Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940

Spalte:

276-277

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Thielicke, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Wunder 1940

Rezensent:

Schott, Erdmann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

275

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

276

nicht weniger notwendigen) Geschehens" (138). Der richtig
verstandene, seelisch-organisch-geistige Fatalismus,
nach dem der Mensch nicht ausgeschaltet, sondern ein
hochorganisierter Durchgangspunkt für das allgemeine
Geschehen ist, ist die unentrinnbare Konsequenz des De- !
terminismus. Die Klarheit und Einfachheit der Darlegung
ist ihre Größe und ihre Grenze. Darum bleiben
die Erörterungen der Existenzphilosophie unberücksich- ;
tigt. Jaspers wird nur an belanglosen Stellen erwähnt,
Gehlen wird als Gedankenakrobat und Weischedel als
„impotente Potenz" abgetan. Da G. alle Transzendenz
ablehnt, bleiben die theologischen Beiträge zum
Problem außer Betracht.

Der zweite, weniger referierende, sondern mehr dar- j
stellende Teil will die Undenkbarkeit und Unmöglichkeit '
der Willensfreiheit beweisen, und zwar im Gegensatz I
zu Max Planck gerade als Konsequenz der neueren Phy- |
sik, denn das Kausalgesetz „gehört noch nicht einmal j
aufs Altenteil" (179). Auch im bewußten Motiv ist das ■
Wesen des Betreffenden selbst schon mitgesetzt. Freiheit
besteht im Zufall und in der Unberechenbarkeit j
und ist daher eine Entwürdigung des Menschen. Da jedem
freien Willen ein anderer Wille vorgeordnet sein
muß, wird der Kausalnexus als undurchbrechbar bewiesen
. Nicht nur die „phantastische Absurdität des deutschen
Idealismus" (235), sondern vor allem auch Nicolai
Hartmann sind abzulehnen, der sich mit seiner dritten
Determinationsweise einfach „übernommen hat- Das geht
eben einfach nicht" (226). „Während soviel Grundfragen
der Philosophie einen Rest zu tragen peinlich hinterlassen
, geht diese restlos auf. Für die Willensfreiheit
gibt es kein .Stehe auf und wandle!', der Totenschein
wird nunmehr endgültig ausgestellt" (256). In einer kurzen
Schlußbetrachtung mit vielen Gedichten kommt G.
auf das Thema seines Buches zu sprechen: er empfiehlt
den Schicksalsglauben als zeitgemäß, da er der griechisch
-römischen Notwendigkeit und der nordisch-germanischen
Innerlichkeit entspräche. Schicksal ist Notwendigkeit
.

Die Methode des Konsequenzen-Ziehens ist besonders
bei diesem Problem unangemessen. Das metaphysische
Problem wird zum logischen und biologischen gemacht
. „Das Einerseits-Andersseits, das unter dem Protektorate
Kants in unserer Frage außerordentlich verbreitet
ist, müssen wir für schlechthin verhängnisvoll, ja geradezu
als Bankrotterklärung der Philosophie ansehen"
(93). Kants „Ausweg vom intelligiblen Charakter ist
überhaupt eine verfehlte und unbrauchbare Scheinlösung,
was nicht ausschließt, daß Kant auch für diese schwäcn-
ste seiner Lehren Anhänger gefunden hat" (134).

Der pragmatischen Haltung entspricht die Form der Darstellung:
Der Leser kann sich nicht genug über die Charakterschwäche und den
Mangel an Denkermut bei den besprochenen Philosophen wundern,
von denen seitenlange Zitate mit scharfen Randbemerkungen versehen
werden( z. B. Adickes 150). Ausdrücke wie „einfach ein Skandal"
(2<J), „Lapsus" (64), Sätze wie „Ein konsequenter Determinismus
kann hierzu nur sagen: wenn meine Tante Räder hätte. . . Es wäre
zwar schön gewesen, aber es hat nicht sollen sein" (55) sind die Konsequenz
der einseitigen naturalistischen Betrachtung von O., die wohl
nur wieder in seinem Wesen mit gesetzt ist (20<J). Die drastische,
bilderreiche und zum Schluß poetische Sprache von O. fördert die
Durchsichtigkeit seiner allerdings manchmal ans Banale streifenden,
weitgreifenden Darlegungen. Fichte wird mit Wilhelm Busch widerlegt
(234). Manche Vergleiche sind treffend und einprägsam, über
Bilder wie die von den Tänzerschritten (75), über das Theaterspiel
E. v. Hartmanns (84 ff.), über das Zuckerwasser (214) II, a. kann
man anderer Meinung sein.

