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Ausgabe:

1940

Spalte:

250

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Falconer, Sir Robert

Titel/Untertitel:

The Pastoral Epistles 1940

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

'250

Wogen abweichend ausgedrückt ist. Und — sollten die Römer einem
Messiasciuzug untätig nigWhcn haben? Wie kann man man auf
einem Tier — Lcipoldt hat darauf mit Recht aufmerksam gemacht —,
auf dein noch niemand geritten ist, einen feierlichen Einzug halten?
So berechtigt also die methodische Einsicht ist, allein kommt man
mit ihr nicht zum Ziel, In der Einzugsgeschichte ist eben doch der
geschichtliche Kern stark vom Glauben der Gemeinde überdeckt.

Wenn wir so ausführlich die methodischen Fragen
diskutiert haben, so deshalb, weil wir dem Verfasser
dankbar sind für sein mutiges Anfassen eines ganz wesentlichen
Problems und weil wir vielen seiner Erkenntnisse
vollkommen und gern zustimmen und weil wir der
Meinung sind, daß sich an manchen Stellen noch weiter
stoßen läßt, als der Verfasser stößt, durch eine Einseitigkeit
Verwendung seiner richtigen methodischen Einsichten
gehindert.

Die Durchführung der Oedanken Pohlmanns ist eindrucksvoll
und geschlossen. Eine Reihe von Fragen werden
in neues Licht gerückt. Die Grundposition verdient
volle Beachtung und fordert zur Weiterarbeit an den von
ihm angerührten Fragenkomplex. Wir geben eine Übersicht
über die Grundgedanken.

Der Verfasser geht aus von dem Beginn der israelitischen Religion
in der Mosez.cit, in der er eine echte Offenbarung Qottes erblickt, für
die das Charakteristikum der Alleinwirksamkeit Gottes zutrifft. Aber
schon in der Mosezeit zeigt sich der Abfall von dieser Offenbarung
in die Vcrtragsreligion, ein Abfall, der aus der israelitisch-jüdischen
Artgemällheit kommt. Beim Bundesgedankcn ist das rechtliche Moment
des Vertrages entscheidend. Es stellt die Religion auf die Grundlage
einer Rechtsbeziehung, setzt die Gegenseitigkeit der Verpflichtungen
und postuliert die Ebenbürtigkeit der Vertragspartner. Dadurch wird
die Heiligkeit und Uiiwandclharkcit des göttlichen Wesens gestört. Uns
scheint die Ebenbürtigkeit der l'artner nicht gefordert für eine Wesensbestimmung
der Vcrtragsreligion. Aus der Vertragsreligion erwachsen
als grundlegende Elemente: die alleinige Auserwähltheit des Volkes
und der Glaube an die messianischc Weltherrschaft, der die Auffassung
des Leides und der sozialen Frage bestimmende Vergcltungs-
charakter, die Absonderung und Gesetzlichkeit in der Struktur der
Gemeinde.

