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Ausgabe:

1940 Nr. 12

Spalte:

352-354

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gehl, Walther

Titel/Untertitel:

Der germanische Schicksalsglaube 1940

Rezensent:

Baetke, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 12

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kunierenden Religionen (Buddhismus, Islam, indische Bhaklireligion) i
das Problem auf die Frage nach der Berechtigung des christlichen |
Absolutheitsanspruches, auf den nach des Verfassers Meinung das [
Christentum bei Wahrung seines Wesens nicht verzichten könne. Das j
aber schließt für A. durchaus eine positive Würdigung der Werte der I
Fremdenreligionen ein. Immerhin ist es mir zweifelhaft, ob mit reli- J
gionsgeschichtlichen Argumenten wie z. B. dem Nachweis der Ein-
zigartigkeit der christlichen Sündenidee der Absolutheilsanspruch des j
Christentums gestützt werden kann. Er ist eben liier wie in anderen j
Religionen eine Glaubensaussage, die aus der persönlichen Erfahrung j
der eigenen religiösen Bindung und ihrer persönlichen Einmalig- !
keit heraus erfolgt, die aber im objektiv historischen Sinne nicht j
richtig zu sein braucht.

Im dritten Aufsatz „Die Frage der religiösen Anlage religions- |
geschichtlich beleuchtet" wird zunächst und hauptsächlich etwas
anderes behandelt, nämlich das Problem des Entstehens des Unglaubens
neben dem Glauben. A. sucht durch Beispiele aus Griechenland
, Israel und Indien zu zeigen, daß der Unglaube in dem Augenblicke
, in dem die Religion anfängt, Sache des Einzelnen zu werden,
als Gegner des Glaubens auftritt. Eine besonders ausgedehnte Be- j
trachtung wird dann weiter den Primitiven gewidmet, bei denen sich i
neben dem Kollektivismus auch bereits Individualismus und daher
auch persönlicher Unglaube finde. Das Ganze dient nun dem Nach- i
weis, daß das Vorhandensein oder Fehlen einer religiösen Anlage j
Glaube und Unglaube begründet. Die Religion selbst spricht deutend
von göttlicher Erwähl ung und Verwerfung.

Das Buch zeichnet sich durch einen ungeheuren
Reichtum neuer und fruchtbarer Gedanken gerade auch
hinsichtlich des oft behandelten Problems des Todes aus.
Auch die Darstellung an sich bekannter religionsgeschichtlicher
Sachverhalte ist persönlich gestaltet und
selbständig behandelt. Ein wertvolles und sehr zu beach- 1
tendes Buch also, wenngleich ohne Frage kein Im strengen
Sinne religionswissenschaftliches Buch. Aber ein i
Buch von einer Weite des Blickes und einer verstehenden
Duldsamkeit, die auch Andersdenkende beeindrucken
wird.

Bonn Gustav Menschin g

Thiele, Ernst Otto: Das germanische Erbe in der deutschen

Volkskultur. Die Vorträge des 1. Deutschen Volkskundetages zu
Braunschweig, Herbst 1938, bearb. München: Holieneichcn-Vlg. 1939. |
(240 S. m. 126 Abb.) gr. 8° = Deutsche Volkskunde. Schriftenreihe d. j
Arbeitsgemeinschaft f. Dt. Volkskunde. Kart. RM 5.20 ; geb. RM 6.50.

Dies Buch, das aus den Vorträgen des 1. Deutschen i
Volkskundetags zu Braunschweig, Herbst 1938, besteht,
enthüllt sehr eindrucksvoll und viel klarer als manch andere
einschlägige Schrift, in Bekenntnis, Programm und
Abhandlung, das nunmehrige, endlich gefundene Ziel I
der deutschen Volkskunde, welches, entsprechend ihren j
Bezirken, zugleich das Ziel der gesamten Germanistik
überhaupt ist, nämlich die Herausarbeitung der germanischen
Kontinuität in den Lebensgütern des deutschen
Bauerntunis. Das ist wirklich das Ei des Kolumbus! Das
Bauerntum bleibt mithin zurecht der Hauptgegenstand
der Volkskunde. Die Zweischichtentheorie seiner Güter,
wie sie der Rezensent vor zwanzig Jahren versuchte,
wird dabei inimerniehr wie eine unvermeidliche Voraussetzung
erscheinen, was sich, ausdrücklich oder unaus-
drücklich, auch öfters hier äußert. Die Bewertung gilt, |
angesichts des schönen, edlen und durchaus richtigen |
Ziels, nunmehr fast aHein dem Erbe der Ahnen, und
ganz folgerichtig wird z. B. S. 55 für das Kunsthandwerk
unserer Tage die Wiederanknüpfung an das 15./16.
Jhdt. gefordert, d. h. es werden bewußt jene letzten
Jahrhunderte ausgeschaltet, die allein jene Zweischichtentheorie
damals erlaubten, weil ausschließlich sie, und
nicht ihr Autor, die Schuld an ihrer Möglichkeit tragen, j
Bei der ornamentalen Symbolik geben die Verfasser
selbst die Unterbrechung der Kontinuität zu; der Sinn
der verwendeten Heils/eichen muß erst wieder erweckt
werden, selbst bei ihren Trägern. Es wird die ,fast
zeitlose Gestalt' des deutschen Bauern gesucht (S. 18),
und sie wird mit germanisch, indogermanisch, arisch, j
nordisch gewiß zutreffender bezeichnet als mit meinem j
unzulänglichen, weil ewig mißverstandenen Wort primi-
tiv. Siedlung, Haus, Gerät, Schmuck, Wortschatz, Brauch- |
tum und vor allem die Symbolik in Sinnbildern, Wahr-, I

