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Ausgabe:

1940

Spalte:

52-55

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jobst, Albrecht

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirche und Volkstum 1940

Rezensent:

Stolzenburg, Arnold F.

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 1/2

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gar verfehlt halte ich aber den Anspruch der Darstellung,
daß es wirkliche Liebe nur als christliche gäbe. Alle
andere sei entweder verkehrt oder unzulänglich. So gäbe
es nur christliche Ethik, jede andere, weltliche, sei
Illusion oder Täuschung. Wo echte Opfer, da sind sie
nur religiös begründet (S. 225); echter Staat sei nur
als christlicher möglich; darum sei „Rom niemals
wirklich ein Staat" gewesen (S. 278). Dasselbe wird
gesagt vom Recht, von der sozialen Tätigkeit. Überhaupt
bedeute Loslösung von der Kirche Loslösiing von
aller Moral (S. 79). Diese Behauptungen halte ich
trotz mannigfacher sonstiger Schätzung für den Fundamentalmangel
dieser „Ethik der Liebe", die nicht soviel
Liebe aulbringt, um die weltlich sittlichen Strebungen
in ihrem Recht zu verstehen. Daher fehlt auch jede wirkliche
Auseinandersetzung mit anderer aktueller Ethik.
Aristoteles, Augustin und der „Idealismus" sind nicht
mehr aktuell. Dagegen wurden Ausschließlichkeiten konstruiert
, die nur für Theologen glaubhaft sein mögen,
und da nicht für alle. — Weitere kritische Bemerkungen
würden zuviel Raum beanspruchen, wie etwa die Begründung
der Liebe schon aus dem Schöpfungsglauben.
Darauf ist keine Liebe zu begründen (vgl. Hiob), sondern
darauf, daß der Schöpfer zugleich der in Christus
geoffenbarte Erlöser ist. Es mutet erstaunlich
an, daß in dieser „Ethik der Liebe" Christus so wenig
zur Begründung herangezogen wird.

So hat das Werk seine Schranken, zumal für die
Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Sie sollten aber
nicht seinen wirklichen Wert verdunkeln; denn aus schon
genannten Gründen ist es ein reifes Gewächs auf dem
sonst so dürren Felde christlicher Ethik.
Marburg-Lahn Georg Wünsch

Wenzel, Liz. Dr. Fritz: Die abendländische Geschichte vor

der Christusentscheidung. Eine Auseinandersetzung mit Hermann

Sauer' und Oswald Spengler. Leipzig: G. Schloeßmann [1939],

(75 S.) 8°. KM 1.60.

Diese erste Auseinandersetzung mit Sauer in Bro-
schürenform vergleicht den Schicksalsbegriff und die
Gottesfrage bei Sauer und Spengler. Den Hauptgehalt
dieses Vergleiches bildet eine Inhaltsangabe von Sauer
(17—37) und Spengler (37—55), außerdem macht W.
eine Reihe kurzer Einzelbemerkungen zu Ansichten
Sauers. Etwas Neues über das in der bisherigen Diskussion
über Sauer Vorgebrachte hinaus (die auch nur
in Auswahl berücksichtigt wurde, z. B. wurden übersehen
: Christliche Besinnung heute 1938, Nr. 7 u. 8,
ZThK 1938, Nr. 3, Ev. Diaspora 1938, p. 188) bietet
W. nicht. Er bemerkt sogar (23), man sollte lieber
Sauer selbst lesen anstatt Inhaltsangaben über sein
Werk. Sauer bedeutet nach W. eine Überwindung Spenglers
, weil er an Stelle des vorchristlichen und unpersönlichen
Gottes das Wirken des lebendigen, in Christus
offenbar gewordenen Gottes im Geschichtsgeschehen
sichtbar mache, und weil Spengler das Wissen um ein
ewiges Ziel und einen letzten Sinn alles Geschehens
fehle (48).

W. fragt sich selbst, ob bei zwei so verschiedenen
Größen wie Sauer und Spengler überhaupt ein Vergleich
möglich sei (9). Da aber Vergleichbarkeit einen gemeinsamen
Hintergrund voraussetzt und W. auf eine
Analyse der Grundbegriffe verzichtet, wird auch nicht
deutlich, was denn verglichen werden soll, zumal ja
Sauer auf Spengler keine Rücksicht nimmt (56). Jeder
Vergleich, zumal bei einer so ungeklärten üeschichts-
spekulation wie der Sauerschen bedürfte zuerst einer an-
einanderhaltenden Apperzeption. Dann würde sich aber
herausstellen, daß bei Sauer nichts Spengler im spezifisch
Christlichen Überwindendes vorliegt, sondern seine
dem christlichen Mythos entlehnten Begriffe selbst mythische
Substanz und keinen Hinweischarakter besitzen.
Bei einem wissenschaftlichen Vergleich würde sich vor
allem ergeben, daß nicht die inconcinnen Größen Schicksal
und Gott bei Sauer und Spengler zu vergleichen wären
, sondern Wirklichkeit und Deutung der Geschichte.
Eupen Hennig

Jobst, Lic. Dr. Albrecht: Evangelische Kirche und Volkstum.