Von dieser Grundlage aus stellt sich Jesu Kampf dar. Sein
Oottesgedankc ist der Gegensatz gegen die Vertragsreligion. Die aus
ihm wachsende Idee der Kindschaft ist total anders als die rechtliche
Orundlage der Bundcsidec. Von dem Oottesgedanken aus erfolgt der
Angriff auf die Vertragsreligion. Er erfolgt auf die Idee der Auserwähltheit
, indem die Reichsgottesidee entpolitisiert wird und
ihren Ocgcnsatz in der satanischen Macht erhält. Mit Recht bemerkt
Pohlmann: ,,Wir sind so sehr an den unpolitischen, religiösen Reich-
Oottcs-Begriff gewöhnt, daß wir diesen tatsächlichen Gegensatz gegen
die jüdische Erwartung überhaupt nicht mehr mithören!" (40 f.).
Zweifelhaft scheint mir die Behauptung, daß „nach der Anschauung
Jesu dieses Gottesreich folgerichtig auch schon in der Vergangenheit
da war" (vgl. Matth. 11,11 — 13 Rar). Der Angriff erfolgt auf die
Messiasidcc, von der in Jesu Sendungsbewußtsein nur die Hülle übrig
bleibt, die mit neuen Inhalt gefüllt wird. Ich stimme mit P. über-
cin, daß zu Jesu Scndungsbewußtscin gehört hat, Bringer des Reiches
zu sein, zweifle aber, ob er damit auch den mißverständlichen Begriff
„Messias" übernommen hat. Der Angriff erfolgt auf die durch den
Vergcltungsgcdanken bestimmte Auffassung des Leides und der sozialen
Frage. Hier werden wichtige und richtige Oedanken ausgesprochen,
nur die Vorbereitung des Auftretens Jesu in den Anawim-Kreisen m. E.
unterschätzt. Trefflich ist die Formulierung: „Während die Phari-
säer . . in dem Üliel das Werk Gottes und in der Bekämpfung desselben
durch Jesus ein Werk des Teufels sahen, erkannte Jesus, umgekehrt
, das Satanische in dem Obel selbst und in seiner Bekämpfung
das Werk Qottes" (02). Richtig wird erkannt, daß die satisfaktorische
Auffassung des Opfers in der jüdischen Auffassung von Oott und
Mensch wurzelt und Jesus sein Opfer als Kampf mit dem Satan versteht
. Zu dem von daher bestimmten Verständnis des Xi'rcpov-Wortes
kann auf die für die Passionsgeschichte grundlegende Vokabel juiquoi-
fiövfti verwiesen werden, die vom Preisgeben Jesu durch Oott an die
satanische Macht der Sünde und des Todes redet und in diesem Preisgeben
geheimnisvoll den Sieg über diese Macht behauptet. Gegenüber
den Prinzipien der Absonderung und Gesetzlichkeit in der jüdischen
Gemeinde baut sich die Jesusgemeinde auf den Prinzipien der Gemeinschaft
und Liebe, der gläubigen Hingabe und des kindlichen Vertrauens
. „Die christliche Ocmeinde ist nicht aus der jüdischen Gemeinde
hervorgegangen, sondern ist Neuschöpfung" (83). Alles faßt
sich zusammen im Akt des Abendmahles, der unter Aufnahme des
Bundesbegriffcs diesen in seinem alten Verstand cndgiltig überwindet.
Oerade an dieser Stelle muß die Diskussion fortgeführt werden, was
hier leider der Raum verbietet.

Mit seiner Arbeit über den Gottesgedanken Jesu setzt
Pohlmann seine Arbeit über die Metanoia fort. Ich hatte
neben mancher Zustimmung gegenüber dieser Arbeit den
Einwand erhoben, daß seine Darstellung der Metanoia 84«
Formalen haften bleibe und daß sich die Metanoia vollziehe
in dem radikalen Ernstmachen und dem als Lieb.;
verkündigten Gott (Gotteskindschaft S. 86, Anm. 2). Pohlmann
nimmt in seiner Einleitung das begonnene Gesprach
auf und richtet unter Zustimmung ziu meinen Untersuchungsergebnissen
an mich die grundsätzliche Frage,
„ob in der christlichen Frömmigkeit das Grundlegende
und Entscheidende rite die Heiligkeit Gottes oder seine
Liebe ist". Er antwortet auf diese Frage: „Indem ich in
der Metanoia den Weg des Heiles erkenne, ist damit iür
mich dieses Problem zugunsten der Heiligkeit Gottes
gelöst" (8). Ich möchte dazu zum Schluß dieser Anzeige
unter Weiterführung des Gespräches bemerken: Mir
scheint die Heiligkeit Gottes zur Grundlage jeder echten
Frömmigkeit zu gehören und ich gründe mich dazu auf
die bedeutsamen Ausführungen Rudolf Ottos über „Das
Heilige". Das Spezificum aber der christlichen Frömmigkeit
ist die Erkenntnis, daß die Heiligkeit Gottes seine
Liebe ist.

