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Ausgabe:

1940

Spalte:

260-261

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Guilelmus de Shyreswood, Die Introductiones in logicam des Wilhelm von Shyreswood 1940

Rezensent:

Koch, Wilhelm

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259 Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10 2f!0

Diese Urteile erinnern lebhaft an die des Jesuiten
Damberger, der seiner Zeit gewisse unzweifelhaft echte
Konzilsreden Gregors VII. für verfälscht erklärte, weil
Gregor „kein Narr gewesen" sei. H. weiß eben ganz ge- |
nau nicht bloß wie ein Papst des 5. u. 6. Jahrhunderts,
sondern auch wie ein damaliger Kaiser schreiben und j
nicht schreiben konnte. So findet er in einem Brief Justi-
nians an Hormisda (Ep. 78 S. 875 f. Th., Avell. 187
S. 644 f.) wieder die Feder eines „Hetzschreibers", der
jedoch andererseits nicht bedacht habe, daß der Kaiser !
„nicht so devot schreiben würde, wie er es tut". Worin
besteht nun diese unkaiserliche Devotion? „Ein Kaiser |
hat es doch nicht nötig, den Papst zu bitten, diese Mönche
l die nach Rom gereisten Theopaschiten ] als Häreti- |
loer weit von sich zu treiben!" So urteilt derselbe H.,
der sonst mit dem Vorwurf eines „Cäsaropapisinus j
schlimmster Sorte" (S. 73, s. oben) gleich zur Stelle
ist! Übrigens war Justinian damals noch gar nicht Kaiser
, wenn schon die rechte Hand seines kaiserlichen j
Onkels Justin. Wie unzuverlässig H.s Beweisführung
ist, möchte ich noch an einem besonders lehrreichen Bei- j
spiel dartun. S. 28 ff. erklärt er nämlich den Absetzungs- |
und Verdammungsbrief Felix' II. und seiner Synode vom
28. Juli 484 an Acacius (Thiel Ep. 6 S. 243 ff., Schw.
S. 6 f.) für unecht. Aber die dafür geltend gemachten
Gründe beruhen fast durchweg auf Irrtümern, die zudem
von einem mit dem ganzen Stoff Beschäftigten
leicht zu vermeiden gewesen wären.

Im Falle der Echtheit, behauptet H., wäre jenes „Synodaldekret
'' ein Jahr später von der römischen Synode vom 5. Okt. 485
(Thiel Ep. 11 S. 252 ff., Avell. 70 S. 155 ff.) wiederholt worden,
,,ohne daß in der zweiten die Existenz der ersten Synode auch nur
irgendwie erwähnt würde". Nun werden aber in diesem zweiten
Synodalschreiben die Verurteilung der untreuen Legaten Vitalis und
Misenus und die Verdammung des Acacius als früher (titnc und
iamtunc) ergangene Urteile erwähnt, und mit nunc Herum congregati
wird deutlich auf die frühere Synode hingewiesen. Dieses Hemm
blickt nämlich nicht, wie H. nach S. 58 anzunehmen scheint, auf
eine Synode zurück, von der die Vorladung des Acacius „zum Appellationshof
" (Thiel Ep. 3 S. 230) ausgegangen wäre, da ja von
einer Verurteilung, nicht von einer Vorladung die Rede ist und jene
Vorladung vor eine bei St. Peter abzuhaltenden Synode nur vom
Papst, nicht von einer Synode ausging.

