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Ausgabe:

1940

Spalte:

99-100

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stange, Carl

Titel/Untertitel:

Erasmus und Julius II. 1940

Rezensent:

Dress, Walter

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Seite 1

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99

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 3/4

100

ein ernstzunehmender Beitrag zur Lutherforschung nur
auf wesentlich gründlicheren Voraussetzungen möglich
ist, wurde oben schon angedeutet.) Das alles ist im vorliegenden
Fall besonders schade, weil natürlich der vom
Vf. erstrebte Nachweis der Übereinstimmung zwischen
Francke und Luther wenig Interesse hat, solange er so
im Allgemeinen bleibt, wie hier. Daran können die zahlreichen
kleinen Einzelbeobachtungen von gemeinsamen
Bildern und Bibelzitaten bei Luither und Francke leider
nichts ändern. Der wortreiche, manchmal befremdlich
schlechte Stil, die unnötig originellen Kapitelüberschriften
, die gelegentliche, von Tendenz nicht ganz freie
summarische Kritik, sowie theologische Gesamtur-
teile, denen das Schwergewicht einer Begründung fehlt,
sind Steine, an denen man sich beim Gang durch das
Buch stößt. Überdies hätte in einem wissenschaftlichen
Werk über ein so hochbedeutsames Thema noch erheblich
gründlicher um Klarheit der Begriffe und der Thesen
, um einen auch dem Leser erkennbaren organischen
Aufbau und Durchführung im Einzelnen gerungen
werden müssen. Auch ist eine einheitlichere Rechtschreibung
in den Zitaten wünschenswert. — Gerade wer, wie
der Unterzeichnete, das vom Vf. angestrebte Ziel, Aufweis
der inneren Zusammengehörigkeit von Luther und
Pietismus, bejaht, kann nur wünschen, daß die hier begonnene
Arbeit nicht in ihren noch unzureichenden Anfängen
stecken bleibt.

Tübingen A. Stumpft

Stange, Carl: Erasmus und Julius II., eine Legende. Berlin:
Alfred Töpelmann 1937. (XI, 357, [XXXI] S.) 8°. Dazu XXXI,
S. Facsimile-Abdruck der Originalausgabe des Julius exclusus und
2 Taf. RM 12-.

Angesichts der Tatsache, daß dieses Buch nicht einem
Thema von allgemeinem Interesse gewidmet ist, das weitere
Kreise fesseln könnte, sondern einem Einzelproblem
der Erasmus-Forschung, das als solches nur den
Spezialtforscher beschäftigt, ist es von dein Verlag außergewöhnlich
großzügig ausgestattet worden. Dazu kommt
als Beigabe von besonderem Reiz die sehr gut gelungene
Facsimile-Wiedergabe der originalen Textfassung.

Freilich entspricht der Inhalt dieser Ausstattung: das
Buch ist meisterlich gearbeitet. Es handelt sich um ein
Spezialproblem der Humanismus-Forschung. Das ganze
Buch gilt der sehr eindringlichen, umfassenden und auf
die Fülle des gelehrten Materials keineswegs verzichtenden
Untersuchung der Frage, ob der bekannte Dialog
„Julius exclusus" von Erasmus geschrieben worden ist.
Die Zeitgenossen des großen Humanisten haben das behauptet
, und auch die führenden Erasmus-Forscher der
Gegenwart, Allen und Huizinga, haben daran festgehalten
. Hier wird nun das Gegenteil bewiesen. Erasmus
kann diese ungemein scharfe Streitschrift gegen den
Papst Julius IT. nicht geschrieben haben. Sie widerspricht
in ihrer politischen und kirchenpolitischen Haltung
, in ihrer Darstellung des Papstes, ja in ihrer ganzen
Mentalität der uns sonst bekannten Einstellung des
Erasmus zu den Fragen des Lebens im allgemeinen und
zu den in ihr behandelten Problemen im besonderen.
Das wird im einzelnen nachgewiesen; der Verfasser
macht deutlich, wie nichtssagend die bisher für die Verfasserschaft
des Erasmus angeführten, vorwiegend lite-
rarkritischen Gründe sind. Den Dialog hat nicht ein Gelehrter
wie Erasmus geschrieben, sondern ein Politiker,
ein Politiker, der geschichtlich zu denken versteht, der
aus einer konkreten politischen Situation heraus schreibt
und ein bestimmtes politisches Ziel im Auge hat, während
Erasmus auch da, wo er auf politische Dinge zu
sprechen kommt, den Gelehrten in sehr charakteristischer
Weise nicht verleugnen kann- Das Wort
„NoMm altius in haec descendere" aus einem seiner
Briefe gibt seine Einstellung zu den Dingen der Politik
am besten wieder (vgl. S. 83, Anm. 3); er will am
liebsten nichts mit ihnen zu tun haben. „Die Begabung
des Erasmus ist ausschließlich literarisch." Ihm fehlt

