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Ausgabe:

1940

Spalte:

37-38

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Maier, Anneliese

Titel/Untertitel:

Das Problem der intensiven Grösse in der Scholastik 1940

Rezensent:

Hartmann, Helfried

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 1/2

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bestehen bleiben; aber die Macht der Freiheit ist gesichert
in der Hinwendungsmöglichkeit zu diesem oder
jenem Out.

In den weiteren Teilen ihres Buches stellt Magna
Ungrund den „Menschen im Kosmos", den „Menschen
in der menschlichen Gemeinschaft" und „Mensch und
Gott" dar. Darnach ist der Mensch das Werk der Werke
Gottes. Im hierarchisch gegliederten Sein steht der
Mensch au der Spitze der Schöpfung. Er ist deshalb
Opus operis üei, „weil Gott ihn immer in ewiger Gegenwart
vorhergeschaut, weil der Mensch, wie Hildegard
symbolisch sagt, ,in Gott wohnte und Gott seiner nie
vergaß'." Die Geschöpfe alle sind auf den Dienst am
Menschen eingestellt. Mit dem Sündenfall aber geschah
die kosmische Katastrophe; die Ordnung wurde verkehrt
und das Sein profaniert.

Alle Probleme der Stellung des Menschen in der
menschlichen Gemeinschaft lösen sich für Hildegard
aus und in dem Verhältnis der gefallenen Menschenwelt
zu dem sie erlösenden und rettenden Gott. Aus diesem
Verhältnis ergibt sich die „universale Gemeinschaft", die
geistig-religiöse, die von der Kirche geschaffen, und die
„natürliche Gemeinschaft", wie sie in der Volksgemeinschaft
erscheint. Die Verschiedenheit der Völker und
Stände ist in der Schöpfung allem Menschendasein zugrundegelegt
. Daraus ergibt sich auch die Ehe als eine
die Tiefen menschlichen Daseins formende Gemeinschaft.

In dem Abschnitt über „Mensch und Gott" stellt
Magna Ungrund Hildegards Auffassung von der „Imago
Dei" und der „Similitudo Dei" dar. Imago Dei, d. i.
Abbild Gottes zu sein, ist des Menschen innerstes und
allerletztes Wesen, wie Christus das Urbild aller menschlichen
Abbilder ist. Die Similitudo Dei, das Aitähneln
des Menschen an Gott erweist sich in seinem Erkennen
und Wollen, das ein Teilhaben am göttlichen Geistesleben
ist. Die Schöpferkraft der Seele ruht im „inneren
Wort", und Hildegard legt die Vernunft, „eine feurige
Flamme", als das Abbild des Vaters, das Wort als das
des Sohnes aus. In der Feuerflamme der Vernunft ruht
die Liebe; doch bleibt zwischen Mensch und Gott, so
wie sich des ersteren Erdenverhältnis zu ihm auftut, ein
unüberbrückbarer Abstand, der allein in unendlichem
Streben überwunden werden kann durch das menschliche
Sollen, wie es im Heilsplan festgelegt ist.

Die ganze Arbeit Magna Ungrunds zeichnet sich
durch große Klarheit, Übersichtlichkeit und die Kunst
aus, das Wesentliche knapp und glücklich formuliert
darzustellen. Dabei hilft ihr sehr die reiche Geistesweli,
in der sie lebt, und die man als wesensverwandt mit der
hl. Hildegard verspürt- Forscher, die von anderen Standorten
her an die Werke Hildegards an eine gleiche Untersuchung
herangehen würden, dürften manches andere
noch als wichtig herausholen. Auf jeden Fall bedeutet
Magna Ungrunds Leistung eine wirkliche Bereicherung
von unserer Kenntnis dieser großen deutschen Frau.
Hamburg-Altona Paul Th. Hoff m a n n

Maier, Anneliese: Das Problem der intensiven Größe in der
Scholastik. (De Intensione et nemissione formarum). Leipzig:
H. Keller 1939. (78 S.) gr. 8" = Veröff. d. Kaiser Wilhelm - Instituts
f. Kulturwiss. im Ralazzo Zuccari Rom. Abhandlungen. RM 3.50.

