Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940

Spalte:

42-45

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Korff, Hermann A.

Titel/Untertitel:

Faustischer Glaube 1940

Rezensent:

Borcherdt, Hans Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

41

12

schüler Kastil zeigt Hartlich das Fehlverständnis der
Nikomachischen Ethik seitens Brentanos in der Hinein-
interpretierung Brentanoscher Gedanken in Aristotelische
Philosophie (29 ff.). Die Differenz /wischen Brentano
und Aristoteles wird darin gesehen, dali Brentano
in der Erlebnisqualität der intentionalen Akte sowohl der
Logik als auch der Ethik das abschließende Kriterium
erblickt, damit den Begriff des Guten der Psychologie
ausliefernd, während Aristoteles das Sittliche auf eine
Reihe gegenständlich erfaßbarer Bestimmungen ("lelos,
Ergon, Mesotcs) gründet, somit von letzten ontologi-
schen Voraussetzungen herkommend. Die Frage nach
der Gültigkeit ethischer Normen wird von Aristoteles
gelöst in einer genialen Kombination der protagoräischeu
Bestreitung uberindividueller ethischer Nonnen und der
platonischen Loslösung des Guten an sich von der Sphäre
menschlicher Wahrbewertung. Nach Aristoteles ist
/war das Gute der menschlichen Willkür enthoben,
doch keineswegs aller Beziehungen zum Menschen entrückt
. Aristoteles kann darin als der typische Vertreter
des „Konkret-Allgemeinen" (F. A. Trendelenburg) verstanden
werden. Im zweiten Teil der Hartiichschen Untersuchung
werden Gegensatz und Berührung N. Hart-
nianns mit den Prinzipien des Aristoteles für den Bereich
des Ethischen geprüft. Dabei ist gründlich zu beachten
, dal) die Hart.nannsche Ethik in ihrem Geltuugs-
anspruch an den platonischen Menon anknüpft, in dem
die Apriorität der Sätze der Geometrie am Beispiel des
mathematischen Knaben aufgewiesen wird. Eben solche
Apriorität kommt nach Hartmann auch den Geltungen
der Ethik zu. More geometrico kann sie lehren, was
sittlich gut ist, ebenso wie die Geometrie lehren kann,
was geometrisch wahr ist. Demgegenüber grenzt Aristoteles
seine Nikomachische Ethik in ihrem Geltungsanspruch
scharf ab. In ihr ist das Postulat einer mathematisch
-exakten Ethik aufgegeben. Nicht die Geometrie
ist das Paradigma der Ethik, sondern die Heilkuust.
Hier stehen sich demnach platonische Elemente bei N.
Hartmaiiii und die Aristotelische philosophische Position
im Kampf gegenüber. Der Wertbegriff Hartmanus
findet keine Entspräche in der Nik. Ethik des Aristoteles
. Bei Hartmann schiebt sich das ethische Problem
vom Menschen weg in das Keich der Werte hinein. Aristoteles
dagegen gründet die Ethik auf eine Anthropologie
, von der Frage nach dem Werke des Menschen
ausgehend. Zusammengefaßt liegt der Unterschied zwischen
Hartmann und Aristoteles in der Frage, ob theoretische
und ethische Geltung auf einer Ebene stehen.
Hartmann hat dies bejaht, Aristoteles verneint. Dagegen
gehen beide Denker gemeinsame Wege in der Deskrip-
tion der Mannigfaltigkeit der sittlichen Erscheinungsformen
. Sie beschreiben die Haltung des Tapferen, Gerechten
, Besonnenen usw. Sie sind um eine „Phänomenologie
der sittlichen Wertmaterien in ihrer Mannigfaltigkeit
" (Hartmann) bemüht. Hartlich schließt seine Untersuchung
mit dem Hinweis auf die Probleme, mit denen
sich heute eine Wissenschaft vom Wesen des Menschen
auseinandersetzen muß: Aristoteles hat die Existenz
des Menschen in den Raum zwischen das sensitive
Sein unten und das göttliche Sein oben eingespannt.
Je nach der Ausrichtung auf den einen oder andern dieser
beiden Pole entsteht eine biologische oder eine theologische
Anthropologie. Unter Anerkennung der Bedeutung
jeder biologischen Anthropologie möchte Hartlich
doch die Wesensbestinimung des Menschen von oben,
das heißt von Gott her, gewinnen. An dieser Stelle
bemerken wir, daiß uns Aristoteles ein kritisches Motiv
erster Ordnung für die Hartmannsche Ethik und
Philosophie schlechthin, die wegen ihres untheologischen
Charakters Max Scheler als „ postulatori-
schen Atheismus" bezeichnet hat, in die Hand gibt.
Weil Hartmann die Relation Mensch - Gott - Mensch
verfehlt hat, darum ist sein Daseinsverständnis ein
verkürztes. Das zeigt sich beim Aufbau der Welt
durch ein Schkhtenreich in der Ignorierung der religiö-

I sen Schicht. Daß sie über die Sphäre des geistigen
Seins hinaus etwas sui generis ist, wird nur der' Ungläubige
verkennen können. Eine künftige systematische
Theologie wird philosophtsch-imanente Kritik üben und
theologisch-transzendente Verlängerung solchen Philosophierens
aus der Fülle religiösen Lebens vornehmen
müssen. Daß sie aus der Ontologic Nicolai Hartmanus
viel, sehr viel knien kann und muß, ist ein Zeichen für
die säkulare Bedeutung der Philosophie des großen Berliner
Denkers.
Berlin v. Karowski

Korff, H. A.: Faustischer Glaube. Versuch über das Problem
humaner Lebenshaltung. Leipzig: J. J. Weber 1938. (16S S.) 8°.

