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Ausgabe:

1940

Spalte:

354-355

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Gott und Mensch 1940

Rezensent:

Sellin, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 12

354

teratUTverzekhnif, ein Quellen- und ein Namen- und
Sachverzeichnis machen den Beschluß des Buches, das
übrigens, wie aus dem Titel zwar nicht ersichtlich, nur
den ersten Band eines größeren Werkes bilden soll. Der j
2. Band, auf den im Text des öfteren verwiesen wird, '
soll die historische Entwicklung des germanischen Schicksalsglaubens
behandeln. Über das Bedenkliche einer solchen
Aufteilung ist sich der Verf., wie er in einer Anmerkung
verrät, selbst im klaren. Für den ersten Band i
mußte sie sich auf jeden Fall nachteilig auswirken, da, |
abgesehen davon, daß das Thema ein geistesgeschicht- j
liebes ist, die systematische Behandlung die geschieht- i
liehe voraussetzt. Der Mangel einer historisch-kritischen i
Unterbauung hat hier und da offenbar zu einer Über- |
wertung gewisser Quellen/cugnisse geführt, und man j
sieht nicht recht, wie dem durch eine nachträgliche geschichtliche
Betrachtung abgeholfen werden kann.

Die Stoffanordnung des 1. Bandes läßt übrigem schon erkennen, !
dal! die Ansicht des Verf. über eine systematische Darlegung An
(picllcnniäßigcn Befundes hinausgeht. Es ist ihm darum zu tun, am
Schicksalsglauben die Struktur der germanischen Weltanschauung aufzudecken
, die er in ihm ausgedrückt findet. Die Darstellung nimmt !
gegen Ende einen stark konstruktiven Charakter an; sie zielt auf den i
Erweis ab, dal) sich die Gestaltung des Schicksalsproblems in der ger- !
manischen Literatur einheitlich in Richtung auf den ,,heroischen" und
„organischen" Schicksalsglauben bewege, die ihrerseits einander weit- |
anschaulich zugeordnet seien. Dieser philosophische Blickpunkt und j
die geistvolle Problemstellung kommen namentlich in den Schlußkapiteln i
stark zur Oeltung. Aber man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren
, dal) die sprachlich-literarische Untersuchung zu stark mit der j
philosophisch-weltanschaulichen Problematik des Schicksalsbegriffs belastet
wird. Es muß schon fraglich erscheinen, ob die vom Verf. vorgenommenen
Aufteilungen, wie z. B. das ,.persönliche" oder das
„organische" Schicksal sich wirklich aus den Quellen rechtfertigen
lassen. Wenn der Verf. das Schicksalsproblem für den Germanen in
der Frage sucht, wieweit er sich das unpersönliche Schicksal „aneignen
, d. h. persönlich machen" kann, so wird der Begriff einer unpersönlichen
Schicksalsinacht vorausgesetzt, während es gerade die Frage
ist, ob der Abstraktbegriff einer unpersönlichen Schicksalsmacht im
germanischen Denken oder gar in seinem Glauben Platz hatte. „Persönliche
" Mächte sind religionsgeschichtlich meist älter als unpersönliche
. Darum wird man auch von der „Personifizierung des Schicksals
" immer nur in sehr bedingtem Sinne sprechen können. Auch damit
, daß einleitend (S. 14> der germanische Schicksalsglaube dem Gebiet
der Weltanschauung zugewiesen wird, ist schon eine Vorentscheidung
getroffen, die einen wesentlichen Teil der religionsgeschichtlicben
Fragestellung ausschaltet. Dadurch ist es wohl bedingt, daß die
engen Zusammenhänge zwischen Religion (Qöttcrglauben) und Schicksalsglauben
zwar nicht übersehen, jedoch für die Gesamtbcnrtcilung
kaum berücksichtigt werden. Die echt religiösen Phänomene des
Orakels und des Auguriums werden m. E. zu Unrecht beim „magischen
" Schicksalsglauben untergebracht. Auch können gegen Phänomene
wie das Opferorakel poetische Zeugnisse wie die Völuspa nicht
aufkommen, um eine Unterordnung der Oöttcr unter das Schicksal zu
beweisen. Man wird wohl überhaupt die Tatsache, daß die Haupt-
qHellen für den Schicksalsglauben nicht religiöse Urkunden, sondern
Dichtungen sind, die zum Teil einer geistig stark aufgewühlten Spät-
z.eit angehören, stärker berücksichtigen müssen als G. es getan hat.
Die das Thema der Heldenlieder bildende heroische Haltung dem
SchTcklt] gegenüber versucht O. unter dem Begriff des „persönlichen" I
Schicksals in die Systematik seiner Schicksalshegriffe einzubeziehen. j
Abgesehen von dem Bedenklichen, das der Formulierung anhaftet,
scheint mir das Wesen dieser Haltung nicht getroffen, wenn sie be- 1
stimmt wird als „Harmonie von Wollen und Müssen", für die Schicksal
„nur ein anderer Ausdruck" sei. Der Auffassung gegenüber, I
daß Schicksal und Willen in der germanischen Heldenethik an
einem Strange ziehen, muß ich an dem Widerspruch festhalten, den
ich schon früher (in dem Kapitel „Ethos und Schicksalsglaube" in
meiner Schrift „Art und Glaube der Germanen" und in den Neuen
Jahrbüchern 1034) dagegen geltend gemacht habe. Was der Held bejaht
, ist nicht sein Schicksal, sondern das Ehrgebot, das ihm befiehlt
dem Schicksal nicht auszuweichen. Eine Harmonie zwischen dem
äußeren Geschehen und dem eigenen Willen folgt daraus nicht. Keine
der hierfür angezogenen Belegstellen kann wirklich überzeugen. (Gis-
lis Ausspruch: „o munk at hvaru hafa u. s. w. wird Oewalt angetan
, wenn man den Tod auf das Wollen legt). Die Fälle, wo '
der Held nicht einmal die Ehre in der Schicksalssituation bewahren
kann, vermerkt O. zwar, betrachtet sie aber offenbar als störende
Ausnahmen; dabei muß mau dann, wie mir scheint, die spezifische
Tragik des Heldenliedes verfehlen. G. sieht hier zu sehr durch die
idealistische Brille (vgl. die Anni. 434, S. 100). Am stärksten von ,
philosophisch-weltanschaulichen Voraussetzungen getragen sind die