Qualitäten (Gerechtigkeit, Weisheit; Wärme, Röte)
können bei Wahrung ihres spezifischen Wesens verschiedene
Grade (Intensitäten) annehmen. Das Problem, das
damit gestellt ist, tritt in der Scholastik einerseits in der
Erörterung der aristotelischen Kategonenlehre, andererseits
bei der Lehre von der Gnade (Charitas) auf, deren
Gradabstufung mit ihrer Wesenseinheit zu vereinbaren
war; die beiden Fragen wachsen erst in der Hochscholastik
zusammen. — Soll man also sagen, daß die qualitus
selbst, oder nur, daß das quäle (der Gerechte, das Warme
) ein Mehr oder Minder annehme? Die Steigerung
und Minderung (intensio et remissio) würde im ersten
Fall die Form selbst treffen (secundum cssentiam erfolgen
), im zweiten Fall nur die Teilnahme an ihr (secundum
parüelpationem). Die Teilnahme ist, von der Form
aus gesehen, Inhaerieren (inhaesio, inesse); vermengt
man dieses (zum Sachlichen, zum Sosein gehörige) Einwohnen
mit der (modalen) Daseinsart (inessc = existere
in alio), so nimmt obige Alternative die Form secundum
essentium — secundum esse an. Entscheidet man sich
für die Intension der essentia selbst, so muß man dieser
entweder eine dafür Spielraum lassende Unbestimmtheit
(latltudo) vindizieren, oder man muß die Intensitäten
als individuelle Differenzen einschätzen, sie also den
Formindividuen vorbehalten. Tut man letzteres, so bleibt
wieder die Doppelmöglichkeit, daß man eine Sukzession
numerisch verschiedener Formindividuen annimmt — diesen
totalen Austausch legt die Analogie mit dem Ortswechsel
bei der Bewegung nahe —, oder aber ein Wachsen
und Abnehmen desselben Formindividuums durch
zu- und abtretende „Teile". Die Diskussion dieser und
noch feinerer Distinktionen verfolgt die Verfasserin
durch die ganze Scholastik. Im Occamismus wird die
ontologische Deutung einerseits durch die rein sprachliche
(„sermozinale") Betrachtungsweise, andererseits
durch die Akzentuierung der empirischen Tatsächlich'keit
der Intensitätsabstufungen zurückgedrängt, was in der
neuzeitlichen Zurechnung der Qualität und Intensität zur
„Materie der Empfindung" nachwirkt; damit knüpft die
Verfasserin an ihre frühere Arbeit „Kants Qualitätskategorien
" (1930) an. Dem Occamismus ist aber auch
das Problem der räumlichen oder zeitlichen Intensitätsverteilung
und deren graphische Symbolisierung zu verdanken
— also gewisse Anklänge an die neuzeitliche
mathematische Naturwissenschaft. Der Wert dieser Ansätze
ist freilich für die Bewältigung der Intensität so-
| wohl in ontologischer wie in metrischer Beziehung ge-
| ring, und der Anteil dieser Behandlung des Intensitäts-
| problems am Werden der neuen Wissenschaft wenig erheblich
; hierin berichtigt also die Verfasserin die von
I Pierre Duhem aufgebrachte Anschauungsweise. Es ist
überhaupt zu begrüßen, daß mit dieser Arbeit ein Ge-
j biet, das bisher wesentlich eine Domäne französischer
Forscher war, auch von deutscher Seite gründlich in Angriff
genommen ist, wozu die Verfasserin ja besonders
berufen war, nachdem sie das Werden der neuen Naturbetrachtung
erst vor kurzem („Die Mechanisierung des
I Weltbilds im 17. Jhdt." 1938) durchleuchtet hatte
j Auch die vorliegende Arbeit ist durch um tassende
! (z. T. handschriftliche) Quellenbenutzung und durch eine
mit Knappheit und Präzision verbundene Klarheit ausgezeichnet
; sie kann auch dem in der Scholastik Unbcwan-
derten verständlich sein und ihm ein vorteilhaftes Exem-
pel der damals geübten Begrifflichkeit und Methode in
, ihrer auch heute noch fruktifizierbaren Gründlichkeit
I und Schärfe vorführen. — Was das Sachproblem selbst
j betrifft, so scheint mir die Frage der numerischen Iden-
j tität sukzessiver intensitätsdifferentcr Phasen auf den
Begriff der Phasenscharung („Genidentität"; vgl. Günther
Jacoby, Ontol. d. Wlrklichk. II 587) zu führen;
als Formindividuum im strengen Sinn kann dann nur die
einzelne Phase einer Qualität gelten. Auch so bleibt das
Hauptproblem, wie sich in ihm die Qualität und die Intensität
verhalten und ob letztere eine Art der Quantität
ist, bestehen. Ich bin geneigt zu sagen, daß die Intensität
in ähnlicher Weise das Ausmaß (die „Quantität
") der Qualität ist, wie die „extensive" Quantität
das Ausmaß der Ausdehnung ist (also nicht unmittelbar
die Substanz, sondern deren Prhnärattrtbut
Ausdehnung determiniert; es wirkt eben m. E. bis heute
irreführend, daß die aristotelische Tradition die Aus-
( dehnung, weil sie Quantität hat, selbst als extensive
Quantität rechnet). Die Urform der Quantität ist freilich
die numerische, also diskrete Quantität; auch sie
■ aber ist schon ein accidens accidentis, nämlich sozusagen
„Ausmaß der Geteiltheit" eines Komplexums. Doch die
systematische Klarstellung geht ja schon über das Thema
unserer Schrift hinaus.

Berlin Helflied Hartmann