsse auf eine diese Bilder im Gegensatz zur
Synagoge beherrschende Idee. Ich habe im Gnomon
1937, S. 233 f. auf Grund eigener Untersuchung des
Raumes auseinandergesetzt, warum er keine Taufkapelle
sein kann. Die eigenartige Zementierung des Bodens im
Becken spricht ebenso dagegen, wie der Baldachin über
dem Behältnis. Diese Bauform ist für Taufbecken unerhört
, während sie für ausgezeichnete Gräber beliebt ist-
Daraus habe ich gefolgert, daß wir eine Märtyrerkapelle
vor uns haben. Wer das nicht glauben will, muß es
widerlegen und eine bessere Deutung des Tatbestandes
vortragen. Das ist meines Wissens bisher nicht geschehen
. Es schadet der Sache, wenn die Eröterung unterbleibt
, die durch meine Feststellungen notwendig geworden
ist. Also bitte ich, sie aufzunehmen.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Köhler-Irrgang, Ruth: Sippenpflicht und Sittlichkeit. Die

Wurzeln germanischer Ethik. Leipzig: A. Klein 1Q38. (122 S.)
8° = Nordische Art u. dt. Schule, Schrift z. nord. Ausrichtung unserer
Erziehung an Hand d. Quellen; Reihe A: Der Mensch d.
Alten Norden. H. 7. RM 2.50.

.Eine neue Quellcnsammlung zum Gebiet des sittlichsozialen
Lebens der heidnischen Germanen. Herangezogen
sind neben antiken Schriftstellern (fast nur Taci-
tus) vor allem die Sagas und erfreulicherweise auch die
Pechtsbücher der germanischen, besonders der nordischen
Stämme. Die Auswahl ist — wenn auch nicht

ohne Einseitigkeit — mit Sachkenntnis getroffen; sie
! unterschlägt auch ungünstige Zeugnisse nicht und gibt
i gute Zusammenstellungen. Allerdings war vieles schon
von anderen (Klose, Neckel usw.) gebracht worden. Den
ausgewählten Textstellen fügt die Herausgeberin erläuternde
Begleitworte bei, wobei sie es als ihre Absicht bezeichnet
, vorgefaßte und vorbestimnite Meinungen auszuschalten
. Leider kann man sie aber selbst nicht ganz von
dem Vorwurf freisprechen, vorgefaßte Meinungen hinein-
- zutragen. Will man die Verhältnisse der vorchristlichen
Germanen unter modernen Gesichtspunkten betrachten,
wogegen gewiß nichts einzuwenden ist, so darf man
ihnen selbst doch diese Gesichtspunkte (wie: bewußte
: Bevölkerungspolitik, Artschutz usw.) nicht ohne weiteres
zuschreiben. Der Hinweis, daß im frühen Germanien
; eine Familie nicht wie heute durch religiöse Bekenntnisse
i gesprengt werden konnte, verkennt, daß dazu die Vor-
! aussetzungen fehlten. Die Anschauungen der Vf. (z. B.

über Glück und Heil S. 105) sind stark von Grön! ech
! bestimmt. Die Bedeutung der Sippe wird übertrieben
(„Religion" und „oberstes Gesetz" war sie nicht). Daß
| Island im Jahre 1000 um der Wahrung des SippenFrie-
j dens willen zum Christentum übertrat, trifft nicht zu- Es
i ging um den staatlichen Rechtsverband.. Gewisse Rechts-
i Bestimmungen, die dem Christentuni ihren Ursprung
verdanken, überträgt die Vf. mit Unrecht ins germani-
j sehe Altertum. Im ganzen ist das von ihr entworfene Bild
stark romantisch gefärbt, und manches ist zu einseitig
I gesehen. Daß die Ehescheidungen immer „einem tieien
| Lebensgefühl" entsprangen, wird durch die Isländerge-
I schichten, auf die sich die Vf. hauptsächlich stützt, gewiß
nicht bestätigt. Andererseits darf man auch den clich-
j terischen Charakter der Sagas nicht übersehen. Jede
Dichtung wählt aus und stilisiert und ist daher mit Vorsicht
zu benutzen, wenn es gilt die alltäglichen Zustände
zu erforschen. Manche Erscheinungen, wie die Träume
und die Fylgias, wird man hauptsächlich unter künstlerischen
Gesichtspunkten beurteilen müssen; sie werden
dadurch für die Kulturgeschichte nicht wertlos. Aber
wenn man die Forderung erhebt, die Quellen nach Herkunft
und Eigenart zu bewerten, darf 'man diesen Umstand
nicht außer acht lassen.

Leipzig Walter B a e t k e

Bogner, Hans: Der Seelenbegriff der griechischen Frühzeit.

Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt [o. J.]. (39 S.) 8° = Schrift,
d. Reichsinstit. f. Geschichte d. neuen Deutschland. RM 1.50."
In diesem 1938 auf der Jahrestagung des Reichsinstituts
für Geschichte des neuen Deutschland in Berlin
gehaltenen Vortrag verfolgt Bogner nicht die Geschichte
eines bestimmten griechischen Begriffes (etwa t|n»x^) und
der sich mit einem solchen verbindenden speziellen Vorstellungen
, sondern versteht die Seele im Sinne der „Gesamtheit
des inneren Lebens". Dabei faßt er vornehmlich
das Verhältnis des Frühgriechen zur Gottlieit und
Gemeinschaft ins Auge und findet in seiner Seele das
„Organ der Gemeinschaftswerte", dessen unreflektierte
Ungebrochenheit, wie sie in homerischer Zeit auf der
Gewißheit vom Ineinandergreifen des göttlichen Waltens
und der menschlichen Lebensordnung beruhte, seit dem
Erwachen des Bewußtseins von einem inneren Selbst gefährdet
wird und wissend wiedergewonnen werden muß;
der platonische Soikrates, so gemeinschaftsverbunden er
noch immer ist, erscheint als charakteristisch für das
Aufkommen einer Anschauung, die die Seele zum letzten
und höchsten, aber privaten Besitztum des Einzelnen
macht. Durch eine längere exemplifizierende Charakteristik
der Seelenhaltung des Simplicius Grimmelshausens
| beengt, bleibt die Darstellung der griechischen Phäno-
! mene etwas skizzenhaft und ungleichmäßig, läßt aber
j doch auch neue Streiflichter fallen (S. 25 ff. Seelcnlchre
I Heraklits). Ein Anhang betont gegen Ziegler und Ho-
wald die politisch-existentielle Bedeutung der attischen
| Tragödie.

I November 1939 im Felde Hans Herter