Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940

Spalte:

267

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Titel/Untertitel:

Johann Heinrich Volkening 1796 - 1877 1940

Rezensent:

Rolffs, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

267

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

Ehren zu bringen. Aber wenn auch noch der Archivdirektor
Hänselmann durch den Kreis um Raabe seine
Beleuchtung empfängt, so fragt man sich doch, warum
der Dichter nicht selbst in dem Bande erscheint; was I
ihm bisher an biographischen Arbeiten gewidmet ist, |
dürfte nicht so allgemein bekannt geworden sein, daß ein >
Lebensabriß von ihm hätte überflüssig erscheinen kön- |
neu, ebensowenig wie ein solcher von Wilh. Busch, j
wenn es eben darauf ankam, die niedersächsische Lebensanschauung
zu charakterisieren.

Aber diese Desiderien sollen keineswegs die Dankbarkeit
mindern für das, was der Herausgeber Bibliotheksdirektor
Otto Heinrich May in Hannover nicht
ohne große Mühe zusammengebracht hat und unter j
Überwindung mancher Schwierigkeiten darbietet.
Göttingen E. R o 1 f f i

Rahe, Pfr. Lic. Wilhelm: Johann Heinrich Volkening als Prediget;
in den Anfängen der Erweckungshevvegung Von Minden-Ravensberg
. Bethel: Verlagshandlung der Anstalt Bethel 1940. (107 S.) 8°
= S.-A. a. Jahrb. d. Ver. f. Westfäl. KQ, 1939/40. RM 1.20. I

Rahe hat vier Predigten des bekannten Erweckungs-
predigers aus den Jahren 1826—28, die dieser in seinen !
ersten beiden Gemeinden Schnathorst und Gütersloh ge- i
halten und selbst durch den Druck verbreitet hatte, die |
indes längst verschollen waren, in dem oben bezeichneten !
Jahrbuch wieder ans Licht gezogen und mit einer trefflichen
Einleitung, sowie zahlreichen Anmerkungen (da- i
runter auch einem ziemlich umfangreichen Auszug aus J
eifier fünften Predigt), versehen. Er zitiert selbst in der [
Einleitung ein Wort von Rothert: „Natürlich gehörte zu
dem vollen Eindruck der Volkeningschen Predigten, daß
man sie aus seinem Munde hörte." Uns Heutigen wird j
ihr Eindruck nur verständlich durch den geheimnisvollen
Einfluß der Persönlichkeit des Predigers; ebenso stark
ist er aber offenbar bedingt durch den Geist der Zeit,
der durch die Romantik als Reaktion gegen den Rationalismus
bestimmt war. Insofern gehören sie in die Kirchengeschichte
und bilden einen willkommenen Beitrag
ZUr Charakteristik der Erweckungsbewegung.
Göttingen E. R o 1 f f s

Thimme, Heinrich: Kirche und nationale Frage in Livland
während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Pastor
und Qeneralsuperintendent Ferdinand Walter u. s. Zeit. Königsberg
i. P.: Osteuropa-Verlag 1938. (IV, 143 S.) gr. 8° RM 5.80.

Hof fm an n, Konrad: Volkstum und ständische Ordnung in
Livland. Die Tätigkeit des Oeneralsuperintendentcn Sonntag zur Zeit
der ersten Bauernreformen. Königsberg i. P.: ebenda 1939. (IV, 153 S.)
= Schriften der Albertus-Univ., Geisteswissenschaftliche Reihe, Bd. j
19 u. 23. RM 5.80.

Zur Anzeige liegen zwei bald nacheinander erschienene
eng zusammengehörende Schriften der Albertus-
Universität vor, die sich beide in der Hauptsache mit den
nationalen Problemen Livlands in der 1. Hälfte des vorigen
Jahrhunderts beschäftigen. Das, was bei beiden Büchern
vor allem in die Augen fällt, und für die Struktur
des damaligen Livland charakteristisch ist, ist die Tatsache
, daß die Darstellung der genannten Problematik
an der Hand der Stellung zweier markanter kirchlicher
Führer gegeben wird, und — wie sich ergibt — auch nur
so gegeben werden kann. Die Schrift von Hoff mann
behandelt daher für den von ihm gewählten Zeitab- ,
schnitt die Person des Gen-sup. Sonntag (geb. 1705 in
Sachsen, seit 1788 in Riga, seit 1803 Gen.-sup. von Livland
, gest. 1827), die von Thimme die Person des
Pastors und Gen-sup. Ferdinand Walter (geb. 1801 in
Livland, 1833—1857 Pastor zu Wolmari.L., 1855—1864 j
Gen-sup., gest. 1869). Wie sich beide, und mit ihnen j
die von ihnen vertretene Kirche, zu den nationalen Fragen
im weitesten Sinn dieses Wortes stellte, wird gut be- j
legt und eingehend dargestellt. Auf Einzelheiten in der I
Entwicklung kann hier nicht eingegangen werden; um so
wichtiger erscheint das Grundsätzliche, die Frage: woher
der Kirche bei der Lösung dieser Fragen, vor allem j

