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Ausgabe:

1940

Spalte:

39-40

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Haering, Dr. Theodor L.

Titel/Untertitel:

Hegel, Sein Wollen und sein Werk 1940

Rezensent:

Schultz, Werner

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39

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. l/2

40

Hae ring, Dr. Theodor L.: Hegel. Sein Wollen uud sein Werk.
Eine chronologische Entwicklungsgeschichte der Oedanken und der
Sprache Hegels. II. Bd. Leipzig: B. O. Teubner 1938. (XIX, 525 S.)
gr. 8°. RM 22 -; geb. RM 25—.

Dieser zweite Band soll der Abschluß eines Werkes
sein, das H. vor neun Jahren mit seiner umfassenden
Darstellung der Jugendentwicklung Hegels begann. Die
Aufgabe, die H. sich gestellt hat, ist nun, den Nachweis
zu bringen, wie das Hegeische System „ganz und ohne
Bruch" aus den ersten Arbeiten der Jugend herauswächst
, wie dann aber trotz der Einheitlichkeit und Geschlossenheit
des Qesamtaufbaus dies System doch grössere
Wandlungen durchgemacht hat, als .bisher allgemein
angenominen wurde. Zu diesem Zweck werden im wesentlichen
nur Schriften, Vorlesungen und Entwürfe der
Jenaer Zeit, die noch vor dem Erscheinen der Phänome-
logie liegen, in die Untersuchung hineingezogen. So ist
über die Hälfte des Bandes der Analyse des ersten Je-
nenser Systems von 1802 gewidmet, das von Lasson in
der Philosophischen Bibliothek bei Meiner unter dem
Titel „Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie
" herausgegeben wurde. In dem zweiten Teil des
Werkes wendet sich die Untersuchung dann besonders
den „Schriften um das System der Sittlichkeit" (darunter
besonders der „Schrift über die Verfassung Deutschlands
") zu, weiter dem zweiten (1803) und dritten Jenenser
System (1804/05), um zuletzt mit einem Ausblick
auf die Phänomenologie des Geistes das Ganze zu
beschließen. Wenn auch in all diesen Schriften die
Grundthematik der Philosophie des reifen Hegel schon
beschlossen liegt, und wenn sich der Verf. bei seinen
Einzelanalysen auch immer wieder bemüht, die Linien
der späteren Entwicklung Hegels aufzuzeigen, so entsteht
in dein Leser doch der Wunsch, daß nochmals
auch die logischen, geschichts- und religionsphilosophischen
Hauptwerke des reifen Philosophen ebenso exakt
interpretiert werden, wie in dem vorliegenden Werk
die Schriften der Jenenser Zeit gedeutet wurden. Jedenfalls
scheint uns erst dann der Hauptzweck der großen
Arbeit Haerings, „das Wollen und das Werk Hegels in
seinen Grundzügen sachlich und sprachlich zu klären"
(V), erfüllt zu sein. Entwickelt doch der eigentliche Hegel
in den Schriften seiner späteren Zeit eine solche
Fülle reicher und bedeutsamer Gedanken, die sich aus
dem Jenenser Schrifttum einfach nicht ableiten lassen,
daß sie von sich aus ohne weiteres zu einer besonderen
Untersuchung auffordern.

Natürlich wird dadurch der Wert des vorliegenden
Werkes nicht im mindesten eingeschränkt. Wie wichtig
gerade eine sachliche Durchleuchtung der Jenaer Schritten
ist, die die entscheidende Brücke bilden zwischen den
Jugendschrilten und der späteren Systematik, ist heute
allgemein erkannt. Sind es doch in der Tat diese Schriften
, die das Werden und Wachsen der großen Grundmotive
der Philosophie Hegels besonders sichtbar werden
lassen und darum besondere Beachtung verdienen. Vor
allem deshalb ist es zu begrüßen, daß H. diesen, wohl
wichtigsten Abschnitt der Entwicklung Hegels in das
Zentrum seiner Untersuchung gestellt hat. Er verfährt
dabei im wesentlichen so, daß er sich auf eine Sinndeu
tung des gewaltigen Gedankenreichtums beschränkt, den
Hegel in den genannten Schriften gestaltet hat. Seine
in der Einleitung hervorgehobene, im Grunde ablehnende
Haltung der Philosophie Hegels gegenüber, die dem
irrtümlichen Glauben verfallen war, ein Ganzes zu besitzen
, das in Wahrheit nicht für einen Menschen, sondern
nur für einen Gott gemacht sei, tritt bei der Ausführung
der Aufgabe fast völlig zurück. H. will unmittelbar
in den Sinn der Schriften Hegels hineinführen,
diesen Sinn aufzeigen, interpretieren, um so die Grund-
kategorien des Philosophen in ihrem „An sich" dem Leser
sichtbar zu machen — eine ungeheure Arbeit, wenn
man bedenkt, welche enormen Schwierigkeiten die zu interpretierenden
Texte dem Verstehen entgegensetzen.
Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu können, muß

man sagen, daß H. dies Ziel in musterhafter Weise erfüllt
hat. Der Leser wird nicht nur in die Bedeutung

