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Ausgabe:

1940 Nr. 12

Spalte:

379-381

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Craemer, Rudolf

Titel/Untertitel:

Deutschtum im Völkerraum 1940

Rezensent:

May, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 12

380

barkeit der Materie und der völligen Passivität des In-
tellectus agens sowie ein rationalistischer Erkenntnis- und
Wissensbegriff, den Aquinaten nicht zur richtigen Lösung
des Universalienproblems gelangen ließen. Die Konsequenz
seiner Lösung ist der Ultrarealismus: Forma est j
de se universalis (S- 270). Dieser Piatonismus steht i
bei Thomas unvermittelt neben der biblischen Schöpfungslehre
, die keinen Dualismus von Form und Materie
kennt und die letztere, weil gottgeschaffen, weder für [
unerkennbar noch für unwertig hält. Zwar bemüht sich
Thomas um einen Ausgleich zwischen beiden Geisteswelten
. „Allein trotz allen Ansätzen nimmt der Heilige noch
zuviel spezifisch Platonisches in sein System auf" (S.
272). Dieses Resultat stimmt vollkommen zusammen mit
dem Ergebnis meiner fast gleichzeitig erschienenen Untersuchung
: „Piatonismus und Prophetismus. Die antike
und die biblische Geisteswelt in strukturvergleichender
Betrachtung" (München 1939, S. 158 ff.). Daß meine Analyse
und Kritik der thomistischen Ideenwelt in dem ge- |
nannten Buche von Seiten eines Mitgliedes der Gesell- j
schaff Jesu eine Bestätigung erfahren würde, hatte ich,
offen gestanden, nicht zu hoffen gewagt.

Köln Johannes Hessen 1

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Craemer, Rudolf: Deutschtum im Völkerraum. Geistesgeschichte
der ostdeutschen Volkstumspolitik. I. Bd. Stuttgart: W. Kohlhammer
1938. (X, 420 S.) gr. 8°. RM 12-; geb. RM 13.50.

Das großangelegte Werk Craemers, dessen erster
Band vorliegt, darf man als den wichtigsten Beitrag
der letzten Jahre zu den neuerdings so viel behandelten
deutschen Ostfragen ansehen. Seine Bedeutung liegt
ebenso sehr auf dem Gebiet der Geistesgeschiclite wie
der Klärung volkspolitischer Fragen und Aufgaben. Es
ist mit umfassender Sach- und Literaturkenntnis aus den |
Quellen gearbeitet und in klarer kraftvoller Sprache geschrieben
. Es behandelt die Verflechtung des deutschen
Volkes mit dem ostmitteleuropäischen Völkerraum und
damit die Frage, die der sich dauernd wandelnde Osten
seit mehr als 1000 Jahren den Deutschen immer neu
stellt, die Frage nach dem eigenen Volkstumsreeht der
Deutschen und nach dem deutschen Amt an der Völkerordnung
. Das Ringen um die Durchführung dieser Doppelaufgabe
versteht Craemer als die ostdeutsche Volkstumspolitik
. Diese Aufgabe ist eines der großen Themen
der deutschen Volksgeschichte. Und um Volksgeschichte,
nicht um Staats- oder Staatengeschicbte geht es hier.

Das ostdeutsche Schicksal hat von Anfang an den
Doppekharakter von Größe und Gefahr. Im Osten
sind die Völker vermischt, überschiichtet und vielfach
ineinander verflochten. Die Übereinstimmung von Volk
und Vaterland, Nation und Staat, Sprache und Kultur
ist durchaus nicht selbstverständlich. Ihr ständiger Widerstreit
ist die große Not des Ostens. So wird das
Volkstum selbst, sein Dasein und seine Lebensform Gegenstand
der Politik. Der Deutsche ist hier nicht nur
Fremder oder Feind, er ist Nachbar, Mitbewohner des
gleichen Raumes, er hat außer dem eigenen auch fremdes j
und gemeinsames Leben geschaffen und gestaltet. Neben I
der Verantwortung für die Erhaltung und Reinheit der j
eigenen Art steht die geschichtliche Verbundenheit mit
den Nachbarn auf dem gemeinsam erschlossenen Heimat- I
boden und damit die Aufgabe der übergreifenden Frie- I
densordnumg.

Aber Craemer erzählt nicht die Taten und Leistungen i
des Deutschtums im Osten, ihm geht es vielmehr darum,
im Geschehen der Geschichte den Geist zu erkennen, der ;
die ostdeutsche Volkstumspolitik beseelt hat, den leben- j
digen politischen Geist, wie er als innere Haltung der
Handelnden bezeugt ist, und das Bewußtsein ihres Willens
, mit dem sie ihre Aufgaben bewältigt, ihre Geschicke
bestanden, ihre Ziele gesteckt haben. So sammelt
Craemer aus mehr als tausend Jahren Zeugnisse,
in denen die Meinung und Gesinnung der Verantwortlichen
zum Ausdruck kommt, ihre Triebkräfte und Absichten
, rückschauende Rechtfertigung und Vorspüren
zukunftweisender Ideen.

