Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940 Nr. 12

Spalte:

364-366

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bouvier, André

Titel/Untertitel:

Henri Bullinger 1940

Rezensent:

Weber, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

363

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 12

364

führlich an dem Befund des N. T. gezeigt wird. Das Material
wird in 4 Abschnitten — Synoptiker mit Acta und
Jac; Paulus mit Petr; Hebr; Joh — dargeboten.

Daß die Typologie die im Schriftgebrauch des N. T. vorherrschende
Deutungsweise ist, wird zunächst an dem synoptischen Jesus
gezeigt. Dieser hält sich nicht, wie das aus manchen Teilen
im Ev. Matth, hervorzugehen scheint, an die vorhergesagten Einzelheiten
, sondern an das Wesentliche: jetzt, in seiner Person, ist
die Vollendung der vorläufigen und vorbildlichen Heilsgeschichte
da. In diesem Sinne ist er der Erneuerer und Vollender der Prophetie.
Entsprechend zeigen die Wundergeschichten: hier erneuert und vollendet
sich die wunderwirkende Gottesgegenwart. Denn hier ist mehr
als Salomo, mehr als der Tempel. Typologisch wichtig ist die Selbstbezeichnung
Jesu „Menschensohn", mit der ein Zweifaches gesagt
wird: hier erscheint Gott in Menschengestalt, und hier ist
der Mensch nach dem Bilde Gottes, der zweite Adam. Zwar ist
seine Herrlichkeit jetzt verhüllt. Aber gerade in seinem Leiden ist er
,,der Gerechte, der Viele gerecht macht", der zweite Adam im
Unterschied zum ersten, der die Vielen ins Unglück gebracht hat.
Zugleich muß der Mensch, der ganz Gottes ist, die Not aller
Gottesmänner tragen. — Zu Jesus Christus gehört mit innerer Notwendigkeit
die Kirche. Was er aus Israel sammelt, ist ein neues Volk,
das nicht in natürlichem, sondern in heilsgeschichtlich-typologisehem
Zusammenhang mit dem alten steht. Diese neue Gemeinde wird
schon durch die Berufung der Jünger geschaffen (die Zwölfzahl!),
aber erst durch Tod und Auferstehung vollendet. Eine besondere
Stelle hat dabei das Abendmahl. Es will das heilsgeschichtliche
Geschehen, auf das sich der Glaube der Feiernden gründet, als
gegenwärtige Wirklichkeit proklamieren. Insbesondere das Kelchwort
ist geladen von Typologie: das den neuen „Bund" aufrichtende
„Blut" wird den ,,Zwölfen" dargereicht, die das neue Israel
sind. Kultus und Tempel fallen damit hin. Zugleich ist das Mahl
vorbildlicher Hinweis auf das letzte Freudenmahl. In der Abendmahlseinsetzung
sieht G. „eine zentrale Zusammenfassung der ganzen
alttestaimentlichen Typologie". Die Gestaltung des neuen Israel
erfolgt dann zu Pfingsten. Damit ist die Heilszeit angebrochen,
in der Gott sein Volk sammelt, ein Volk von einerlei Sprache, wie
in der Urzeit. Dennoch wird nicht einfach das Alte wiederhergestellt,
sondern die darinliegende Verheißung. Diese typologische Erfüllung
„ist in Christus schon erschienen und steht mit Christus noch
aus".

Bei Paulus findet sich Verwandtes in der Bezeichnung Christi
als des zweiten Adam — die neue Schöpfung ist typologische Erneuerung
der alten — und der Anschauung von der Gemeinde
Christi als dem geistlichen Israel. „Typisch" ist der Glaube Abrahams
: Abraham ist „heilsgeschichtliches Vorbild derer, an denen sich
sein Gottesverhältnis auf höherer Stufe vollendet". Auch Gal. 4
ist mehr typologisch als allegorisch auszudeuten. Es gilt vom Amt
des Geistes gegenüber dem des Buchstabens, von den Sakramenten
des Neuen Bundes gegenüber denen des Alten: „Hier ist vollkommen
, was jene wollten". Auch der „Fels" I. Kor. 10,4 ist nicht
Allegorie, sondern Typos, ,,heilsgeschichtliclie Vorausdarstellung des
Kommenden". Paulus verkündet „mit Hilfe der Typologie die universale
Heilsbedeutung Christi". „Die Typologie zeigt nicht nur
das Wesen des Neuen gegenüber dem Alten, sondern auch, daß es
gerade und nur auf diesem heilsgeschichtlichen Grunde steht." —
Der Hebräerbrief, der im Einzelnen Vieles als unmittelbaren Hinweis
auf Christus auffaßt, ohne doch dabei in philonischer Weise
zu allegorisieren, ist in seiner gesamten Gedankenführung dennoch ein
neues Beispiel für heilsgeschichtliche Typologie. In Christus ist die
tePieudok;; die Schrift enthält das vorlaufende Heilszeugnis Gottes.
Jesus ist der echte Hohepriester, aber eben 5taxd tt|v xd|iv Md-
/ioeöeV., nicht Arons! Die Heilseinrichtungen des A. T. werden
Typen einer besseren Heilseinrichturig. Das Alte in seiner Unzulänglichkeit
ist Typus des Vollkommenen. Das Gleiche gilt für das
Geschick des alten Bundesvolkes im Verhältnis zu der neuen Gemeinde.
— Im Johannesevangelium ist die Typologie nicht so ausdrücklich
entfaltet wie bei Paulus und. in Hebr. Dennoch ist sie vorhanden..
Jesus erscheint als der Vollender der Schöpfung, schon in dem an
Gen. 1 erinnernden Prolog, der mit dem Begriff Xoyoq nicht,
wie Philo, spekuliert, sondern verkündigt. Auch der Darbietung
der (7) Zeichen Jesu liegt die Erkenntnis zugrunde: Jesus ist der
Gott wesensgleiche Vollender der Schöpfung. Daneben tritt er uns
im Johannesevangelium als die „vollendete Heilsgabe Gottes" entgegen
. Manna, Tempel, Sabbath, Passah werden typologisch ausgewertet
. Insbesondere gehört hierher die Terminologie des Lammes.
„Anstelle der alten Einrichtungen treten nicht neue Einrichtungen,
sondern Christus und seine Neuschöpfung". „Im Mittelpunkt der
Blickrichtung des Joh. steht nicht wie bei den Synoptikern das Geschick
und Werk des verborgen über diese Erde gehenden Menschensohnes
, um den der Glaube ringt, und das Werden seiner Gemeinde,
nicht wie im Hebr. der ,durch Leiden vollendende' Christus und
die ,seine Schmach tragende' Kirche, auch nicht wie bei Paulus

