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Ausgabe:

1940

Spalte:

45-49

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dilschneider, Otto A.

Titel/Untertitel:

Evangelische Offenbarung 1940

Rezensent:

Ratschow, Carl Heinz

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4G

wickelt und damit erst Vertreter der Menschheit im Sinne
der Metaphysik des Prologes werden kann.

Es würde zu weit führen und zugleich den Aul-
gabenkreis dieser Zeitschrift überschreiten, wenn ich
an einer Reihe von Einzelheiten ausführlich erweisen
würde, wie Korff seiner Antithese und geistigen Pa- j
rallele zum Christentum zuliebe eine Reihe von Szenen
der Gocthischen Dichtung in eine einseitige Beleuchtung
rückt. Jedenfalls ist die Hauptschwierigkeit, auf die !
Korff selbst in seinem Nachwort hinweist, dal) „Paust"
ganz allgemein als exemplarischer Gegenstand zur Bestimmung
des humanen Menschen aufgefaßt ist, nicht
restlos überwunden. Es ist gewiß lockend, bei der Motivwelt
dieser Dichtung aus dem Besonderen das Allgemeine
, aus dem Faustproblein die humane Theologie abzuleiten
. Aber der „Faust" ist nicht eine rein philosophische
Dichtung geworden, wie sie einst Schiller
gefordert hat. Sie bleibt ahnlich wie der „Wilhelm Meister
" eine der „inkalkulabelsten Produktionen, man mag
sie im Ganzen oder in ihren Teilen betrachten", vor
allem darum, weil hier wie dort Elemente der vorklassischen
Anschauung in die klassische Dichtung her-
übergenommen werden. Es liegt weiterhin daran, daß
Fausts Gedanken, wie Korff selbst S. 103 hervorhebt,
zwischen Allgemeinem und Besonderem schwanken
und Fausts Lebensanschauung nicht statisch, sondern
dynamisch ist (S. 115). Meine Einwände dürften jedenfalls
gezeigt haben, daß Faust eben nur eine Seite
des humanen Lebensproblems verkörpert und daß sich
das Gesamtbild nur aus einer Gesamtbetrachtung der
humanen Dichtungen der üoethezeit ableiten läßt. Davon
wird aber das Problem der „humanen Theologie"
nicht berührt, weil sie autonom dasteht. Sie läßt sich
nur aus dein „Faust" ableiten, und Korffs Darstellung
dieses Problems bleibt durchaus zu Recht bestehen.

Alle meine Bedenken und Einschränkungen sollen
und wollen den Wert von Korffs Werk nicht
herabdrücken. Es ist ein neuartiger Versuch zur Betrachtung
von Goethes Lebenswerk und zu einer zeitlosen
Erfassung seiner Probleine, ein Buch, das eine
sehr ernsthafte Beschäftigung verlangt und das darum
auch ausführlicher besprochen werden mußte.

München Hans Heinrich Horch erdt

Frischmuth, Lic. theo). Oertrud: Glaube und Leben bei Eva

von Tiele-Winckler. Ein Beitrag zur Frage des Verhältnisses von

Rechtfertigung und Heiligung. Gütersloh: C. Bertelsmann 1938. (40 S.)

8° = Beitr. z. Förderg. christl. Theol. 40. Band, 3. Heft. RM 1—.
Die Untersuchung geht von der durch Köberle gegebenen Problemstellung
aus und gelangt zu dem Ergebnis, dali Eva von Tiele-Winckler
Rechtfertigung und Heiligung In ihrem sachlich unzertrennlichen Ineinander
richtig erkannt hat. Der 2. Abschnitt über „die Versuche der
Selbstheiligung" übersieht die durch und durch katholische Art dieses
Weges, der sich aus dem Einflul! der katholischen Mutter erklärt. Ferner
hätte nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, wie E. v. T.-W. durch Friedrich
von Bodelschwingh von dieser Art befreit worden ist. Das religionspsychologische
Problem, das durch diese eigengeprägte Persönlichkeit
gestellt worden ist, wird nur gestreift (S. 27). Dagegen kommt
ihre „Christinnigkeit" und ihre Anschauung vom Wirken des heiligen
Geistes treffend zur Geltung, unter besonders starker Heranziehung ihrer
Dichtungen. Der letzte Abschnitt: „Die Heiligung als Ja des gerechtfertigten
Menschen zu dem Tun Gottes" läßt erkennen, daf! in der Betonung
der „Hingabc" mindestens die Gefahr einer Verdunkelung der
Alleinwirksamkeit Gottes in E. v. T.-W.'s Frömmigkeit gelegen hat.

Göttingen Martin Gerhardt

5- YSTEMA TISCHE THEOLOG IE

Dilschneider, Otto: Evangelische Offenbarung. Die Grundlagen
der evangelischen Theologie. Gütersloh: C. Bertelsmann [o. J.].
(VIII, 202 S.) gr. 8°. RM 5.50; geb. RM. 7.50.

