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Ausgabe:

1940 Nr. 12

Spalte:

370-375

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gigon, Olof

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zu Heraklit 1940

Rezensent:

Luther, Wilhelm

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869

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 12

370

ihr in Gotha zusammenlebenden Tochter mangelhaften
Gesundheitszustand, von dem Verdruß, den ihr deren
drei ungeratene Söhne bereiten, von ihrer Sorge um
ihren Enkel Ernst, Sohn ihres verstorbenen ältesten
Sohnes, der auch nicht gut tun will und für den sie bei
Aug. Herrn, immer wieder um gutes Wetter bitten muß.
Auf einer anderen Ebene bewegen sich naturgemäß
die Briefe Hempels, von denen übrigens 13 in lateinischer
Sprache verfaßt sind, nicht, daß sie nicht auch
sich mit den persönlichen Angelegenheiten des Briefschreibers
befaßten; abgesehen von Anfechtungen, die er
durch die orthodoxen Gegner des Pietismus zu erleiden
hatte, klagt er über unzureichende Besoldung, derentwegen
er sich nicht verheiraten könne, über einen unberechtigten
Abzug an seinem Gehalt durch den Schulleiter
Töllner u. a. Aber den Hauptinhalt bilden 'doch
Fragen sachlicher Art- Singular ist es allerdings, wenn
er von Regensburg aus auf Wunsch seines Herrn Gesandten
anfragt, wie das ih'ijiote in Marc 4,2 zu verstehen
sei. Die meisten beziehen sich auf den Anstaltsbetrieb
der Stiftungen und die pietistische Bewegung.
Unordentliche und liederliche Schüler, die den Unterricht
schwänzen, die der Schule gehörigen Bücher verkaufen
und den Erlös vergeuden oder sich wohl gar aus Halle
entfernen, machen ihm viel zu schaffen. Aber auch die
Präzeptoren sind längst nicht so, wie sie als wiedergeborene
Christen sein müßten. Er hält es für nötig,
sie vermahnen zu lassen, „daß sie in der Disziplin Maß
halten, und die und die Knaben nicht braun und blau
schlagen, wie bisher geschehen", daß sie sich aktiv
an der Betstunde beteiligen, wo es „sehr schläfrig zugehe
." Er beschwert sich, daß ein Kollege ihm seinen
Kirchenplatz streitig macht. Aus solchen und anderen
Mitteilungen gewinnt man den Eindruck, daß auch schon
in der Zeit der ersten Liebe für Fr.s großartige Gründung
das Wort des alten Bodelschwingh zutrifft: „Es
menschelt überall". Es menschelt nach den z. T. in
einem höchst gewundenen Kurialstil geschriebenen Briefen
Albertis, bei dessen Sohn Fr. Taufzeuge war, erst
recht in der hallischen Pfarrerschaft, wenigstens an der
Moritzkirche, wo Fr. sich besonders um die Bereinigung
der durch den Pastor Schwentzel erregten Mißverständnisse
bemühen soll.

Immer wieder wird Fr.s Autorität angerufen, um
Streitigkeiten zu schlichten, würdige Studiosen zu fördern
, unwürdige zu rektifizieren, Hauslehrer und Pfarrer
zu empfehlen. Wie weit sie reicht, ist besonders
aus den Briefen der ausländischen Korrespondenten zu
entnehmen. Sowohl nach Schweden wie nach Rußland
hat die pietistische Bewegung ihre Wellen geworfen
und ist nach dem Tagebuch von Mickwitz auch von
Peter dem Großen beachtet worden. Aus allen Briefen
spricht eine unbegrenzte Verehrung für Fr. allzuhäufig
in Ausdrücken und Wendungen submissester Ergebenheit
, die auf heutige Leser peinlich wirken müssen. Als
Quelle für die Geschichte des Pietismus verdient die
Briefsammlu'ng indes auf alle Fälle Beachtung.
Göttingen E. Rolffs

Hoffmann-Aleith, Eva: Amalie Sieveking. Die Mutter der Armen
und Kranken. Güttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1940). (f0 S.) 8°
= Zeugen der Kirche. Leben u. Werk in Berichten, Briefen, Erzählungen
. Hrsg. v. Hans Maurer. H. 3. RM 1.50; in Subskr. RM 1.20.
In diesem sehr lesenswerten Büchlein macht Verf.
eine jener seltenen Persönlichkeiten lebendig, die wirklich
das Salz der Erde und der Kirche Jesu Christi
stärkste Zeugen sind. Von dem äußeren Lebensgang
der Gründerin und Leiterin des „Weiblichen Vereins für
Armen- und Krankenpflege" in Hamburg wird nur das
Nötigste auf den ersten 10 Seiten erzählt, desto mehr
aber schildert Verf. in eindrucksvoller Weise die rastlose
Tätigkeit und weitreichende Wirksamkeit der Hamburger
Kaufmannstochter Amalie Sieveking. Sehr schön
nachempfunden ist das „Gespräch von der Erlösung"
das A. S. mit dem jungen Rautenberg, dem Freund ihres

früh und unerwartet verstorbenen Bruders hatte und das
von entscheidender Bedeutung für ihr Glaubensleben
war.