; die unter dem Kreuz der Vollendung entgegenpilgernde und um das
rechte Verständnis ihres Heilsstandes ringende Gemeinde, sondern

j die Wesensgestalt des Sohnes Gottes, dessen Herrlichkeit, voll der
Gnade und Wahrheit, er geschaut hatte: das Heil Gottes in Person"
(S. 234).

j So wird gezeigt — darauf weist der Schlußabschnitt
i dann noch ausdrücklich hin —, daß die typologische
! Deutung des A. T. im N. T. durchaus überwiegt. Zum
! Teil sind ja nur Anspielungen vorhanden; am deutlich-
sten ist die typologische Betrachtung, wenn es heißt:
Hier ist das dem A. T. Entsprechende und doch mehr.
So ist es bei den Synoptikern, ähnlich bei Johannes, wäh-
! rend Paulus und Hebr. Typ gegen Antityp setzen,
j „Die typologische Steigerung kündet jeweils den Hereinbruch
eines Neuen, die typologische Entsprechung das
| Geschick und das Wesen des Neuen". Dabei kann bald
i so, bald so gedeutet werden; die Typologie ist eben
! „keine hermeneutische Methode, sondern eine pneumatische
Betrachtungsweise". Das A. T. ist für das N.T.
nicht inspirierter Buchstabe (Philo), sondern Zeugnis
einer Heilsgeschichte. So sind die Anspielungen und Hinweise
des N. T. auf das A. T. „nicht Stücke eines überholten
Schriftbeweises", sondern „bei aller zeitgebundener
Form Zeugen einer weiten und tiefen heilsgeschichtlichen
Schau, welche das Wesen des in Christo
erschienenen Heils enthüllt und vor Verfälschung
schützt" (S. 248 f.).

Wie man sieht, haben wir eine wohldurchdachte,
auch terminologisch wertvolle Arbeit vor uns, die ein
wichtiges und schwebendes Problem mutig, geschickt
und gründlich angreift. Die Verschiedenheit der Deu-
tungsmöglichkeiten der Texte im Einzelnen zugegeben,
ist die Grundthese ohne Zweifel richtig. Wir haben weder
eine Überhöhung des A. T. vor uns, mit Hineindeutung
des N. T. ins A. T., noch eine negative Beurteilung
, die im A.T. nur den dunklen Hintergrund des
Neuen sieht. Man hat die Empfindung, nicht einer an
die Schrift herangetragenen theologischen Manier gegenüberzustehen
, sondern den biblischen Tatbestand
selbst entfaltet zu sehen. Das gibt der Arbeit das
Überzeugende. Hier wird beschrieben, was da ist, und
nicht herausgestellt, was da sein könnte. Überraschend
ist mir nur gewesen, daß Veröffentlichungen, die in der
von G. begangenen Richtung liegen — Arbeiten von
v. Rad, Herntrich, Frey u. a. — nicht genannt sind,
sie hätten mit bestätigen können, daß der Verf. auf
gutem Wege ist. Der Verf. kann jedenfalls, gerade
angesichts der gegenwärtigen Aussprache über das A. T.
unseres Dankes und weitgehender Zustimmung sicher
sein.

Hofgeismar (Marburg) H. W. Hertzberg

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Bouvier, Andre: Henri Bullinger reformateur et conseiller
oecum6nique le successeur de Zwingli d'apres sa correspondance
avec les reformes et les huinanistes de langue francaise. Neuchätel:
Delachaux & Niestie 1940. (593 S., 3 Portr., 3 Taf., 1 Textabb.)
gr. 8°. fr. 12.50.

Heinrich Bullinger, der menschlich so anziehende und
theologisch so bedeutende Nachfolger Zwingiis, Freund
Calvins und Verfasser der Zweiten Helvetischen Con-
fessiom, ist bisher leider ein Stiefkind unserer reichen
reformationsgeschichtlichen Forschung gewesen. Seit der
weithin überholten, wenn auch nicht üblen Biographie
von Pestalozzi (1858) ist eine umfassende Biographie
noch nicht erschienen. Umso wichtiger ist es, daß durch
{ die teilweise bereits geschehene, im übrigen aber gut
vorbereitete Veröffentlichung des gewaltigen, nicht we-
I niger als 12 000 Stücke umfassenden Briefwechsels des
| Antistes eine künftige Biographie und die noch durch-
| aus fehlende Analyse seiner Theologie die Wege ge-
J bahnt erhält. Die vorliegende Arbeit des aus Genf
j stammenden Zürcher Pfarrers Dr. Andre Bouvier beruht