Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940 Nr. 11

Spalte:

328-329

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Görres, Ida Friederike

Titel/Untertitel:

Des Andern Last 1940

Rezensent:

Wendt, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

327

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 11

328

Gegnern vorwirft, wesentlich Ungehorsam wäre. An
diesem Vorwurf fehlt es nicht ganz, aber er spielt doch
nur eine geringe Rolk. Und was ich gegen die Meinung
von einem Bekenntnisrecht im Urchristentum habe, finde
ich vom M. selbst angedeutet in dem Satze, man dürfe
den Rechtscharakter des urchristlichen (Lehr-)Bekennt-
nisses nicht juristisch fassen. Mir ist ein nicht juristisches
Recht ein hölzernes Eisen. Wahrscheinlich
würden wir uns im Verständnis dessen, was das Bekenntnis
im Urchristentum bedeutet, leichter zusammenfinden,
als in den Formen, in denen wir soikhes Verständnis
auszudrücken suchen; auch ich bekenne mich dankbar
als Schüler Sohms.

Daß ein bei aller Kürze so reichhaltiges Buch auch nebenher
allerlei charakteristische Einzelheiten enthält, sei nur erwähnt, so
Oersons Lehre, wer hartnäckig leugnen wollte, daß Aaron einen Bart
getragen und Tobias auf der Wanderschaft einen Hund bei sich gehabt
hat, sei ein Ketzer, weil er die volle Wahrheit der Heiligen
Schrift bestreitet.

Wichtiger sind zwei grundsätzliche Fragen, die ich
zuletzt noch andeute. Erstens: wenn das Bekenntnis,
wie M. darlegt, ursprünglich der Ausdruck ehrfürchtiger
Dankbarkeit einer feiernden Gemeinschaft war, und (so
darf man hinzusetzen) das in seinem Wesen gewiß bleiben
soll, dann muß in allem christlichen Bekennen etwas
von der Stimmung des Zinzendorfschen Abendmahlslie-
des leben: „der Du noch in der letzten Nacht, eh' Du
für uns verblaßt, den Deinen von der Liebe Macht so
treu gezeuget hast, erinnere Deine kleine Schar, die
sich so oft entzweit, daß Deine letzte Sorge war der
Glieder Einigkeit". Von hier ist aber der Weg weit
bis zu solchen Bekenntnisformeln, deren Zweck vielmehr
ist, durch theologische Lehre Andersdenkende auszuschließen
, wie die Konkordienlormel oder die Dortrechter
Beschlüsse oder die Anathematismen der CA. oder auch
schon das Athanasianum.

Zweitens: was ergibt sich, soweit M. Recht hat, für
die Stellung des Bekenntnisses im evangelischen Christentum
? Obgleich für Luther die beiden Sakramente,
die er stehen ließ, hohen Wert hatten, bedeutet doch,
aufs Ganze gesehen, das Sakrament im Katholizismus
ungleich mehr als im Protestantismus, der das Wort
Gottes, Geist und Gesinnung, stärker in den Mittelpunkt
rückt. Rechtsordnung mit ihrem Zwangscharakter gibt
es nur schwer auf dem Gebiet des Geistes, gibt es
aber um so sicherer, je mehr es sich um Greifbares,
Stoffliches handelt. Sofern das Sakrament ein dingliches
Heiligtum ist, bildet sich zu seiner Verwaltung allerdings
Rechtsordnung aus; aber ist das alles nicht viel
mehr katholisch als evangelisch? Bekenntnis als aus der
Seele heraus wachsenden Ausdruck des Glaubens wird
es immer auch in protestantischem Christentum geben.
Aber sofern Maurer recht sieht, daß die überlieferten
altkirchlichen Bekenntnisformeln eng mit dem Sakrament
zusammenhängen und aus ihnen ein Bekenntnisrecht erwachsen
ist, ergibt sich, daß das Bekenntnis nach dieser
Seite seines Wesens überhaupt mehr zum katholischen
Christentum gehört als zum evangelischen. Was
evangelische Christen gerade in einer Zeit, da Viele
mit Treue und Begeisterung die Kirche als bekennende
Kirche ausgestalten wollen, nicht vergessen dürfen
.

Niederbobritzsch b. Freiberg, Sa. H. M u 1 e r t

Besch, Johannes: Der Weg des Menschen vom Nein zum Ja.

Gedanken über den christlichen Glauben. Güttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1940. (96 S.) 8°. RM 1.80.