Der Grundirrtum H.s in der ganzen Frage liegt in seiner Auffassung
von den Verhandlungen auf der Synode vom 5. Okt. 485 und j
dem Inhalt des von ihr erlassenen Schreibens an die Priester und |
Archimandriten Konstantinopels und Bithyniens. Der Defensor Tutus
wird nämlich hier zwar auch erwähnt, aber als Überbringer nicht, wie
H. meint, dieses, sondern nur des früheren Synodalschrcibens an
Acacius, das seine Absetzung und Bannung enthielt, und das dem
jetzigen Briefe abschriftlich beigefügt wird. Diese Synode spricht
also die Verurteilung des Acacius nicht erst aus, sondern setzt sie
voraus, nimmt auf sie Bezug und fügt eine Abschrift des Wortlauts
bei. Das geht aus den Wendungen memoratum subdendo seilten-
tiam . . . in SubdliU continetnr . . . senlcntiam quam reperitis in |
subditis klar hervor. Außerdem heißt es in dem Schreiben ausdrücklich
: cum (sc. Acacium) iam iunc (nämlich durch die frühere Synode)
a corpore ecclesiastico . . anathematis sententia memoramus ahscisnm;
ferner wird gesagt, daß Acacius auch als deieetns und extra corpus
ecelesiue befindlich in seinem Trotz verharre, ja zu seinen bisherigen
üblen Taten neue, schlimmere füge, wie ja auch der Satan elisus sei
und trotzdem weiter wirke. Allerdings unterschreibt Bischof Candidus i
von Tivoli und unterschreiben andere Bischöfe similiter mit einem
Anathem fanathema dicens) gegen Petrus Mongus, Acacius und Petrus
Fullo, aber nicht ohne sie vorher als olim segregati bezeichnet
zu haben.

Ebenso falsch ist die Behauptung, daß nur in dem verdächtigen
Briefe dem Acacius eine Übertretung der Bestimmungen Nicäas vorgeworfen
werde. Denn derselbe Vorwurf hinsichtlich derselben Handlungen
des Acacius findet sich ausdrücklich im Schreiben des Papstes
an Klerus und Volk von Konstantinopel (Ep. 10, 2 S. 251 Th.,
S. 77, 7 Schw.) und ist auch im Briefe des Papstes an Kaiser Zeno I
in den Worten qui multa contra scita veterum ne/aria perpetravit j
(Ep. 8,4 S. 249 Th., S. 82,7 Schw.) enthalten. H. erklärt freilich |
(S. 31) das erste dieser beiden Schreiben wieder leichthin für unecht.
Aber selbst dann bliebe immer noch die Anspielung im zweiten, und
dieses kann nicht, wie H. (S. 17) annimmt, erst im Okt. 485 abgeschickt
sein, da als Überbringer der Defensor Tutus angegeben ist,
der, wie wir gesehen haben, nicht das zweite Synodalschreiben, sondern
nur das erste überbracht hat. Zudem wird auch im Synodal-

schreiben von 485 eine dieser ungesetzlichen Handlungen des Acacius,
nämlich im Falle des Bischofs Johannes von Apamea bezw. Tyrus,
erwähnt und dabei mit adiecturn etiam tunc geradezu wieder auf das
erste Synodalsehreiben hingewiesen.

H. fürchtet aus einer Echtheit des genannten Schreibens für das
Charakterbild des Papstes Felix, weil darin eine Verurteilung „ohne
Milde, ohne Trost, ohne Offenlassen einer Rückkehr" ausgesprochen ist.
Allein dasselbe scharfe Urteil ergeht über Petrus Mongus (Thiel
Ep. 9 S. 250), und der Papst bezw. sein „Diktator" Qelasius
muß später alle seine Dialektik aufwenden, um die sententia Intollt-
bi/is in eine s. solubilis zu verwandeln (Thiel, Oelas. ep. 1,30 S.
303 f., Schw. S. 43,5 ff.). H. erklärt freilich dieses noch unter
Felix, aber von Qelasius verfaßte Schriftstück, wie wir gesehen haben
, wieder für unecht. Aber dieselbe Dialektik wegen der sententia
insoliibilis ist auch in dem unbeanstandeten Tract. 4 des Qelasius
(S. 560 und 503 Th., S. 9 und 11 Schw.) aufgeboten.