Ausführungen über da, Wcltenschicksal und den „organischen Sehlde*
salsglaul en", während mir die quellenmäßige L'nterlaje gerade hier am
schwächsten zu sein scheint. Obwohl Verf. die Übersetzung „Urre-
setz" für örlog anfangs ablehnt, arbeitet er dann doch sehr stark mit
diesem philosophischen Begriff; außerdem stützt er sich hauptsächlich
auf die Völuspa, die doch, selbst wenn man aus ihr eine tiefsinnige
„Schicksalsgemeinschaft aller Lebendigen" herauslesen wollte, für
die germanische Weltanschauung nichts beweist. Und wieso bedeutet
wurd „das Geschehen als sinnvoll folgerichtiger Zusammenhang"?
Das Gegenteil dürfte eher zutreffen. Wenn skop und örlog so von
einander abgegrenzt werden, daß jenes sich mit dem heroischen, dieses
sich mit dem organischen Schicksalsglauben decke, so findet das
in den Quellen keine Begründung. Nur eine schärfere philologische
Untersuchung der einzelnen Begriffe wird hier weiterhelfen können,
die Übersetzung „Schicksal" selbst führt allzu leicht auf philosophische
Gedankengänge. Man muß es bedauern, daß die wort- und be-
dcuUingsgeschichtliche Grundlegung des Gehischen Buches nicht breiler
ist.

Der Wert seiner Untersuchungen liegt so vor allem
in der gedanklichen Durchdringung des Stoffes. O. hat
das Thema tiefer angefaßt und ihm mehr Seiten abgewonnen
, als es bisher geschehen ist. Die ihm eigene,
auch Fernliegendes erfassende geistige Überschau und
Kombkiationsgabe hat ihm zu mancher glücklichen Beobachtung
verholten. An zahlreichen Punkten sind strittige
Fragen geklärt oder doch in neue Beleuchtung gerückt.
(Sehr förderlich sind z. B. die Ausführungen zum Fylgja-
und Hamingjaglauben.) An Grönbechs unklarer Vermischung
der verschiedenen Heils- und ülücksbcgriffe und
den daraus gezogenen Folgerungen wird eine sehr berechtigte
Kritik geübt. Es ist unmöglich auf alle Einzelheiten
einzugehen. Bei der Fülle der aufgeworfenen
Fragen kann es nicht ausbleiben, daß sich vielerorts Bedenken
und Widerspruch regen. Ebenso oft fühlt sich
aber auch der Fsachmann dankbar bereichert. Niemand,
der sich durch den reichen Inhalt des Buches hindurcharbeitet
, wird es ohne Gewinn aus der Hand legen. Die
grundsätzlichen Einwände, die hier von einem andern
Standpunkt aus gegen die vom Vf. vertretene Auffassung
des Schicksalsglaubens vorgebracht worden sind, hindern
doch nicht, die positive Leistung, diie die Arbeit
enthält, rückhaltlos anzuerkennen. Der zukünftigen Forschung
hat sie allein dadurch, daß sie die ganze Problematik
des Themas übersichtlich entfaltet, einen Dienst
erwiesen; man wird in Zukunft, auch für Einzeluntersuchungen
, immer wieder auf sie zurückgreifen müssen.
Leipzig Walter Baetke

ALTES TESTAMENT

Eichrodt, Prof. D. Walther: Theologie des Alten Testaments.

Band 3: Gott und Mensch. Leipzig: J. C. Hinrichs Verlag 1939.

(IV, 191 S.) gr. 8°. RM 4 ; geb. RM 5—.

Mit diesem 3. Band, der nach den beiden früheren
Thematen „Gott und Volk" und „Gott und Wellt"
das Thema „Oott und Mensch" behandelt, hat Eichrodt
seine „Theologie des Alten Testaments" zum Abschluß
gebracht. Der Band umschließt folgende 5 große Paragraphen
: 1. Individualismus und Kollektivismus im altt.
Gottesverhältnis (S. 1 — 17), 2. die Grundformen der
persönlichen Gottesbeziehung (S. 18—43), 3. die Auswirkung
der Frömmigkeit im Handeln (S. 44—80), 4.
Sünde und Vergebung (S. 81—147), 5. die Unzerstörbarkeit
der individuellen Gottesgemeinschaft (S. 148 bis
168).

Die Vorzüge dieses Bandes sind die gleichen wie
die der beiden ersten Bände: vollste Beherrschung des
Stoffes und der Literatur, Stellungnahme zu allen neuen
Problemen, liebevolle Versenkung in die Eigenart der
alittest. Religion und Aufdeckung ihrer Einzigartigkeit im
Rahmen aller sonstigen altorientalischen, sowie ihres
Vorstufencharakters für die christliche Religion, Verzicht
auf alle gewaltsamen einseitigen Lösungen der Probleme
und ruhig abwägende, besonnene Hinnahme vorhandener
Spannungen in dem gegebenen Stoffe. Letzteres muß be-