der geschichtliche Sinn (S. 73). Er steht den politischen
I Geschehnissen teilnahmslos gegenüber. „Sein Leben bewegt
sich ganz und gar in dem Kreis der privaten, und
■ zwar der wissenschaftlichen Interessen" (S. 74). Er hat
| „eigentlich keine Heimat", und „es ist schwer festzustellen
, welcher der verschiedenen Nationen er sich am
nächsten verbunden fühlt" (S. 75 f.). Es liegt nicht in.
| seinem Wesen, Partei zu nehmen. „Sein Grundsatz ist,
zu keiner Partei zu gehören" (S. 77). Der Julius-Dialog
aber läßt auf einen Verfasser schließen, der in alledem
das genaue Gegenbild des Erasmus darstellt.

St., der nicht nur die Stilvergleichung und Textkritik
in souveräner Weise handhabt, sondern auch die politische
und die Kultur-Geschichte der Zeit in ihren z. T.
j verschlungenen Wegen beherrscht, führt scharfsinnig den
I Beweis dafür, daß der Dialog nur aus dem französischen
Lager kommen kann und in engstem Zusammenhang
steht mit dem literarischen Kampf, der zur Zeit des
Pisancr Konzils von dem Kreis um Ludwig XII. gegen
das Papsttum geführt wurde. So bietet das Bucli weit
mehr, als sein Gegenstand zunächst vermuten läßt, nicht
eigentlich, weil es die Grenzen, die einer Spezialuntersuchung
notwendig gesetzt sind, weitherzig überschritte —
j St. bleibt im Gegenteil streng innerhalb der Aufgabe, die
er sich gesetzt hat —, sondern weil es auf jeder Seite die
besonnene Hand und den überlegenen Geist eines Meisters
der Wissenschaft spüren läßt. Es ist vorbildlich,
wie hier die peinlichste Handhabung der philologisch-
kritischen Methode verbunden ist mit einem umfassenden
geschichtlieh-kirchengeschiehtlichen Wissen und einem
Urteil, das zwar jede Einzelheit genau prüft, aber niemals
isoliert, sondern immer im großen Zusammenhang
des Ganzen betrachtet und wertet. Das Buch vennittelit
deshalb nicht allein eine Reihe neuer Erkenntnisse — es
löst die Verfasserfrage des Julius Exclusus, trägt wichtige
Züge zur Korrektur des Bildes von Erasmus bei
und beleuchtet manche Einzelheit des kirchenpolitisclien
Kampfes um 1512 von einer neuen Seite her !; seine
Lektüre bietet auch darüber hinaus einen hohen geistigen
Genuß.

Berlin Walter Dreß

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Hübner, Reinhard: Roon. Glaube und Soldatentum, ausgewählt u.
I eingeleitet. Berlin: Wichern-Verlag 1939. (272 S.) gr. 8°. RM 4.20.

Hübners Roonbuch erschien zur rechten Stunde, aber
nicht als ein, Buch ad hoc. Man weiß nicht, woran man

j mehr Interesse findet, an der markigen Gestalt Roous,
die zum geistigen Brennpunkt der politischen Ereignisse
von 1848 bis 1873 wird, oder an dem Untertitel:
„Glaube und Soldat"; denn der wehrhafte Mann von
heute wartet auf die Deutung eines Glaubens, der seiner
militärischen Haltung entspricht.

Es ist immer reizvoll, an sich bekannte Geschichtsereignisse
, wie die hier im Hintergrund liiegenden (Märztage
1848 — Regierungsantritt König Wilhelms — Bismarcks
Berufung — Die Kriege 1864, 1866, 1870/71 —
Das neue deutsche Reich) aus der Perspektive einer
großen Persönlichkeit veranschaulicht zu bekommen. Die

! sehr feinen, vornehm sich zurückhaltenden historischen

j Hinweise des Verfassers eröffnen jedesmal in drei grossen
Übersichten: „Werden und Wesen der Persönlich-

! keit" — „Die Freunde" (Kaiser Wilhelm I., Bismarck,

I C. Th. Perthes; was für Freunde!) — „Der Ausklang"
einen persönlichen Briefwechsel. Wir nehmen also unmittelbar
an dem Geschichtsgang teil- Es ist erfrischend,
wie offen und frei diese Männer sich aussprechen. Wir
verfolgen die Ereignisse in ihrer keimhaft geistigen Ent-

I stehung. Das gibt dem Buch eine nahezu dramatische
Steigerung. Diese methodische Grundlage kommt der
weiteren religiösen Fragestellung zugute; denn es ist
wichtig, daß eine religiöse Persönlichkeit in Unrnfttcl-

] barem Zusammenhang ihrer übrigen Geistigkeit und nicht