Zwei große Behandlungskomplexe stellt Verf. für
die Offenbarungsfrage heraus: 1) Das „Heilserkennen"
(in „Die exegetischen Grundlagen der Offcnbaruugstra-
ge"); 2) Die „Heilswirklichkeiten" Gottes (in „Die
biblisch - systematische Entfaltung der Offenbarungsla-

lage"). Hieran schließt er 3) eine „Besinnung" über
Wesen und Bedeutung der evangelischen Theologie. Der
erste Teil bringt zunächst eine Behandlung von I. Kor-
2, 6 f. Für die dort genannte Sophia in Verbindung mit
den Versen 10 ff. desselben Kapitels, die als erkenntnistheoretischer
Grundsatz für das Heilserkennen, daß Gleiches
nur von Gleichem erkannt werde, ausgewertet
werden, zieht Verf. folgenden Schluß über das Heilserkennen
: „Wir müssen im Heilserkennen das Subjekt
- Objekt - Verhältnis aufgeben. Gott ist in der
Heilserkenntnis niemals Objekt, weil er in der Kraft
des Heiligen (ieistes die Heilserkenntnis seiner selbst
(als Heilswirklichkeit) wirkt. Und ebendeshalb bin ich
auch nie Subjekt der Hcilserkenntnis, denn nicht ich bin
es, der irgendwie aktiv diese Erkenntnis vollzieht, sondern
diese Erkenntnis wird an mir in völlig passiver
Haltung vollzogen. Wir stehen damit vor einem Zerfall
des Objekt-Subjekt-Verhältnisses schlechthin" (S. 72).

Wie Verf. hier das Objekt-Subjekt-Verhältnis abweist,
so macht er es in einem Anhang auch mit dem Versuch,
dasselbe als Ich-Du-Verhältnis zu interpretieren, indem
i er meint: „Das Ich-Du ist dadurch gekennzeichnet, daß
sich damit das Ich verdoppelt hat in ein Eigen-Ich und
[ ein Fremd-Ich, sodaß sich nun zwei Ich als völlig glei-
che Gegenspieler entgegentreten" (S. 197). Dies ist eine
i Behauptung des Verf., die nur anzeigt, daß vom Verf. die
1 Verwendung des Ich-Du zur Verständlichmachung der
; sogen. Hcilserkenntnis als eine Ich-Verdoppelung angesehen
wird, was gerade in Hinsicht auf die vom Verf. zu
! schreiben in Aussicht genommene Ethik recht bedauerlich
erscheinen muß. Er beweist aber im theologischen
Sprachgebrauch seine These nicht, und gerade die Zitierung
Fr. Gogartens in diesem Zusammenhang hätte ihn
gegenüber derselben sehr vorsichtig machen müssen.
; Was nun tatsächlich mit der Abstoßung des Objekt-Sub-
I jekt-Verhältnisses wie des Ich-Du für das Theologische
| Erkennen geschehen ist, und was die eigentliche Meinung
solchen Denkansatzes sein muß, lehrt der vom Verf.
selbst gezogene Schluß: „Mit dem Zerfall des Objekt-
Subjekt-Verhältnisses für das Heilserkennen ist also auch
die Autlösung der raumzeitlichen Daseinsform unweigerlich
verbunden. Die Heilswirklichkeiten und das ihnen
zugeordnete Heilserkennen liegen nicht in rauinzeitlichen
; Bindungen" (S. 73). Dieser Schluß ist zwar in Hinsicht
auf den Denkansatz konsequent. Es ist jedoch schwer
zu verstehen, wie Verf. gerade an Hand einer Exegese
von I. Kor. 1 und 2 solchen Schluß ziehen kann, ohne
durch die Texte auf eine Unstimmigkeit im Ausatz geführt
zu werden. Denn dieser Schluß heißt ja doch tatsächlich
nichts anderes als leugne n, daß Jesus von
Nazareth, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde,
Bedeutung für das Heilserkennen besitzen kann. Paulus
jedenfalls verflüchtigt das Geschehen um Jesus — eben
das worauf sein Glaube und sein gläubiges Erkennen
ruht — nicht in eine Heilswirklichkeit jenseits von Raum
| und Zeit.

Wir wenden uns dem zweiten Abschnitt zu: über das
alttestamentliche swb und das neutestainentliche meta-
noein. Die Umkehrforderung des Neuen Testamentes
und der Propheten wird vom Verf. in bekannter Weise
richtig abgesetzt gegen die veräußerlichte Bußforderung

I des Spätjudentums und des Frühkatholizismus. Die Uin^
kehrforderung hat eben nichts zu tun mit dinghaftem

Bußvollzug. Richtig nimmt auch Verf. die Beziehung
der Umkehr auf den ganzen Menschen auf, daß also das

Denken mit in die Unikehrforderung eingeschlossen ist.
Als Folge dieser Umkehrforderung zieht er den Schluß:
Jedes gegenstandsbezogene Denken hört auf, das aber
heißt, daß sich auch von hier aus ergibt, daß „für das
Objekt-Subjekt-Verhältnis mit seiner ganzen Raumzeit-
bezogenheit kein Raum mehr ist" (S. 88). Es sei angemerkt
, daß Verf. empirisches und gegenstandsbezogenes
Denken gleichsetzt, was auch für den Raum philosophischen
Denkens weithin ein Irrtum ist, für gläubiges Denken
aber ganz und gar nicht zutrifft.