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Ausgabe:

1940

Spalte:

284-285

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kittel, Helmuth

Titel/Untertitel:

Alfred Graf Schlieffen 1940

Rezensent:

Stäglich, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

284

In der Idee des ,Reiches' hat deutscher Wehrwille sich
die Herrschaftsform geschaffen, die seinem Wesen entspricht
" (S. 91f.). Deshalb sieht Bauer mit Recht, daß
es zur Wehrhaftigkeit gehört, wenn deutsche Menschen
auf deutschem Boden eingewurzelt werden, damit sie
wissen, wofür sie ihr Leben einzusetzen haben. Das
Entscheidende echten, wehrhaften Soldatentums zeigt
sich aber wiederum in der inneren Wandlung, und zwar
zur Demut und zur Frömmigkeit hin. „Wer die Hölle
nicht kennt, der weiß auch nicht mehr, daß er der Gnade
des ewigen Gottes bedarf, um die Kraft zum Atmen zu
erhalten" (S. 103f.). Die innere Wehrhaftigkeit widersteht
allem äußeren Glanz und Ruhm getreu und getrost
in der Nachfolge dessen, „der uns durch Kreuz
und Tod ins Leben führt. Das heißt wehrhaft sein aus
Glauben" (S-112).

Der letzte Abschnitt „Wehrhafter Glaube" grenzt
diesen von der sogenannten heroischen Lebenshaltung
ab. Auch Bauer nennt den Heroismus „eine Höchstform
mannhaften Seins, . . . die kriegerischen Herzen mit Bewunderung
, erfüllend und sie in die Bahnen seines Ruhmes
zwingend" (S. 126). Aber alles Heldentum lebt
vom Vorbild und zerbricht mit diesem. Deshalb kann
der Heroismus auch so leicht in die Panik umschlagen.
Der wehrhafte Glaube aber gründet sich „auf die Majestät
eines Gottes, der über alles mächtig ist, Macht hat
auch über das Schicksal, und der zugleich der gnädige
ist" (S. 127). Während die heroische Unerschüttcrlich-
keit das Entsetzen niederhält, überwindet der Glaube
dieses Entsetzen dadurch, daß er auch in ihm Gottes
Nähe weiß. Auch die Stellung zum Tode ist grundlegend
verschieden. Dem heroischen Menschen ist der Tod das
Ende, der gläubige dagegen nimmt den Ted in sein Leben
mit hinein (S. 128). Weil es bei der Wehrhaftigkeit
um das Leben geht, sowohl in der Hingabe wie in der
Verteidigung, entsteht notwendig die Frage nach dem,
der das Leben gegeben hat und es auch nehmen kann.
Deshalb ist der wehrhafte Glaube entscheidend für die
Mobilisierung der seelischen Kräfte.

Dieses Buch hat die große Verantwortung für die
religiöse Seite der Wehrhaftigkeit klar herausgestellt,.
Besonders wichtig ist es, daß Bauer auch auf die Zusammenhänge
zwischen der Wehrhaftmachung und dem
Rechtswesen (S. 107) und der Geldwirtschaft (S. 133)
hingewiesen hat. In einem Geleitwort hat General a. D.
Rüdiger Graf v.d. Goltz Lehrern und Erziehern dieses
Buch empfohlen. Darüber hinaus kann es nicht nur dem
Heerespfarrer, sondern jedem, der für die Wehrerziehung
verantwortlich ist, wertvollste Dienste leisten.

Dies eine wird jedem Leser dieses Buches unabweis-
lich klar werden, daß ein starker Gottesglaube für die
innere Wehrertüchtigung unerläßlich ist. Bauer hat an
keiner Stelle sich mit einem äußeren Aufzählen von Beispielen
begnügt, die etwa das Wort bestätigen könnten,
daß Not beten lehre. Er sieht viel tiefer. In diesem gewaltigen
Ringen entsteht die religiöse Frage überhaupt
nicht nur im Blick auf das Einzelleben, sondern ist, wie
alles im Kriegsfalle, auf das Gesamtgeschehen bezogen.
Eine wichtige Frage entsteht aber kritisch gegenüber
dem von Bauer betonten Zusammenhange zwischen der
religiösen Wandlung und dem Christentum.

Bauer hat es vermieden, für diese Wandlung religiöse
Begriffe wie Gericht und Gnade, Sünde und Erlösung
, Buße und Rechtfertigung, Sühne und Opfer zu
verwenden (S. 57); und doch hat er den tiefen Sinn
der inneren Wandlung nur vom Christentum her zu
deuten vermocht. An zwei Beispielen wollen wir zeigen,
wie Bauer diese christliche Deutung versteht:

1. Wenn jeder Soldat schon vor dem Tode mit dem
Tode fertig werden muß und „durch tausendfache Todesängste
hindurch" ein völlig neues Verhältnis zum Leben
und zum Tode gewinnt, dann kann nur Gethsemane mit
diesem Vorgang verglichen werden (S. 53).

