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Ausgabe:

1940 Nr. 11

Spalte:

304

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Parrot, André

Titel/Untertitel:

Malédictions et violations de tombes 1940

Rezensent:

Leeuw, Gerardus

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303

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 11

304

nach Amerika — die doppelt entbehrlich ist, nachdem
der Roman des Isländers üudmundur Kamban soviele
deutsche Leser gefunden hat; hier ist wahrhaftig kein
Neuland mehr. In den Belegstellen (die jetzt vom Text
getrennt sind), finde ich vier Werke von 1933 angeführt
; von dem überreichen germanenkundliclien Schrifttum
der Zwischenzeit ist nichts genannt, nicht einmal
Heuslers Germanentum von 1934. Diese äußere Sorglosigkeit
läßt alte sachliche Einwände gegen das Bucii
wieder erwachen.

Sie gelten dem Inhalt und der Form; weniger Einzelargumenten
als der ganzen Argumentation, weniger einzelnen
Formulierungen als dem ganzen Tenor. Man vermißt
die streng abwägende Unparteilichkeit, die scharfe
Quellenkritik, die unbefangene Fragestellung.

Was dem Einen recht ist, sollte dem Anderen billig
sein. Neckel verwahrt sich mit Hecht dagegen, daß oberflächlich
verallgemeinernde Urteile über germanische Vergangenheit
immer wieder denselben Quellen nachgesprochen
werden. Seine summarischen Urteile über die
Stellung von Kirche und Kirchenvätern zur Ehefrage
lassen das besonnene Oleichmaß aber auch bisweilen
vermissen. Paulus ist ihm ein Ehehasser- und hat doch
auch das berühmte Wort von dem Bischof gesprochen,
der eines Weibes Mann sein solle. Die Kirche, meint er,
habe das Verheiratetsein als minderwertige Daseinsform
verurteilt — dabei hat sie in Deutschland bis ins 11.
Jahrhundert verheiratete Priester als die Regel geduldet.

Auch die Art, wie die Einzelquelle befragt und ausgedeutet wird,
weckt öfter Bedenken. Die Verwertung dichterischer Zeugnisse ist
nicht immer vorsichtig genug. Hochmittelalterliche Auftritte wie der
aus dem Helgilied (S. 33) können nicht als Zeugen altgermanischer
Oesinnung gelten, ob nun die Personen selbst in unser Altertum zurückreichen
oder nicht. Auch der Urquell der Oermanenkuude, die
Germania selbst, vertrüge noch vorsichtigere Auslegung. Niemand wird
an dem Satz des Tacitus rütteln wollen: Die Mitgift bringt nicht die
Gattin dem Mann, sondern dei^fTrtann seine^ Gattin. Aber man darf
daraus nicht den bindenden Schluß zieher?,* die Gattin habe die ilos
erhalten, nicht die Sippe. Neckel sucht das Zeugnis der Germania auf
gleich zu bringen mit dem des Westgotengesetzes. Dort lieilit es: der
Vater habe das Recht, den Mahlschatz der Tochter anzufordern und
aufzubewahren. Sollten er und die Mutter sterben, so haben die Brüder
den Mahlschatz der Schwester auszuzahlen. Neckel meint, das
müsse zwischen Verlobung und Hochzeit geschehen — wahrend jeder
Unbefangene herauslesen wird: der Mahlschatz bleibt dem Vater, gehört
aber dem Erbteil der Tochter zu. Unser Vf. möchte eben auf
jede Weise die ihm verhaßte Vorstellung der „Kaufehe" ausrotten.
Das Wort geben auch wir gerne preis; nicht aber die schöne Vorstellung
, daß der Vater die Tochter zu seinem kostbarsten Besitz zählt
und sie nur gegen reiches Entgelt von sich läßt. Neckel Verabscheut
die Auffassung der Frau als eines Handelsgegenstands, und das unbequeme
Zeugnis, nach dem da und dort Ehefrauen wirklich verkauft
worden sind, schiebt er beiseite mit der Bemerkung: die neuere
Zeit habe noch schlimmere Formen der Unfreiheit und Entwürdigung
der Frau hervorgebracht. Zu kaufen, meint er, pflege man
sich Dinge, die nur der augenblicklichen Befriedigung dienen, etwa
ein Konzertbillet, einen ,.Affen". — Die Freunde des Buches hatten
gehofft, dieser Stelle in der Neuauflage nicht wieder zu begegnen.

Wir greifen an den Kern des Ganzen: Die Frage, wie
germanische Sitte und Sittlichkeit beschaffen war, kann
nur durch unbefangene Prüfung und Auslegung der
Zeugnisse gelöst werden. Man darf hier auf keinen Fall
mit außergermanischen Maßstäben messen. Wie verfährt
aber unsere Schrift? Sie läßt wohl die Zeugnisse über
die Mehrweiberei der Fürsten von Ariovist bis Harald
Sch-önhaar und über die Nebenehen manches Sagabauers
zum Leser sprechen, verficht aber dennoch mit allen Mitteln
die streng .monogamische' Einstellung unserer Vorfahren
. Sie sieht vorbei an der Tatsache, daß ehendas,
was an der Frau grausam geahndet wurde, dem Mann
erlaubt war: der außereheliche Verkehr, das Nebeneinander
von wildem und gesetzlichem Bund. Man versteht
es, daß sich das sittliche Gefühl des heutigen Betrachters
gegen diese Duldung aufbäumt. Wer aber so empfindet
, der muß sich klar machen, daß er auf einem anderen
ethischen Boden steht als dem altgermanischen;
denn auf ihm fand sich Raum für die ,Frillenehe', und
sie setzte den Mann nicht herab.

