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Ausgabe:

1940

Spalte:

22-24

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kundziņš, Kārlis

Titel/Untertitel:

Charakter und Ursprung der Johanneischen Reden 1940

Rezensent:

Käsemann, Ernst

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von der Autenveckuiig der Tochter des Jairus eingereiht
werden. Diese Seltsamkeit erklärt sich alsbald, wenn man
des Verf.s Lösung für das Problem des Schweigegebotes
hört. Für sie ist die Bemerkung anläßlich Mk 5,43 typisch
: „Das Ereignis (der Totenerweckung)---- kommt

auf den Leser zu als die Tat des ihn zur Glauben sent-
scheidung berufenden Christus. Gott würdigt den Leser
seines Rufes, stellt ihn jenen drei Augenzeugen (es sind
aber fünt Mk 5, 40) gleich: stellt er sich seinem Rufe?
Es liegt also ein Geheimnis im Sinne des hellenistischen
IxitotTjQtov vor; der Leser und Hörer empfängt es als ihm
persönlich zukommende Offenbarung". Sehen wir von
dem unbegründeten Vergleich mit einem „hellenistischen
Mysterion" hier einmal ab, so ist damit das Ziel der
„Erbauung der Gemeinde" vielleicht zutreffend beschrieben
, vielleicht auch der praktische Zweck, den der Evan-
list mit seinem ganzen Werk verfolgt, aber ist damit
auch der Sinn angegeben, der in jeder Erzählung das
(iefüge der einzelnen Sätze bestimmt? Hier soll durch
den Mund Jesu das Zeugnis des Evangelisten den Leser
anreden (oder auch der Herr Christus durch den Mund
des Evangelisten); das bedeutet aber: Das Schweigegebot
ist ein schriftstellerisches Mittel, sozusagen ein literarischer
Kunstgriff, um die Tatsache einer geschehenen
Offenbarung anzumerken und dem Leser eindrücklich in
Ohr und Gemüt zu rufen: Was der Herr damals verhüllt
wissen wollte, ist dir jetzt offenbar! Die Sicherheit, mit
der Ebeling diese Lösung vorträgt, scheint mir nicht in
einem begründeten Verhältnis zu ihrer Richtigkeit zu
stehen. Wohl erreicht er auf diese Weise leicht eine Geschlossenheit
der Anschauung und eine Einheitlichkeit
des Evangeliums, welche er beide bei allen vorangegangenen
Losimgsversuchen vermißt. Aber literarisch gesehen
werden alle Differenzen der überlieferten Erzählung
und des überliefernden Erzählers verwischt, und
sachlich gesehen wird alle Tradition zu dem Träger des
Dogmas von der Auferstehungsgewißheit und der Erbauung
der Gemeinde verflacht. Der Verfasser übersieht,
daß ein Evangelium, und besonders das Markusevangelium
keine Glaubens p r e d i g t, sondern eine Glaubensurkunde
ist, daß das „Anliegen" des Evangelisten
nicht auf den Leser, sondern auf den Gegenstand sich
richtet, den er schildert, daß es also notwendig wäre,
eben aus diesem Gegenstand heraus das an sich richtige
Ineinander von Verhüllung und Offenbarung abzuleiten,
und zwar in der Vielfalt der Formen und Ansichten,
die jeder einzelnen Erzählung innewohnen. Anders gesprochen
, in dieser Lösung ist der besondere (iedanke
der Geschichte als des Raumes und Trägers eschatologi-
schen Heiles völlig verkannt; weil dieses Heil in „realem
Geschehen" sich vollzieht, ist es ebenso offenbar
wie verhüllt, weil es in dieser (iestalt Jesu von Nazaret
ebenso gegenwärtig wie künftig ist, deshalb kann jede
Erzählung dieses Heil zu einem offenbaren Ereignis machen
, und eben deshalb darf von diesem Ereignis nicht
öffentlich geredet werden. Sätze wie dieser: „Wir haben
also von irgendwelchen Tatsachen aus dem Leben Jesu
völlig abzusehen, weil der Evangelist selbst nicht darauf
reflektiert (freilich reflektiert er nicht, aber er berichtet
sie einschließlich des Schweigegebotes), sondern als der
Zeuge Christi völlig der Gemeinde zugewandt ist" (S.
178), sind dogmatische Schwärmerei.