2. Von der Frontgeneration und der Generation, „die
die Sehnsucht trägt, ihr Leben zu erfüllen", sagt Bauer:

! „Sie wissen von des Reiches Herrlichkeit, von Kreuz
und Krone und vom Christ, der aus der Nacht des To-
j des auferstand, auf daß er künde von dem Reiche, das
j keine Hölle jemals überwinden kann" (S. 76).

An diesen beiden Beispielen, die für manche zunächst
vorschnell oder vielleicht auch unnötig diesen Wand-
I lungsvorgang vom Tode zum Leben hin mit dem
Christusglauben verbinden, wird deutlich, daß es für
Bauer gar nicht darauf ankommt, ob diese Wandlung
von den einzelnen in bewußtem Zusammenhange mit
dem Christentum erlebt worden ist. Ihm ist es nur wich«
] tig, die „Verwandtschaft" (S. 62) zwischen Christentum
1 und Soldatentum aufzuzeigen und damit die innere
| Gleichheit desjenigen Glaubens, der hinter beiden Aus-
j prägungen steht. Dieser Glaube entsteht aus dem Zu-
j sammenbruch der eigenen Selbstsicherheit und Verzweiflung
und ist nur dem möglich, der im Zusammenbruch
] noch den Sinn seines Opfers und damit die Göttlichkeit
j seines Auftrags ergreift. Gethsemane, das Kreuz und die
I Passion Christi haben also zunächst für Bauer nur eine
symbolhafte Bedeutung für das eigene, gegenwärtige Geschehen
. Sie dienen dem, der die Gegenwart in seiner
metaphysischen Tiefe erfassen will, zum deutenden Vergleich
. Wir sind überzeugt, daß auch von Bauer die einmalige
und einzigartige Bedeutung des Christusgeschehens
gerade für die religiöse Deutung des gegenwärtigen
Geschehens anerkannt wird. Aber wir finden die IC
J Seite, die wir im Unterschied zu der symbolhaften die
religiös-fundamentale nennen möchten, nicht
klar hervorgehoben. Besonders gilt dies in zwei Fällen,
bei dem Hinweis auf das Abendmahl (S. 61, 128) und
bei der Beziehung von Kreuz und Reich (S. 100, 112,
120, 141f.). Bauer sagt z. B. von Friedrich d. G.: „Er
wirkte aus der Kraft des Kreuzes, die die Kraft des
wahren Reiches ist (S. 100); und gegen Ende heißt es
von dem gnädigen Gott: „Er segnet die Krone des Reiches
mit dem heiligen Zeichen des Kreuzes, auf daß er
das Volk des Reiches bereite zu opfernder Liebe und
selbstlosem Dienst am Leben" (S. 142). Schon der Begriff
des Reiches ist bei Bauer nicht klar bestimmt. Er
versteht, wie wir sahen, unter dem Reich im Unterschied
zum Staat diejenige göttliche Lebensordnung der Völker,
die nur im Volk selber erfaßt und gelebt werden kann.
Daß die Idee des Reiches aus der Kraft des Kreuzes
lebt, ist unbedingt richtig, weil die Gewißheit des gnädigen
Gottes sich immer wieder auf den gründen muß,
der in der Geschichte uns diese Gnade anschaubar gemacht
hat. Wir vermissen aber, daß Bauer gar nichts hat
anklingen lassen von der Mittlerbedeutung, die Christus
gerade für die tiefste Not, für das Wissen um die schuld-
nafte Gottesferne, zukommt. Von dieser Bedeutung spre-
| chen doch manche Briefe aus dem Felde. (Z. B. Kricgs-
j briefe gefallener Studenten, S. 163 f.). Der christliche
Glaube macht nicht nur wehrhaft, weil er uns der göttlichen
Führung auch im Chaos vergewissert, sondern
weil er auch gegenüber der inneren Angefochtenheit getröstet
. Deshalb muß auch die Aufnahme in Gottes Reich
unterschieden werden von dem Kämpfen für das Reich
als der göttlichen Lebensordnung. Wehrhafter Glaube
hat nicht allein Christus zum Vorbild, sondern auch zum
ureigensten Inhalt. Die nahe Beziehung von Kreuz und
Krone bleibt bestehen; aber das Kreuz ist nicht nur die
Kraft für dieses, sondern auch für das ewige Reich.

Jena H. E. E i s e n h u 1 Ii

Kittel, Helmuth : Alfred Graf Schlieffen. Ineend und Glaube.
Berlin: Vlg. d. Evanj. Bundes [1939J. (VI, 79 S., 4 Abb. auf
Taf.) 8° = Protest. Studien 26. RM 3—; Keb. RAA 4—

Der Verfasser ist weiten Kreisen bekannt durch seine
Schrift „Religion als Geschichtsmacht". In ihr sucht er
den Nachweis zu führen, daß in der deutschen Geschichte
sich die christliche Religion als entscheidender Faktor
gezeigt habe- Die vorliegende Studie über den früheren
Chef des deutschen Generalstabs Feldmarschall Schlieffen
will dasselbe an einem Einzelbeispiel aufweisen. Sie