Es fällt in unserem Buch manches Wort gegen Kirche
und Christentum; dennoch dünkt uns, der christliche
Leser kommt bei ihm zu seinem Recht. Es betont eifrig,
daß sittliches Werten und Handeln auf! außerhalb des
Christentums möglich und wirklich sei. Den Maßstab
aber für das, was sittlich ist, entnimmt es — wenngleich
unbewußt — dem Christentum.

Tübingen Hermann Schneider

Parrot, Andre: Malödictions et Violations de Tombes. Paris:
P. Geuthner 1939. (201 S., 56 Textabb.) gr. 8°. Fr. CO—,

Es ist bekannt, daß die Beerdigung in der Geschichte
der Menschheit nicht bloß eine Verfügung über die
Leiche bedeutet, sondern einen Ritus, der das Wiederaufleben
und mindestens das Amiebenbleiben des Toten
I bezweckt. Somit läßt es sich leicht verstehen, daß Grabschändung
in vielen Kulturen nicht nur als eine Verletzung
der Pietät gilt, sondern als eine wesentliche Schädigung
des Verstorbenen, die vielleicht seine gänzliche
Vernichtung zur Folge hat. — Und auch wird verständlich
, daß der Tote mittels einer ürabschrift dem Grabschänder
mit Strafe und Fluch droht, nicht selten in der
Form einer Beschwörung.

Parrot nun hat eine Anzahl Fälle der Grabschändung
und Verfluchung aus den Gebieten von Mesopotamien,
Syrien und Phönikien, Palestina und Transjordanien und
Aegypten im vorliegenden Bande gesammelt. Er fügt
drei Kapitel hinzu über die Bekämpfung des Grabraubs
j in Klcin-Asien, über die Verfluchungen im Westen und
I über den — auch im AT vorkommenden — Ausdruck
dorn us aeterna für das Grab.

Der Abschnitt über Aegypten steht, weder was Originalität
noch was Vollständlichkeit betrifft, auf der gleichen
Höhe wie die andern ausgezeichneten Kapitel. Es
! nimmt wunder, daß der große Grabraubprozeß (Pap-
[ Abbott und Amherst, Erman-Ranke S. 140ff.) kaum und
[ das „Grabgut" (pr-dt) überhaupt nicht erwähnt werden
.

Übrigens aber haben wir in Parrot's Buch eine recht
nützliche Sammlung. Besondere Beachtung fand die

I sog. Nazareth-Inschrift, ein kaiserliches Reskript gegen
die Grabräuber, das schon mit dem leeren Grab der

1 Auferstehungsgeschichte zusammengebracht wurde, und

I das jedenfalls sowohl den Altphilologen wie den Theologen
interessieren wird.

| Groningen G. van der Leeuw

I Eckhardt, Karl August: In^wi und die In»;weonen in Überlieferung
des Nordens. Weimar: H. Böblau 1939. (VIII, 103 S.,
1 Kte.) 8° = Deutsches Ahnenerbe, Veröff. d. Deutschrechtlichen
Inst., Stud. z. Rechts- u. Religionsgeschichte, Heft 2. RM 5.60.
Es ist ungemein zu begrüßen, daß sich ein deutscher Rcchtshisto-
riker wie Karl August Eckhardt so weit ins Altnordische vertieft hat,
um seine Sippen- und Staminungsforschung hei unseren germanischen
Urvätern vornehmen zu können. Er behandelt in seinem Buche den
der drei uns schon durch Tacitus wohl bekannten germanischen Haupt-
stämme, über den wir die meisten Urkunden besitzen. Er hat mit
großem Fleiß und viel Hingabe die Quellen wie Ari, Snorri Sturluson,
die fränkische Völkertafel und das angelsächsische Runenlied, sowie
die einschlägige Literatur durchgearbeitet und kommt zu dem Ergebnis
, daß die Hauptquelle, das Ynglingatal in den Jahren 838—68 n.

i Chr. entstanden sei. Meinen .Beiträgen zur Eddaforschung', die be-

I reits im Jahre 1908 erschienen sind, widmet er mehrere Seiten. Mir
scheint die ganze Polemik nicht notwendig, da er selbst es weiß und
hervorhebt, daß ich in einem im I. Bde. der .Deutschen Islandforschung
' 1930 erschienenen Aufsatze bekenne, meine einstige These
nicht mehr aufrecht zu erhalten. Wäre mir freilich das mir peinliche

I Versehen einer Namensverwechslung, das ich übrigens auch bei zwei
anderen namhaften Gelehrten nachweisen kann, nicht passiert, so wäre
mir wohl schon 1908 mein Forschungsergebnis zweifelhafter erschienen.
Die Forschungsmethode von E. ist scharf und gründlich. Ich schließe
mich ihm heute voll an, weil ich eingesehen habe, daß die Bindungsverhältnisse
nicht die Tragweite haben, wie ich damals annahm, und
weil die isländische Überlieferung sich seitdem mehr und mehr als
durchaus zuverlässig erwiesen hat. Wie auch E. auf S. 36 anführt,
ist es interessant, daß archäologische Ausgrabungen in Uppland die