In gleicher Weise wird die Frage nach dem Unverständnis
der Jünger und die nach der Parabeltheorie beantwortet
, jene etwas ausführlicher, diese kürzer, ja
vielleicht allzu kurz. Auch das Motiv des Nichtverste-
stehens ist literarisch; es verkündet, wie etwa die Gethsemane
-Geschichte zeigt, „die verpflichtende Forderung,
zu der Gottes erbarmende Liebe, die selbst des eigenen
Sohnes nicht schonte . . ., einfach durch ihre Tat uns
aufruft: Wachet und betet! Wahrlich ein oft genug behandeltes
Thema in Predigt und Paränese der jungen
Gemeinden!" Gewiß, aber eben deswegen nicht ein Thema
des Markusevangeliums. Der Verl, vertauscht stets
den inneren Sinn des evangelischen Berichtes mit dem

äußeren Zweck des Berichten«; eingeschlossen zwischen
zwei Mauern, dem Dogma von der Auferstehungsgewißheit
und dem anderen von der Erbauung der Gemeinde
, schrumpfen die Tatsachen der überlieferten Geschichte
Jesu so zusammen, daß man „von ihnen abzusehen
hat". Aehnlich steht es mit der Parabeltheorie;
Durch sie „erhält der Leser die Gewißheit, daß er zu den
Erlesenen gehört, denen das Geheimnis zu Teil wird",
und erhält zugleich die verantwortliche Verpflichtung,
„Gott im existentiellen Vollzug seines Lebens gehorsam
zu sein". Man vermißt hier vielleicht noch stärker als
sonst, daß eine gründliche Exegese, sei es der Parabeln
von Mark 4, sei es auch nur der Sätze über den Zweck
der Parabelreden jene applicatio ad cor et mentein rechtfertige
. So hübsche Beobachtungen sich auch bisweilen
finden, so ist es doch weit häufiger, daß der Verf. sich
bald an diesen, bald an jenen Exegeten hält, das eine
als „unbrauchbar" verwirft, das andere als fruchtbar
oder treffend empfiehlt, ohne selbst die Last und Lust
des Abwägens verschiedener Möglichkeiten am Text auf
sich zu nehmen. Aber dies Verfahren wird hier verständlich
; denn wo es gilt, immer dasselbe einzuschärfen
: „Die Hörer der Botschaft werden daraufhin angeredet
, ob sie sich Gottes Offenbarung gesagt sein lassen
wollen", wo es in dem unerschöpflichen Reichtum der
evangelischen Erzählungen und Ueberlieferungen nur um
diese eine und gleiche „Perspektive" geht, da vermag
> auch die tiefdringendste Exegese nichts anderes als einen
vorher feststehenden Satz zu bestätigen. Dann sind wohl
! die vielfältigen Ansichten anderer wichtig, die diese
| Perspektive bejahen oder verneinen — und man begreift
I von hier aus, welchen Wert der Verfasser auf die „Geschichte
der Wredekritik" gelegt hat —, aber es leben
auch nicht mehr die Dinge und Geschehnisse, die das
Markusevangelium berichtet, sondern es lebt „die Botschaft
des Markusevangelisten", die für den Verfasser
damals die gleiche war wie sie es heute ist.

Am Schluß seines Buches macht Ebeling noch einmal
diese Tendenz deutlich: Das Markusevangelium stellt
„die Tatsächlicbkeit der Offenbarung in ihren verschiedenen
Ausprägungen, mit ihrer Menschen überführenden
, in den Dienst und die Pflicht Christi rufenden
Kraft dar". Tut das nicht das ganze Neue Testament?
Und lehrt darüber hinaus nicht dieser Satz, daß „die Botschaft
des Markuscvangelisten" der eigenen Dogniatik
des Verfassers gleichkommt? Man wird durch das ganze
Buch hindurch an den bekannten Satz erinnert: „Ins
Weite kommt man von ganz alleine, ins straff Begrenzte
schwer". So notwendig es ist, sich in den Grenzen
der einzelneu Erzählung und ihrer Exegese jener Weite
bewußt zu bleiben, so notwendig ist es auch, diese Grenzen
, und das heißt hier, die konkrete Fülle der evangelischen
Geschichte und Geschichten nicht zu übersehen,
um der „Weite" eines Kcrygmas willen. Darum scheint
mir das exegetische Problem des Messiasgehehnnisses
erst dort zu beginnen und fruchtbar zu werden, wo der
Verfasser es um des „zentralen Kerygmas willen" als
gelöst und beendet betrachten möchte.

Greifswald, z. Zt. im Felde Frnst Lohmeyer

Kundzins, Dr. tlicol. Prof. K.: Charakter und Ursprung der
johanneischen Reden. Riga: I.atvijas Universitätc 1939. (118S.)
8° = S.-A. aus Latvijas Univ. Raksti, Acta Univ. Latviensis, Teolo-
gijas Fakultates Serija I. 4.

Davon überzeugt, daß auch die religionsgeschichtliche
Forschung die Ursprünge des Joh.-Ev. nicht mit
zwingender Deutlichkeit erhellt habe, will K. das gleiche
Ziel auf neuem, nämlich stilkritischem Wege erreichen.
Seine Analyse zeitigt folgende Ergebnisse: Die Aufgabe
sowohl der joh. Dialoge wie Monologe, die durch ihren
starken Schematismus als sekundäre Gebilde erwiesen
werden, besteht im Aufweis bezw. in der vertiefenden
Meditation einer Kernoffenbarung. Als deren Träger
sind die iyw-etfii-Sätze Jesu anzusehen, denen in den
„Du- und Er-Prädikationen" des Ev. das zustimmende