Es gibt Bücher, die wollen nicht kritisiert sein, sondern
gelesen werden. Sie gleichen den Predigten, die
man hören und erwägen, aber nicht kritisieren soll. Zu
diesen Büchern gehört das angezeigte. Die Absicht des
Verfassers mit seiner Schrift gibt er im Vorwort kund:
„Das Leben hat einen ewigen Sinn. Man darf es daher
nicht beim Geschöpflichen festhalten. Will man dies tun,
so weitet es sich aus und strebt zum ewigen Grund. Es

ist die Absicht dieser kleinen Schrift, auf diesen ewigen
j Grund hinzuweisen. . ." Dieser ewige Grund ist Gott,
l zu dem es freilich einen Weg vom Menschen her nicht
| gibt. „Es gibt nur einen Weg von Gott her zum Menschen
hin. Die Tiefen der Gottheit, die der Mensch ahnt,
erschließen sich ihm durch Offenbarung: sie erschließen
sich in Jesus Christus." Dein setzt der natürliche Mensch
sein „Nein" entgegen. Mindestens suciit der Mensch
| Gott sich fern zu halten und nur in gewissen Stunden
des Lebens seiner habhart zu werden. Darauf aber läßt
Gott sich nicht ein. „Gott läßt sich nicht spotten. Er
I kann sicli noch ferner vom Menschen halten, als der
Mensch ihn zu haben wünscht." So kommt es zur Kluft
zwischen Gott und dem Menschen. Die Folge ist eine
unheimliche Entartung alles Menschentums. Das Ergebnis
dieses sich seit langem anbahnenden Prozesses wird
in der Gegenwart deutlich. Das „Nein" ist die These
j unserer Zeit. Die Krisis ist da.

Man sieht, es sind nicht neue Gedanken, die eilt-
I wickelt werden. Aber die Klarheit der Gedankenfülirung,.
| die Wärme der Sprache, die innere Anteilnahme am Ge-
1 genstand lassen die Schrift zu einem wertvollen Beitrag
zu der religiösen Aussprache in der Gegenwart werden.
I Sie wird dem Kundigen wie dem zu orientierenden gebildeten
Unkundigen wertvolle Dienste leisten. Es ist
nicht notwendig, ausdrücklich hervorzuheben, daß dein
negativen Teil, dein „Nein", ein ebenso gleichwertiger
positiver Teil, das „Ja", folgt.

Berlin P. Pflücker

Görres, Ida Friederike: Des Andern Last. Ein Gespräch über
die Barmherzigkeit. Freiburg/Br.: Herder & Co. 1940. (VII, 116
S.) 8". RM 1.90.

Immer lauter wird in unseren Tagen die Frage, was
denn eigentlich künftighin noch der Inneren Mission oder
der Charitas an Aufgaben bleibe, nachdem doch der Staat

I die sozialen Probleme mit einer bisher nicht gekannten
Dynamik angefaßt und z.T. bereits gelöst hat. Dieses
feinsinnige Buch gibt nun die Antwort. Es werden liier
nicht etwa neue „praktische" Wege gezeigt zur Verwirklichung
christlicher Liebesideale, sondern die üyunt
wird in ihrem eigentlichen Wesen und Betätigung dargestellt
, so, wie sie eben nicht gebunden ist an Organisationen
oder soziale Einrichtungen, sondern nur wie sie es
kann und darf: frei und schenkend, immerfort schenkend
aus dem überreichen Schatze der allein ewigen, unversieg-
lichen und unergründlichen Liebe in Christo und aus der
daraus erwachsenden Dankbarkeit (vgl. S. 21 und 20).
Erstaunlich ist die Weite des Blickes und die Offenheit,

I mit der die schwierigen Probleme und insbesondre die

i stichhaltigen Einwände gegen christliche Liebestäfigkeit,

I die eben doch nicht identisch ist mit der sozialen Gerechtigkeit
, angefaßt und mit fraulichem Takt, aber doch tief-

I schürfend, behandelt werden. Klar und theologisch bedeutsam
ist die Unterscheidung von Barmherzigkeit und
Gerechtigkeit, besonders eindrucksvoll die vornehme Auseinandersetzung
mit dem Begriff des Almosen. Vollends
aber bis in die innerste Tiefe des Glaubens dringt die

| Antwort aut die vom gegnerischen Gesprächspartner gestellte
Frage nach der Höllen furcht und damit dem Pro-

| blem der Unheimlichkeit unseres Lebens. Das ganze
Buch klingt außerordentlich evangelisch und gelegentlich

| kann man fragen, ob die hier — natürlich ohne theologi-

i sehe Begriffe — vorgetragene Rechtfertigungslehre auch
streng dem Catechismus Tridentinus entspricht. Jeden-

i falls wird hier die Justificatio zwar nicht sola fide
wohl aber sola gratia verstanden.

Wohltuend berührt, daß Persönlichkeiten, wie Bodel-

I schwingh mit größter Selbstverständlichkeit gerühmt werden
. Besonders beachtlich und wertvoll ist der zweite,
den größeren Raum einnehmende, Teil über die „geistlichen
Werke der Barmherzigkeit", also über die
Seelsorge. Als solche „Werke" werden verlanden:

i Unwissende belehren, Traurige trösten, Zweifelnden
recht raten, Irrende zurechtweisen, Lüitige ertragen,