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Ausgabe:

1940

Spalte:

18-22

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Hans Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Messiasgeheimnis und die Botschaft des Marcus-Evangelisten 1940

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeituno 1940 Nr. 1/2

IS

der Parteien auf ihre Seite stellt (75 ff.)- Umgekehrt
wiederum ruft Oott die Apostel zu Zeugen auf in dem
Rechtsstreit, der jetzt um Jesus Christus entbrannt ist
(94 ff.). Sic müssen Augen- und Ohrenzeugen sein,
müssen Stellung nehmen „in het pro en contra van het
juridische proces", müssen durch göttliches Mandat legitimiert
sein. Diese drei Elemente sind nach Sch. konstitutiv
für den Zeugenbegriff der Ag.; in diesem Sinne
erscheinen dort insbesondere Paulus und Stephanus als
(gegen Holl). Dieselbe Linie verfolgt Sch. dann
durch die paulinischen und deuteropaulinischen Briefe
(127 ff.) und schließlich bis in die johanneischen Schriften
hinein (155 ff.). Im Johannesevangelium arbeitet Sch.
energisch den polemischen Charakter des Zeugnisses
heraus — und erweist sich dabei selber als ein respektabler
Polemiker gegen den „diabetischen" Zeugnisbe-
griff Bultmanns und den „gubjectivistischen" von Campenhausens
(157; 176 ff.). Zu 1. J. 5,7 verweist Sch.
noch einmal auf die Regel von den zwei oder drei Zeugen
(Dt. 19,15), die sich wie ein hermeneutischer Leitfaden
durch sein ganzes Buch zieht. In dem Schlußparagraphen
über die Apokalypse kämpft Sch., noch radikaler
als etwa Lyder Brun (dessen Aufsatz in Th St Kr
1930 ihm anscheinend entgangen ist), gegen die mar-
tyrologische Ausdeutung des Zeugenbegriffs; Manner
wie Antipas in 2,13, die beiden Propheten von Ap. 11,
die Auserwählten von 17,6 heißen itdotvosc ausschließlich
um ihrer Wortverkündigung und nicht um ihres Sterbens
willen. In summa: üetuige heeft in het NT nergens j
de beteekenis bloedgetuige (Promotionsthese I). — Mit |
einer harten Absage an die Dialektiker beschließt der re- |
formierte Vf., der aus der Schule Grosheides kommt, sei- j
ne mitreißend geschriebene Dissertation. Ein einheitliches
Oesamtbild von der Geschichte des biblischen Zeu- j
genbegriffes ist das Ergebnis: Die hellenistische Herlei- i
tung des frühchristlichen Zeugenbegriffes ist erledigt,
aber auch seine Isolierung ist überwunden. Eine schnurgerade
Linie führt vom AT. zum NT. und im NT. durch
alle Schriften hindurch bis zur Apokalypse!

Nur an Einem Punkte ist diese Geradlinigkcit ernstlich gestört,
da, wo Sch. über Epiktet handelt. Vielleicht wäre an dieser Stelle
ein Kapitel über den Sprachgebrauch der Pscudcpi-
g i a p Ii e n nicht nur organischer, sondern auch fruchtbarer gewesen.
Denn in diesen Texten hat bekanntlich die Märtyrertheologic ihre entscheidende
Durchbildung erfahren (vgl. zuletzt Surkau, 1<)38). Sollte
aus ihnen nicht auch für die Geschichte des Zeugen- und Märtyrerbegriffs
einiges zu lernen sein? Sch. begnügt sich S. 00 mit einein
Verweis auf vier Belege bei StMck-Billerheck I 175 und schreibt
S. 18 f., „dat niemand totnogtoe in eenige J >odsche hron het woord
getuige of getuigen in verband DI et martelaarschap vond". Das ist
in der Tat heute communis opinio. Ähnlich hat sich von Campenhausen
geäußert, ähnlich urteilt jetzt Stratlnnann: „dal! der spärliche
Sprachgebrauch von püoTuc; xt/. in der liier in Frage kommenden
Literatur nirgends etwas besonderes bietet" (Kittels WB 103" s. v.
|t<<<m<c. S. 491, 24 f.). Auch hier findet sieh lediglich der Verweis
auf die genannten Strack-Billerbe ck-Belege. Angesichts dieser kühnen
Fehlanzeigen lohnt sich die Feststellung, daß die Pscudepigraphcn die i
Wortgruppe um uct(JTOS häufig gebrauchen und dabei mancherlei Be- j
solideres bieten. Nur summarisch nenne ich, beliebig aus dem Zettelkasten
herausgegriffen, einige Stellen, die mit der Märtyrertheologie |
nichts zu tun haben, aber das Bild des atlkhen Zeugenbegriffs be- !
reichem und die Probleme der ntlichen Begriffsbildung in
mancher Richtung erhellen: Sap. 4, 0; A. Heu. 06, 4; 07, 12 f.;
Ps. Phil. II, 2; lest. Jud. 20, 5 vi. (Phil. Post. Caht, 50); j
S. Bar. 81, 2: B^B "3n "riN ~n (Nachklänge |