Zum Schluß noch eine sprachlich-sachliche Berührung zwischen
den beiden Synodalschreiben von 484 und 485. In Ep. 6, 1 (S. 243
Th., S. 6,9 Schw.) heißt es: et quasi haec tibi minora viderentur,
in ipsam doctrinae apostolicae veritatem ausus luae superbiae teten-
disti, und in Ep. 11,5 (S. 256 Th., Avell. 70 S. 159, 18): sie autem
Acacius impietatem pestiferae damnationis tetendit, ul et . . . tutüctttU
deteriora prioribus, und damit ist wieder zu vergleichen Fei. Ep. 15,4
(S. 272 Th., S. 85,1 Schw.): dum illicitis crescere lendit aiigmentii,
Qelas. Tract. 3, 12 (s. 540 Th.): in hoc tetendit abruptum, und Tract.

1.13 (S. 519 Th.): cuius postea audacia deteriora committeus etc..
Überall die Feder des Qelasius!

Um mein oben abgegebenes Urteil über diese etwas
anspruchsvoll auftretende Arbeit zu rechtfertigen, habe
ich sie eingehender besprochen, als sie es an sich verdiente
. Alles anzuführen, was Widerspruch herausfordert
, ist hier freilich nicht möglich.

Nur ein paar Punkte seien noch herausgegriffen. S. 40 glaubt
H. einen Vorschlag des philologischen Altmeisters Schwartz zu einem
gelasianischen Text als „kaum gutes Latein" bezeichnen zu müssen.
Er selbst aber vermutet an der Stelle ein debitus sitentio im Sinne
von ,,schuldig durch sein Schweigen", was natürlich ein völlig unmögliches
Latein isi. S. 62 ist Maria mit „Unrecht" übersetzt
statt mit „Beleidigung", was allein am Platze ist, S. 67 eontlntat
mit „entgegenhält", S. 91 rutionubile obsequium mit ,offener Gehorsam
", S. 137 rima mit „Runzel" (also Verwechslung mit rugu).
Wenn er aber S. 115 den unangenehmen Satz des Gelasius in Tract.

3.14 (S. 511 Th., S. 94,27 Schw.), daß in der Eucharistie
non desinit substantia vel natura panis et vini, wiedergibt mit „etwas
Sichtbares bleibt", so steht das auf einem andern Blatt, ist aber
längst kein wunderlich Kapitel mehr.

München Hugo Koch

KIKCHENGESCIIICIITE: MITTELALTER

Grabmann, Martin : Die Introductiones in lo^icam des Wilhelm
von Shyreswood (f nach 1267). Literarhistorische Einleitung und
Textausgabe. München: C. H. Beck 1937. (106 S.) 8° = Sitzung*
ber. d. Bayer. Akad. d. Wissensch., Philos.-histor. Abt., Jahrg. 19)7,
H. 10. RM 6.50.

In die Geschichte der mittelalterl. Logik hat Grab-
mann schon wiederholt Licht verbreitet, u. a. durch die
auch in dieser Zschr. (1938, 9) besprochene Akademie-
Abhandlung über das Logikbuch des Petrus Hispanus
(dessen Abfassungszeit inzwischen B. Geyer-Bonn noch
genauer hat feststellen können: Theol. Revue 1938, Sp.
260/1). Bald nach dieser Abhandlung über Petrus Hispanus
erschien als Abhandlung der Preuß. Akademie der
Wiss. (Jahrg. 1937, Phil.-Hist. Klasse Nr. 5) seine Mitteilung
über „Bearbeitungen und Auslegungen der aristo-
tel. Logik aus der Zeit von Peter Abaelard bis Petrus
Hispanus", über die ich nicht zu berichten habe. Was
mir zur Besprechung obliegt, ist aber eine ungedruckte
Logik des 13. Jahrh. und zwar der Jahrzehnte eben vor
Petrus Hispanus. Ihr Verfasser ist wahrscheinlich der
Lehrer des Petrus Hispanus in Paris gewesen, es ist der
englische Logiker Wilhelm v. Shyreswood (Gratschaft
Nottingham), vor 1250 Prof. an der Artistenfakültät
zu Paris, seit etwa 1254 Thesaurarius der Kathedrale
v. Lincoln, f nach 1267. Sicher ist er der Verfasser der
Summulae logicales oder introduetiones in logicam, die
in vorliegendem Heft erstmals gedruckt vorTiegen; es
ist das älteste Logik-Lehrbuch des 13. Jahrh. und ent-