{ der einzelnen tragenden Begriffe der Hegelscheu Philosophie
eingeführt, sondern er empfängt auch eine lebendige
Anschauung von dem Aufbau und dem Sinn ihrer
Ganzheit, ihren Wandlungen und Dissonanzen, sowie
ihren Beziehungen zu Plato und Aristoteles, Kant und
Schelling. Mit allen Teilen dieser Ganzheit, von der Naturphilosophie
bis zur Staatsphilosophie, wird der Leser
bekannt gemacht. Den größten Raum der Untersuchung
nimmt die Analyse der naturphilosophischen uud logischen
Grundbegriffe ein. Dagegen werden die Geschichts
- und religionsphilosophischen Zusammenhänge,
die bekanntlich damals von Hegel noch nicht syste-

j matisch durchgearbeitet waren, nur am Rande vermerkt.
Gerade hier aber brechen, wie man weiß, die Probleme
auf, die sich dann immer wieder zu der Kernproblenuitik

! sammeln, wie der philosophische Logos mit dem spröden
, eigenwilligen Material der Wirklichkeit zu verbinden
sei. Zeigt sich doch hier besonders, wie die Dialektik
der Vernunft und die Dialektik der Sachen doch nicht

i eine, wenn auch — wie Hegel meinte — bewegliche
Einheit bilden. Wenn daher H. am Ende seines Werkes
meint, daß gegen die alte These Hegels nichts einzuwenden
sei, daß die begriffliche Erfassung des Absoluten
das Höchste sei, zu dem auch die Religion hinausdrän-

• gen müsse, dann muß gerade diese These von uns in

} Frage gestellt werden, und zwar, wie schon Schleierma-
cher hervorgehoben hat, der Sache der Religion seii-st

i wegen, die eine eigene Ratio hat, die die Vernunft nicht

! kennt.

Man sieht also, wie letzte Probleme dort aufbrechen,
wo Haerings Werk endet. Umsomehr wäre es zu wün-
j sehen, daß H., der sich durch dies Werk als einer der
i vorzüglichsten Hegel-Interpreten unserer Tage ausgewiesen
hat, uns selbst noch die sachlich gebotene Fortfüh-
I rung seiner Hegel-Interpretation schenkte. Aber auch
i wenn ihm das nicht mehr möglich sein sollte, stellt der
vorliegende zweite Band eine Leistung dar, an der niemand
wird vorbeigehen können, der sich ernstlicher
mit Hegel beschäftigen will.

Kiel Werner Schultz

Hartl ich, Christian. Die ethischen Theorien Fr. Brentanos
und N. Hartmanns in ihrem Verhältnis zu Aristoteles. Würzburg
: K. Triltsch 1939. (II, 88 S.) 8°. RM 3-.

Im 19. Jahrhundert erkannten zwei Denker, gestützt
auf eine gründliche Kenntnis des Aristoteles, die Not-
j wendigkeit, die philosophische Besinnung auf Aristoteles
j hinzulenken. Es waren Franz Brentano und Friedrich
i Adolph Trendeleniburg. Zum Schicksal der Philosophie-
I geschichte gehörte es, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts
diese Weckrufe (namentlich F. A. Trendelenburgs,
des großen Logikers der Berliner Universität) verhallten,
j Als im 20. Jahrhundert die phänomenologische Schule
in Max Seheler an der Sollensethik Kants ihre aufrüt-
: telnde Kritik übte, da hat sie nicht an den Stagiriten und
dessen große Nikomachische Ethik angeknüpft. Erst in
Nicolai Hartmanns Ethik liegt diese Anknüpfung vor.
Es handelt sich dabei um folgendes Problem: Haben die
j moralischen Ideen ein Dasein an und für sich oder sind
j sie Ergebnisse der jeweiligen geschichtlichen Entwiek-
| lung einer jeweiligen Menschenwelt? Diese Fragen hat
j Franz Brentano in seiner Untersuchung „Vom Ursprung
sittlicher Erkenntnis" (1889) im ersteren Sinne zu lösen
versucht, indem er den ethischen Sätzen eine gleiche
axiomatische Geltung wie denen der Logik zuschrieb.
Hartlich weist in oft recht scharfsinniger immanenter
Kritik dieses Werkes nach, daß Brentano sich einer Ge-
bietsüberschreitung schuldig gemacht hat. Es ist unmöglich
, von der Analyse der wahren Urteile in den Bereich
der sittlichen Geltungen vorzudringen. Diesen Fortschritt
konnte Brentano nur mit Mechanisierung und
Matheinatisierung ethischer Phänomene erkaufen. Im
Anschluß an die Auseinandersetzung mit dem Brentano-