im Bußgebet des Großen Versölmungstages: „Seine Sünde zeugt ins
Angesicht wider ihn, der Holzbalken bezeugt es und macht es kund").
Wer diese Belege durcharbeitet, kann die forensische Bedeutung des
ntlichen Zeugnisbegriffes in M. 6,11; Mt. 23,31; R. 2,15; Hb. 3,
5; Jk. 5, 3 u. ö. vielleicht noch konkreter herausarbeiten, als selbst I
Sch. es tut, und mit neuen Argumenten jetzt Stratlnnann zur Seite
treten, wenn er zu Mt. 8,4 erklärt: ,,Wird vom Priester die tatsächliche
Heilung festgestellt, so bedeutet das ein schweres Belastung«- !
Zeugnis für den Unglauben, in welchem das Volk . . . dennoch be-
harrt" (a.a.O. S. 500, 11 ff.). Wichtiger sind indessen andere Stel- I
len, wo sich der atliche Zeugenbegriff mit der vorchristlichen Mär- j

tyicrtheologie verbindet. Das kann auf doppelte Weise geschehen. :
Bald (a) erscheinen die Erschlagenen als Belastungszeugen: der Er- j
n o r d e t c w |r d zu m Z e u g e n. Bald (b) gilt der um-

gekehlte Satz: der Zeuge wird ermordet. (a) Die
erste Oedankenreihe kündigt sich bereits in 2. Moide. 7, 0 an:
Das Lied des Moses ist ein Belastungszeugnis wider die Verfolger
(Dt. 31,21), weil es von den Heiligenmorden handelt (Dt. 32, 3ö.
43). In A. Hen. 80, ö3. 70; Gr. Hen. 104,11 soll Henoch Zeugnis
ablegen (OtauotOTVOetoßai) wider die Verfolger, indem er über ihr
Wüten und Morden berichtet (cf. Jub. 4, 22; 10,17). Auch in
Hb. Hen. 4, 5 u. ö. lesen wir, daß Henoch entrückt wird, um dereinsi
als Belastungszeuge zu dienen (VOT Db""b nrPW U> nvnb).
In TAbr. B 10 erscheint Henoch demgemäß als der Staatsanwalt beim
Bndgericht und trägt, gewissermaßen als Amtsbarett, auf dem Haupte
drei oxetpavoi uuOTiiniac. In S. Bar. 13, 3 ist Baruch der Berichterstatter
über die Hciligcnmordc und in diesem Sinne „ein Zeugnis"
heim Abschluß des Rechtsstreites zwischen Gott und der Vülkerv.elt.
In A. Hen. 00, 3 jedoch dienen die Rachegebete der Ermordeten selber
als Zeugnis beim Weltgericht. In dem neuentdeckien Fragment des
Gr. Hen. lautet dieser Passus so: Töte fcoip.d£eo6c oi ory.uioi
xaX jiQoo>7.Fo~<}e rdc evteü|eic UU&v sie, uviijiöm'vov, öi'oote
ainrä? ev öuiiiuotuoi'« fvoctiov TaVv liyyeXtov, ontoe slooYyd-
ywmv th üüo.QTijuxiTo: xo>v üfii'xoiv frvoMtiOV tofl mjärrtou . ■ ■
(ed. Campbell Bonner, 1037, p. 43). In Ap. Ahr. 25 heißt es von
den hingeopferten Kindern: Sic „sind mir ein Zeugnis des Endgerichts
am Anfang der Kreatur". In TAbr. B 11 trägt Abel, der dort als
Weltrichtei erscheint, den Beinamen: o tv .-tooiTOic, |MIQTVQf|0ac,
(zur Sache cf. Gr. Hen. 22,7; L. 11,51; Hb. 11,4; 12,24)" Im
NT. treten diese Denkmotive zurück, so wie etwa die Rachegebete
dort in den Hintergrund treten, (b) Umso dichter führt die zweite
Gedankciueihe au das NT. und seine Begriffsbildung heran: Die
Gottesmänner des Alten Bundes sind die rechtskräftigen Ootteazeugett
wider Israel, die Gott aufbietet im Rechtsstreit mit seinem Volk (2.
Kg. 17, 13 ff.; Ps. Phil. 10, I; 20,4; cf. 4. Makk. 10, 10:
Test. Sei). 1, 7 vi.; S. Bar. 84, 2 ff.). Eben darum werden
sie gehaßt, verfolgt, ermordet (cf. 1. Makk. 2,50 mit Nu. 14,
0f.). So sagt Gott in Jub. 1, 12: „Ich werde Zeugen zu ihnen