Frisch und anschaulich, häufig mit Worten aus den
Schriften von A. S. wird ihre erste, äußerst schwierige
Krankenpflegetätigkeit im Cholerahospital (S. 22—28)
und dann die spätere charitative Wirksamkeit, die der
eigentliche Inhalt dieses reichen Lebens war, erzählt
(S. 28—45). Nicht vom „Wohlfahrtspflege" im modernen
Sinn ist hier die Rede, sondern von echter, gesunder,
! christlicher Liebesbetätigung, wie wir sie uns von vielen
i Gemeinden der ersten Christenheit vorstellen. Es folgen
einige kurze Abschnitte aus der „Fröhlichen Lebensweis-
; heit" und insbesondere aus den „Denkwürdigkeiten" der
| A. S. Tiefe christliche Erkenntnisse, besonders in den
praktischen Lebensfragen werden uns hier in einem ganz
untheologischen Gewände zugänglich gemacht immer als
ein eindeutiges Bekenntnis zu Christus, fern aller Schwär-
' merei und Polemik, aber klar und faßlich für einfache
Gemüter. Der Exeget wird hier manche Anregung finden
. Den Schluß bilden ein Abschnitt aus Wicherns Vorwort
zu den „Denkwürdigkeiten", eine Zusammenstel-
J lung der wichtigsten Daten aus dem Leben von A. S., sowie
ein Literaturhinweis. Das Buch ist keine aus unmittelbaren
Quellen schöpfende Studie, sondern will auf
wenigen Seiten ein möglichst vielseitiges und abgerundetes
Bild der Amalie Sieveking geben und wendet sich
somit an einen weiteren Leserkreis. Besonders wertvoll
sind die vielen und längeren Zitate aus A. Sieveking selber
.

Berlin-Mariendorf Hans Wen dt



PHILOSOPHIE

Gigon, Olof: Untersuchungen zu Heraklit. Leipzig: Dieterichsche
Verlagsbuchhandlung 1935. (163 S.) gl. 8°. RM5—.

Brecht, Franz Joseph : Heraklit. Ein Versuch über den Ursprung der
Philosophie. Heidelberg: Carl Winter 1930. (148 S.) gr. 8".

RM 6 - ; geb. RM 8 —.
Brecht weist in einem der besten Abschnitte seines
Buches, der „Heraklit bei den Deutschen" überschrie-
j ben ist, auf die innere Verwandtschaft des heraklitischen
Philosophierens mit dem deutschen Geiste hin. Diese
besondere „deutsche Heraklitnähe" zeigt sich auch in
der Forschung; denn seit Schleiermachers „Herakleitos"
ist die Heraklitforschung überwiegend eine deutsche Angelegenheit
gewesen, wie ja auch die wichtigsten Entdeckungen
und Erhellungen der erhaltenen Bruchstücke
deutschen Forschern verdankt werden. Kein Wunder,
daß gerade in unseren Tagen die Beschäftigung mit
I Heraklit wieder besonders lebhaft geworden ist! Brecht
I glaubt mit M. Heidegger an eine Erneuerung deutscher
! Wissenschaft aus griechischem Geiste. „Wollen wir also
vorwärts zum Wesen der Wissenschaft im Schickssals-
I räum des deutschen Volkes und Staates, so müssen wir
zurück zum Ursprung der griechischen Philosophie, der in
Parmenides und Heraklit geschieht" (12). Unter diesem
Gesichtspunkt erhalten die vorliegenden Heraklitarbei-
ten Gegenwartsbedeutung und verdienen besondere Auf-
I merksamkeit. Es empfiehlt sich eine vergleichende Be-
I sprechung und Gegenüberstellung, nicht zuletzt deshalb,
I weil die Verfasser auf sehr verschiedenen Wegen zu
ihrem Heraklitbilde gekommen sind.

Gigon will in Auseinandersetzung mit Karl Reinhardts
bahnbrechendein Parmenidesbuche (1916) die Stellung
Heraklits unter den Vorsokratikerii noch einmal neu be-
i stimmen. Reinhardt hatte den Nachweis versucht, daß
H.s Gedanke von der Gegensatz-Einheit des Seins und
Nichtseins, des Werdens und Vergehens philosophisch
erst nach der Lehre der Eleaten möglich sei: „Mußten
nicht erst die Gegensätze als Gegensätze entdeckt, ah;
etwas mit sich selbst im Widerspruche Befindliches
I empfunden und gelehrt werden, bevor die- Entdeckung
ihrer Vereinigung wie eine neue Offenbarung wirken
| konnte?" (220). Die philosophische Entwicklung führt