Ein Beitrag zur Geschichte der Volkskunde. Stuttgart: A. Kröner
[1938]. (VIII, 248 S.) gr. 8°. RM 4.50.

Es war eine Selbstverständlichkeit, daß die seit 1918
hier und da sich anbahnende, 1933 zum Siege gelangte
organische Auffassung vom Dasein, wie für so manche
andere Disziplin, so auch für die Volkskunde und da nit
wieder für die religiöse Volkskunde einen starken Auftrieb
bedeutete. Zwar folgte auch in der Beziehung
die Kirche als solche nur zögernd und in einem gewissen
Abstand der allgemeinen Bewegtheit. Aber es gab einzelne
, die stärker als bisher die Notwendigkeit eiiier
engeren Beziehung von Kirche und Volkstum zueinander
erkannten und geltend machten. So ist in den letzten
Jahren manche wertvolle Untersuchung zur religiösen
Volkskunde entstanden. Noch immer aber fehlte, nachdem
Lohhoff trotz verheißungsvollen Titels sich auf die
Aufklärung beschränkt hatte, eine umfassende geschichtliche
Darstellung des Verhältnisses von Kirche und
Volkstum.

Diese zu geben, war vielleicht niemand berufener
als der Begründer der Schriftenreihe „Studien zur religiösen
Volkskunde" und der „Arbeitsgemeinschaft für
religiöse Volkskunde", der sich selbst in Schriften und
Artikeln (Einführung in die V. und rel. V. 1936, Grundzüge
ev. Volksfrörnmigkeit 1937, Sammlung kirchlicher
Sitte 1938) bereits als gründlichen Sachkenner ausgewiesen
hatte. Die Untersuchung hat der Hamburger
Philosophischen Fakultät als Dissertation vorgelegen und
ist erstmalig mit einem größeren Apparat von Anmerkungen
und Literaturnachweisen in der Niederdeutschen
Zeitschrift für Volkskunde erschienen (Jahrg. XIII—XV
1935 bis 37).

J. geht davon aus, daß für weite Strecken der ev.
Kirche zunächst überhaupt nicht von wissenschaftlich-
volkskundlichem Interesse, sondern lediglich von einem
praktischen Verhalten von Kirche und Theologie dem
Volkstum gegenüber die Rede sein kann. Unter diesem
Gesichtspunkt wird im I. Hauptteil die Zeit von Luther
bis zur Aufklärung behandelt. Die Aufklärung bedeutet
einen Wendepunkt. Hauptteil II spaltet sich demgemäß,
sofern einerseits auch wieder die praktische Einstellung
zum Volkstum, daneben aber jetzt seine wissenschaftliche
Erfassung im Rahmen des Kirchlich-Theologischen
in Frage kommt. Verf. unterscheidet zwei Blütezeiten
der theologischen Mitarbeit auf dem Gebiete der
Volkskunde. Die eine beginnt mit Herder und reicht mit
ihren Ausläufern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die zweite läuft von da an, mit einem gewissen Höhepunkt
um die Jahrhundertwende, bis in die Gegenwart.
Die Untergliederung erfolgt hier nicht nach geistesgeschichtlichen
Abschnitten, sondern nach den Quellflüssen,
aus denen der Strom volkskundlicher Arbeit zusammenfließt
. Das Resultat der Untersuchung lautet: Ist die
Stellung der ev. Kirche zum Volkstum mit Ausnahme
Luthers bis zur Aufklärung, ja darüber hinaus, geteilt
und in der Hauptsache gleichgültig, ja einzelnen Sitten
oder dem Aberglauben gegenüber sogar ablehnend gewesen
, so läßt sich seit der Aufklärung vor allem ein
ständig wachsendes theoretisches Interesse an diesen
Fragen konstatieren, so daß ein namhafter Teil der auf
dem Gebiete der Volkskunde bisher geleisteten Arbeit,
wenn auch mit Unterschieden in den einzelnen Abteilungen
, für die Theologie oder doch für Männer, die von
ihr ausgegangen sind, in Anspruch zu nehmen ist.

In einem Augenblick, wo eine Disziplin im Begriff
steht, den ihr gebührenden Platz einzunehmen, aber infolge
von Versäumnissen der Vergangenheit noch über
relativ wenig wirklich geschulte Vertreter verfügt, ist
ein Buch, das auf Grund ausgedehntester Kenntnis des