Aus diesen Zeugnissen aus mehr als zehn Jahrhunderten
, so vielgestaltig, ja widersprechend sie im einzelnen
erscheinen mögen, formt sich das eindrucksvolle
Bild einer tief sinnvollen Einheit unserer Volksgesehichte.
Der Schicksalsgang des deutschen Gesamtvolkes ist gerade
im Verhalten gegenüber dem Ostraum bei aller
Zerrissenheit der Teile von einer überraschenden Gleichläufigkeit
. Nicht nur kraft der Geineinschaft der naturgeprägten
Art, sondern auch kraft des Gesetzes, nach dem
unser Volk angetreten und dem es nach allen Selbstent-
fremdungen immer wieder zustrebt, der Idee des Reiches
als der Selbstvollendung des deutschen Volkes und
der Erfüllung seines Amtes unter den Völkern. So wird
Craemers Buch zu einem bedeutenden Beitrag zu einer
künftigen deutschen Volksgeschichte.

In unserem Kreise aber verdient Craemers Werk
besondere Beachtimg deshalb, weil er, der mit den modernsten
Fragestellungen arbeitet, in breitester und verständnisvollster
Weise den Anteil des Christentums, der
Kirche, zumal der Reformation und die politisch prägende
und verpflichtende Kraft des Luthertums bis in
die neueste Zeit hinein aufzeigt und den religiösen
Mächten volle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Er zeigt
unbefangen, wie die Deutschen durch ihre Hingabe
an die Mission zum weltgeschichtlichen Volk auserwälilt
sind. Grenzmark und Mission gehören zusammen. Aus
der missionarischen Volkstumspolitik wird das völkische
Reichsbewußtsein geboren. Die alte Reichsidee ist eine
im Glauben verwurzelte friedliche Völkerordnung. Der
Gedanke der christlichen Gerechtigkeit des Reiches allein
ermöglicht es, die Unterworfenen einer deutschen Friedensordnung
einzufügen. Die Reformation erscheint als
die große Bewegung der Seele, die alle Außenposten
des Gesamtvolkes in ihrem Deutschtum verjüngt. Damals
wurde z. B. in Siebenbürgen der Glaube eigentlicher
Kern des völkischen Daseins. Die deutsche Reformation
erweckt zugleich werdendes fremdes Volkstum
zu Bewußtsein und eigenem geistigen Schaffen. Während
sich der Calvinismus als reichsfeindlxhe Bewegung erweist
(etwa in den ständischen Auflehnungen des böhmischen
und ungarischen Adels), gewinnt das Luthertum
unmittelbare und mittelbare volkspolitische Bedeutung,
das zeigt Cr. in vielen schönen Ausführungen. Aus dem
Raum der Kolonisation und dem Geist der volkstum-
weckenden evangelischen Reformation mit ihrer über-
völikischen Verkündigung ist die Schidksalseinheit des
preußischen Vaterlandes hervorgegangen. Die Erzie-
hungsmacht der evangelischen Kirche prägt das Volk.
Von der Glaubensfrage her wird immer wieder die Sprachenfrage
aufgeworfen — etwa bei den Wenden, Ma-
suren, Polen, Litauen, Letten, wie auch Herders weitwirkende
sprachliche Volkslehre aus der evangelischen
Überlieferung stammt und sein protestantisch bestimmtes
Geschichtsbild das christliche Erbe des deutschen Ostens
mit dem germanischen Charakter und der Kulturidee
verbindet. Cr. zeigt protestantisches Gewissen und evangelische
Frömmigkeit, christliche Bindung und Gläubigkeit
als geschiclitebildende Triebkraft bei den Meisten,
die Volkspolitik gestalteten oder befruchteten. Wir sehen
die eingreifenden Wirkungen der Gegenreformation und
den polnischen politischen Katholizismus. Vor allem aber
wird aus dem deutschen Ringen in Baltenland und Siebenbürgen
im vorigen Jahrhundert die Bedeutungf der
Kirche für Sprachenpflege, Kulturbewußtsein und Volks*
erhaitung klar. Welche Fälle zeitgemäßer Problematik
enthüllt sich, wenn Cr. zeigt, wie etwa Bischof G. D.
Teutsch angesichts der inneren Zweideutigkeit des kirchlichen
Volksamtes um die rechte evangelische Sicht von
kirchlichen und völkischen Aufgaben ringt, oder uns