Jena W. Grundmann

[Falconer, Sir Robert:] The Pastoral Epistles. Introduction,
Translation and Notes by Sir Robert Falconer, K. C. M. G.; D.
Litt, and Hon. D.D. (Edin.), Hon. D. C. L. (Oxon); Hon. LL D.,
President emeritus of the University of Toronto. Oxford: The Clarendon
Press 1937. (VIII, 164 S.) 8°. 12 s. 6 d.

Einzig und allein von der Quellenscheidung aus —
I das ist (Tie These dieses Buches — ist das Rätsel der
! Pastoralbriefe zu lösen. Und zwar führen Statistiken
! des Wortschatzes der Past., Vergleiche mit den 10 übri-

f;cn Paulinen, Aporien im Textzusammenhang und inhalt-
iche Beobachtungen F. zu dem Ergebnis, daß sechs verschiedene
Schichten bzw. Quellenstücke in den Past. zu
unterscheiden sind.

Es sind die folgenden: 1) Zwei Paulusbriefe: a) ein kurzer Brief
an Titus aus dem Jahre 56 (Tit. 3, 12—15); b) ein Brief an Timotheus
aus dem Jahre 63, der von Lukas als Sekretär redigiert wurde

i (2. Tim. 1,1 — 12. 15a. 16—18; 2,1. 3—10. IIb—13; 4,1. 2.
5—22). 2) Aufzeichnungen von Äußerungen des Apostels: a) Tit. 1,
1—4; 2,11—14; 3,3—8 b ist „zweifellos" (IS. 25) der Nieder-

I schlag dessen, „was Titus den Apostel in Kreta hatte predigen hören",
von Titus selbst (!) auf Bitten des Apostels aufgezeichnet; b) 2. Tim. 2,
15. 19—20. 21b. 22 b. 24—26; 3,10—12. 14—17 sind Aufzeichnungen
des Timotheus über die Gespräche, die er in den letzten Lebenstagen
des Apostels mit diesem im römischen Qefängnis geführt
hatte. Mit diesen paulinischen Stücken ist verbunden: 3) Ein christ-

I liches Fragment über Kirchenordnung: Tit. 1,7—9; I.Tim. 3,1b bis
13. 41 Eine christliche Prophezeiung, die vielleicht auf Paulus zurückgeht
: 2. Tim. 3, 1—9. 5) Ein Traktat über christliche Frömmigkeit

'. und Kirchenordnung, der den Kern des 1. Tim.-Briefes bildet: 1. Tim.
1,1. 2. 12—14. 16—17; 2,1—15; 3,14—16; 4,1—5. 7 b. 8. 10.

! 12—16; 5,1—6. 8—22. 24—25; 6,1. 2a. 6—19. 6) Der Herausgeber
, ein Schüler des Timotheus, hat bei der spätestens Anfang der

j 90 er Jahre erfolgten Schlußredaktion folgende Stücke eingefügt:

I 2. Tim. 1,13. 14. 15b; 2,2. IIa. 14. 16—18. 21a. 22 a. 23;
3,13; 4,3. 4; Tit. 2,1. 15; 3,8 a. 9—11; 1. Tim. 1,3—11. 15.
18—20; 3,1a; 4,6. 7a. 9. 11 ; 5,7, 6,2b—5. 20. 21.

Eine Übersetzung, die die sechs Schichten durch verschiedene
Typen von einander abhebt, und fortlaufende
Anmerkungen zum Text der drei Past. bilden den größeren
zweiten Teil der Arbeit. Nicht in der Qirellenschei-
dung, die den Eindruck der Einheitlichkeit der drei Past.
nicht zu zerstören vermag und deren subjektiver Charakter
trotz des wortstatistischen Unterbaus offenkundig
ist (s. o. „zweifellos"!), liegt der Wert der Arbeit, sondern
in den fortlaufenden Anmerkungen zum Text, die
in sorgfältiger philologischer Kleinarbeit die sprachliche
Zugehörigkeit der Past. zur „höheren" Koine erneut
isicnerstellen.

Oöttingen, z. Zt. im Heeresdienst Joachim Jeremias