Für die theologische Debatte ergibt sich aus dem
Buch nichts- G. scheint jetzt der Hauerschen Richtung I
sympathisch gegenüber zu stehen. Die bissige Eingangsbemerkung
über die Rezensenten, die sich nicht die Mühe
inachen wollen, das Buch zu lesen, war allerdings nötig, !
da diese Versuchung für den philosophischen Leser be- j
steht, denn nicht für den auf die realistische Wirklichkeit |
sich beschränkenden natürlichen Menschen ist die Willensfreiheit
ein Problem, sondern für den, der die Existenz
zu erhellen sucht. Welche Wandlung beim Ver- >

fasser von „der deutsche Idealismus und das Christentum
" (437—448)!

Eupen Hennig

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Thielicke, Lic. Dr. Helmut: Das Wunder. Eine Untersuchung
über den theologischen Begriff des Wunders. Leipzig: J. C. Hiniichs
1039. (67 S.) gr. 8°. RM 1.80.

Die orthodoxe These, das Wunder sei eine Durchbrechung
der Naturgesetze, nimmt nach T. den „höchst
profanen" Begriff der Kausalität in der Wunderfrage
zu wichtig und setzt fälschlich Wunder — Kontingenz (11).
Da sich der Begriff der Kontingenz von der einzelnen
(Wunder)-Tatsache ablösen und auf das Weltganze ausweiten
lasse, komme man mit innerer Folgerichtigkeit
an den Punkt, wo man der einzelnen Tatsache überhaupt
ihren Wundercharakter bestreiten und „Wunder" zu
einem bloßen Verhältnisbegriff machen müsse. Die
ganze Wirklichkeit ist ein einziges Wunder im Blick
auf die causa prima, Gott, die jederzeit den causae
secundae hätte andere effectus entlocken können. Ebenso
ist aber auch die ganze Wirklichkeit in die ne-
cessitas des sich verwirklichenden Gotteswillens einbe-
schlosscn und insofern „normal", also nicht wunderhaft
(13 ff.). Damit stehen wir dicht bei Schleiermaclier>
nur daß dieser an die Stelle der orthodoxen ratio-Norm
seine Anschauungs- und Gefühlsnorm setzt (17).
Schleiermacher bricht vollständig mit dem von der Orthodoxie
immer vertretenen Gedanken, das Wunder sei
etwas Unerklärliches und Fremdes, sozusagen die große
Ausnahme, und läßt statt dessen „Wunder" nur noch
den „religiösen Namen für Begebenheit" sein (18).

In welchem Sinne sind im NT. die Wunder Jesu
Ausweis seiner Messianität und Heilandsvollmacht? Nicht
als Umgehungsstraße für den Glauben und als Überbietung
des bloßen Wortes (28 f.), sondern weil sie
den I at- und Ereignischarakter des Wortes unterstreichen
(31). Das Wunder ist Sclbstauslegung des Wortes
(33). Ebenso wie das fleischgewordene Wort ist
das Wunder v e r w e c h s e 1 b a r, sei es, daß es mit der
dämonischen Macht, sei es, daß es mit der kausalen
Ordnung verwechselt wird (39). Das Wunder gehört
in die theologia crucis hinein, nicht in die theologia
gloriae (44), da es nicht Konzession an die Wundersucht
des Unglaubens ist. Das Wunder ist genau wie das
Wort zugleich Gesetz und Evangelium; denn es enthüllt
Leid und Tod, indem es sie überwindet, als Unordnung
, Unnatur und üottesferne (48). Der tiefste Grund
für die Ablehnung des Wunders durch den Unglauben
liegt gerade in der Gegenwart eben darin, daß Jesu
Wunder die Welt als gefallen behandeln (48).

Das Wunder ist Durchbrechung des Bannes der
Weltgesetzlichkeit (Leid, Tod, Sünde; 53). In welchem
Verhältnis stehen nun Weltgesetz und Kausalität und
damit mittelbar auch Wunder und Kausalität? 1. Die
Kausalität ist nur die formale Struktur der Weltgesetzlichkeit
; beide unterscheiden sich „wie Form und
Inhalt, Medium und Ereignis, Bad und Kind" (59).
2. „Die kausale Gestalt des Weltgesetzes ... ist nur in
den Augen des Menschen da (eben im gegenständlichen
Anschauungsakt). Das Weltgesetz selber aber ist in
den Augen Gottes da" (59 f.). 3. Die Kausalität als
„Wcltanschauungsform" verkündet eine Welt der gesicherten
abgeschlossenen Immanenz und erhebt kategorischen
Protest gegen das Wunder (61 f.). 4. Zum
Wunder gehört nicht wesensnotwendig die Durchbrechung
der Kausalität (es gibt auch „wunderbares" Zusammentreffen
von Umständen), aber das Wunder ist
auch nicht an die Kausalität gebunden: Gottes Wirken
im Wunder steht „gleichsam jenseits der Kausalität"
(65). Das Wunder entwürdigt und entgöttert bei alledem
nicht die übrige Welt, aber es enthüllt und zerbricht
die Selbstvergötterung dieser Welt (66 f.).