der Schulfrage, eine so große Bedeutung zukam. Die
Antwort ergibt sich daraus, daß allein die Pastoren und
geistlichen Führer durch ihr Amt mit allen Ständen des
Landes in Berührung kamen: sowohl mit den deutschen
Gutsherren, als auch mit den nicht-deutschen Bauern und
Landleuten. Und eben aus dieser Stellung entwickelte
sich in den Pastoren das Pflichtbewußtsein, die mannigfachen
Aufgaben dieser Mittlerstellung getreulichst auszuüben
- Ich verweise dabei insbesondere auf die Bedeutung
der Landtagspredigten, in denen (in der Regel) der
Generalsup. vor Eröffnung des Landtages zu dessen
Gliedern «prach, und durch die er einen nachhaltigen
Einfluß ausüben konnte. Das gilt von der Predigt Sonntags
, die er bereits 1795 stellvertretend vor den Landtagsgliedern
hielt, und in der er sie nachdrücklich auf
die Notwendigkeit der Bauernreform hinwies. Dasselbe
gilt von der bekannt gewordenen Predigt Walters vom
Jahre 1864, in der er Livland als altes deutsch-protestantisches
Land hinstellte und der Ritterschaft die national
-kulturelle Angleichung und Verdeutschung der Indigc-
nen als Aufgabe zuwies. Diese letzte Frage ist in Livland
viel diskutiert worden, ebenso in Kurland; gerade
bei dieser Diskussion ist übrigens im Gegensatz zu der
These Walters häufig die Nachwirkung Herders und
seines Rigaer Aufenthaltes, da er den Begriff „Volk"
eigentlich entdeckte, spürbar geworden. — Einen ganz
besonderen Raum nimmt berechtigterweise die Schilderung
der Behandlung der Schulfrage und Volksschulleh-
rer-Ausbildung ein.

Die Besprechung der beiden Bücher sollte bereits
früher erfolgen; die vom Führer befohlene Rücksiedltiug
der Baltendeutschen hatte eine Verzögerung zur Folge.
Je mehr nun die Geschichte des baltischen Deutschtums
einer abgeschlossenen Vergangenheit angehört, um so
mehr wird es für uns Pflicht sein, uns dieser Geschichte
zu entsinnen, und dieser m.W. einzigartigen Stellung
der baltischen Kirche sowie ihrer Leiter, die in ihrem
Rahmen von höchster Verantwortung getrieben den
ihnen von der Geschichte gestellten Aufgaben gerecht
zu werden versuchten.

Berlin H. Seesemann

Rosenhagen, Dr. Gustav: Geschichte der evangelisch-rcfor-
mierten Gemeinde in Dresden. II. Teil 1835—1939. Dresden:
C. Heinrich in Komm. 1939. (279 S., 5 Taf.) 8°. RM 7.; geb. RM 8.50.

In den ersten anderthalb Jahrhunderten ihres Bestehens
hatte die evangelisch-reformierte Gemeinde in Dresden
im Wesentlichen den Charakter einer Kircheugeincin-
de in doppelter Diaspora, der des Glaubens und der des
Volkstums, wie wir das bei Besprechung des ersten Bandes
in dieser Zeitschrift (1935, Nr. 3) dargetan haben.
Im 19-Jhdt. hat die Gemeinde immerhin diesen Charakter
verloren: das fremde, nämlich das französische
Volkstum war bis auf eine kleine Anzahl von Namen
völlig verschwunden. Eine Kirche aber, die diese in
fremdgläubiger Umgebung verstreuten Glaubensgenossen
mit andringendem Gebet trug und mit tätiger Liebe
förderte, war nicht da. Von der Kirche her gesehen ist
die Frage immerhin erlaubt, ob es sich überhaupt um
eine Kirchengemeinde im eigentlichen Sinne handelt. Die
Dresdener wie die Leipziger evangelisch-reformierte Gemeinde
, denen jedes Charaktermerkmal der Sekte im
Gegensat/, zur Kirche fehlt, sind recht eindeutig Religionsgesellschaften
im Sinne des § 137 der Weimarer
Verfassung. Wie weit sie institutionell als Kirche zu betrachten
sind, wie weit die Merkmale der Kirche bei
ihnen vorhanden sind oder fehlen, bleibe zunächst dahingestellt
.

Weithin aber haben beide Gemeinden stets eine negative
Einstellung zu einem festen kirchlichen Bekenntnis
gezeigt. Sie betonen bei allen möglichen Gelegenheiten
immer wieder ihre freiere protestantische Haltung, die
sie ohne irgendwelche Bindung an „die durch Gottes
Wort reformierte Kirche" in die Nähe des Protestantenvereins
und der Freunde der christlichen Welt setzt.