RM 4.60; geh. RM 5.60.
Man hat Goethes „Faust" oft genug als die „moderne
Bibel" bezeichnet. Das will besagen, daß hier ein
anderer Glaube verkündigt wird als in der christlichen
j Lehre. Diese neue Anschauung, die nicht wie in den
i philosophischen Systemen des deutschen Idealismus lo-
; gisch klar umrissen dasteht, auch nicht theoretisch ge-
j deutet wird, sondern nur als reines Lebensgefühl und
Lebenspraxis der klassischen Dichtung zugrundeliegt,
nennt Korff den „faustischen" öder „humanen" Glau-
I ben. Seiner „theologischen" Bestimmung dient das Buch;

und die Schwierigkeit von Korffs Lösung lag vor allem
; darin, daß etwas Allgemeines, der humane Glaube, an
: etwas Besonderem, Goethes „Faust", lebendig zu ent-
i wickeln war (Seite 167).

Korff geht dabei aus von der Antithese zum christlichen
Glauben. Das christliche Leben hat einen transzendenten
Sinn, und eben der ist der Inhalt des christlichen
Glaubens. Der faustische Glaube dagegen beruht auf
der Überzeugung von dem immanenten Sinn des Le-
: bens. Er leugnet nicht die Denkbarkeit auch eines
I transzendenten Sinnes, läßt ihn aber als etwas Uner-
j kennbares auf sich beruhen. Eines aber ist entscheidend:
j Der humane Mensch hat sieli losgerissen von jeder
erkennbaren Verbindung mit Gott. Er ist also der auf
I sich und seinen Geist gestellte Mensch.

Diese Gegensätzlichkeit zwischen christlichem und humanem Glauben
wird gerade am Stoff von Goethes Lebcnsdichiung besonders
deutlich, weil die christliche Faustsage ursprünglich eine abschreckende
Darstellung des humanen Glaubens ist, die uns zeigt, wie der
Mensch, der sich vom Mutterschoß der christlichen Kirche loslöst, notwendig
dem Teufel verfällt. Die Rettung des Faust, wie sie schon
Lessing ins Auge gefaßt und Goethe verwirklicht hat, bedeutet dagegen
die bewußte Verklärung und Bejahung des humanen Glaubens.
Von vorn herein liegen dabei dem Charakierbilde des Faust zwei sehr
I verschiedene Motive zugrunde: Maßloser Lebcusdrang und titanischer
[ Erkenntnisdrang. Beide Triebe sind, wie Goethe einmal an Schiller
schreibt, so alt wie die Menschheit überhaupt. Sie führten zum Sündenfall
und im besonderen Fall des faustischen Menschen zum Teufelspakt
, da die Erfüllung der Sehnsüchte dem Menschen aus sich allein
heraus nicht möglich ist, womit freilich die ersehnte Selbständigkeit
in problematischer Beleuchtung erscheint. Die Umgestaltung der
Faustsage sucht aber zu erweisen, daß der Mensch trotz des Teufel**
J bündnisses sich zu einem Gott wohlgefälligen Leben durchringen kann,
wenn er das Höchstmaß des humanen Glaubens zu erreichen vermag.
Notwendig muß darum auch der Tcufelspakt vom humanen Standpunkte
aus in einer durchaus anderen Beleuchtung erscheinen als in
der christlichen Anschauung. Er bedeutet nicht mehr eine Verbindung
mit dem Bösen, sondern der humane Mensch sucht mit Hilfe des
Teufels das Wesen der Natur zu ergründen. Seine Beweggründe sind
1 daher rein ideeller Art. Die Voraussetzung dazu bildet der „Titanismus
", d. b. der Wille, sich über die engen Grenzen des Menschen-
! tums zu erheben, worin, christlich gesehen, eine Empörung gegen die
' von Gott gesetzten Schranken vorliegt. Der Teufelspakt gewährt dem
! Philosophen die Erfahrung, aber er wird von Faust auf der Stufe
j seines tiefsten Pessimismus abgeschlossen in vollem Bewußtsein, daß
| er keine Befriedigung zu gewähren vermag. Damit verliert er gegenüber
der alten Faustsage seine zentrale Bedeutung. Korff deutet die
Wette als Selbstbetrug des humanen Menschen, der trotz aller Enttäuschungen
nach dem Leben drängt, weil er den Glauben an die
Möglichkeit des humanen Lebens nie verliert. Und wenn auch am
Schlüsse Faust sieghaft bleibt, so ist das Werk doch gerade darum
eine Tragödie, weil es die Unerfüllharkeit der Sehnsüchte des humanen
Menschen veranschaulicht.