senden, auf daß ich ihnen Zeugnis ablege; doch sie werden nicht
hören. Sie werden vielmehr die Zeugen töten . . ." (cf. Sifr. Dt. 32,
1: Gott „nahm als Zeugen wider sie die Propheten. . . Sie sündigten
gegen die Propheten . . trieben Spott mit den Gottesboten . . . und
ihr Spiel mit seinen Propheten"). Das polemische Zeugnis der Gottes-
männer wird durch ihre Ermordung bestätigt und vollendet, wird auf
diesem Wege zum potenzierten Belastungszeugnis, — Im Lichte dieses
Sprachgebrauchs wird man den Zeugenbegriff des NT. mancherorts
doch wohl anders interpretieren als Sch., mehr märtyrertheologisch.
So in Ag. 22, 21), in der Anwendung des Zeugenbegriffs auf Stephanus
, der seine Streitrede wider die Heiligenmörder mit seinem Blute
bezahlt hat (cf. Mt. 10,18p.; dieselbe Auffassung liegt der Variante
KO(OTO|idptÜS zugrunde — vgl. den eben erwähnten Beinamen des at.-
lichen Erzmärtyrers <"> iy ngönoiq puoTi>oT|c;ac, und die Terminologie
des Edessenischen Martyrologiums Act. Boll. Nov. II 1 p.
LXIII). So in J. 4,44; 7,7; 18,37; 1. Th. 4,0; 1. Pt. 5,1; 2. Im.
1,8; 1. Tm. 2,0; 0,13 (cf. jetzt Strathmann z. St.). So vor allem
in den fünf Zeugenstellen der Ap., die doch wohl nicht zufällig alle
fünf von solchen und nur solchen Zeugen sprechen, die bereits hingemordet
sind. Warum spricht Sch. diese vielsagende Koinzidenz nicht
einmal ohne Wenn und Aber aus? Warum erkennt er nirgends im
NT., aber auch nicht in 1. Cl. 5,7, die Ansatzpunkte zur Ausbildung
des altkirchlichen Sprachgebrauchs — warum erst in 1. Cl. 5, 4
und Hegesipp hei Euseb. 2,23, 18? (s. Sch. S. 153. Zu paoTuoefv
cf. Ap. Abi. I! 11; Hegesipp n, a. O. 3, 32, 3 und das apokalyptische
Fragment P. Ox. III Nr. 403, 28). Warum fragt Sch. sich nicht selbst,
woran es liegen mag, daß gerade der Zcugenhegriff so „bruikhanr Werd,
om (n. b. in der nachapostolischen Zeit!) de martclaren aan te dulden"
(100)? Weshalb hat die griechische (lateinische und koptische) Kirche
den Martysbegriff und nicht (wie z. B. die syrische Kirche) den Begriff
„Bekenner" oder (wie etwa die armenische Kirche) den Begriff
„Agonist" als terminus technlcui zur Bezeichnung des Märtyrers verwandt
? Dies jedcnfalts ist eine Frage, die mit dem Hinweis auf die Vcr-
folgungszeiten nicht zu erledigen ist. Hier stoßen wir auf eine spezifische
Praedisposition des Martyshegriffs. Diese Pracdispositiou liegt m, E.
schon im vorchristlichen Zeugenbegriff, in der Zeugnisterminologie
der altbiblischen Märtyrertexte; sie kommt zur Geltung in Ag. und den
Deuteropaul inen, zur Durchsetzung in Ap., zur Entfaltung in der

frühkirchlichen Märtyrerliteratur, Die Einheit der Begriffsgeschichte,
die Sch. so verdienstlich herausgearbeitet hat, wird durch diese Beobachtungen
nicht erschüttert, vielmehr noch ausgeweitet. Sie reicht
in. E vom AT. bis bin zur Begriffsbildung der Alten Kirche.

I'onn Ethelhert Stau ff er

Ebeling, Lic. theol. Hans Jürgen: Das Messiasgeheimnis und
die Botschaft des Markus-Evangelisten. Berlin: Töpelmann
1039. (XVI, 224 S.) gr. 8" = Beih. z. Zeitschr. f. d. Neutest. Wissenschaft
10. RM 13—.

Das Problem des Messiasgeheimnisses in den Evan-