Heils- und Segenszeichen, darunter immer wieder der
Lebensbaum, spielen die Hauptrolle. Hervorzuheben ist
m. E. der überraschend geglückte, reich belegte und
lehrreiche Beitrag von Karl von Spieß über das ungemein
weitreichende, sinngefüllte Motiv der ,Hirschjagd'.
Dieser Aufsatz schreit geradezu nach einer Verknüpfung
mit der tiefen Neuausdeutung der Wilden Jagd, wie sie
jetzt an sehr versteckter Stelle in „Natur und Kultur"
1940 von W. Hammelrath gegeben wurde. Das würde
dann wirklich bis in die tiefsten Gründe und Abgründe
germanisch-nordischer Vorstellungswelt hinter den „Leit-
gestalten" führen. Wohlgegiückt und überzeugend ist
auch die Verbindung des Motivs der zwei Bäume mit
dem ersten und letzten Menschenpaar der Edda dem
Herausgeber selbst. Es fehlt eine Untersuchung, ob und
wieweit sich die richtig betonte Priesterlosigkeit des
heidnischen Germaniens auswirkt noch im bekehrten
deutschen Bauerntum. Im Übrigen sei für Theologen und
Religionswissenschaftler auf folgende Sätze von S. 55
(Spieß) hingewiesen: „Mit allem Nachdrucke ist zu betonen
, daß die nordische Überlieferungswelt, diese ureigene
und unveräußerliche Schöpfung nordischen Rassengeistes
, abseits liegt und garnichts zu tun hat mit:
Kult, Dämonentum, Religion in dem üblichen Sinne,
Zauberwesen, Mystik, Magie, Astrologie und ähnlichen
Erscheinungen. Die arischen Völker sind keine Sonnen-,
aber auch keine Mondanbeter". Wie sie auch von den
andern Mitarbeitern dieses Buches selbst nicht in allen
Teilen unbedingt unterschrieben werden würden, können
diese Sätze auch nicht restlos so hingenommen werden;
ein ganz Teil Wahres enthalten sie schon, aber sie schütten
zu viele und vielerlei Kinder mit einem Bade auf
einmal aus.

Bonn Hans Naumann

Gehl, Dr. Walther: Der germanische Schicksalsglaube. Berlin:
Junker u. Dünnhaupt 1939. (265 S.) gr. 8°. RM7.50; geb. RM 9.50.
Der germanische be/.vv. nordische Schicksalsglaube
ist in den letzten Jahren in Büchern und Aufsätzen des
öfteren behandelt worden, wobei die Beziehung des
Schicksalsbegriffs zu dem Heroismus der tragischen Heldendichtung
im Mittelpunkt des Interesses stand. Es ist
wohl kaum berechtigt, wie G. es tut, diese Arbeiten (deren
Aufzählung im Literaturverzeichnis übrigens nicht
vollständig ist) als „unverbindliche Äußerungen und populäre
Aufsätze" abzutun. Zweifellos aber bedeutet sein
Buch — eine Leipziger Habilitationsschrift — wenn auch
nicht einen Abschluß, so doch einen Markstein in dieser
Forschungsarbeit; durch die Großzügigkeit der Anlage
ebenso wie durch die wissenschaftliche Gründlichkeit
darf es besondere Beachtung beanspruchen. G. hat unter
Verarbeitung fast des gesamten Materials den Fragenkreis
einer umfassenden und systematischen Untersuchung
unterzogen. Daß er sich vorwiegend auf die nordischen
Zeugnisse stützt (Edda, Skalden und Sagas) erklärt
sich aus der Kargheit und dem christlichen Charakter
der übrigen Überlieferung; doch wäre eine stärkere Berücksichtigung
des westgermanischen Materials der Untersuchung
wohl zugute gekommen. Der Verf. hat mit
anerkennenswerter Gestaltungskraft den reichen Stoff
so geordnet, daß er nach einer verhältnismäßig knappen
Behandlung des Wortschatzes (Kap. 1) zunächst das unpersönliche
Schicksal und den magischen Schicksalsbegriff
(Kap. 2) (im Anschluß daran: Glück und Unglück
[Kap. 3]), zweitens das personifizierte Schicksal (Kap.
4), drittens das persönliche Schicksal und den heroischen
Schicksalsglauben (Kap. 8) und zuletzt „das Weltenschicksal
und den organischen Schicksalsglauheil"
(Kap. 9) behandelt. Im Anschluß an das personifizierte
Schicksal werden in den Kapiteln 5 u. 6 die Fylgien und
„Das zweite Gesicht" besprochen. In Kap. 8 geht der
Verf. kurz auf den germanischen Begriff des Tragischen
ein. Ein besonderes Kapitel (7) ist endlich dem
Problem der Willensfreiheit gewidmet. Eine sehr dankenswerte
Zusammenstellung der Belegstellen, ein Li-