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Ausgabe:

1940

Spalte:

246-250

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pohlmann, Hans

Titel/Untertitel:

Der Gottesgedanke Jesu als Gegensatz gegen den israelitisch-jüdischen Gottesgedanken 1940

Rezensent:

Grundmann, W.

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Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

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nach diesem gründet der Osterglaube schlechthin auf der
Verkündigung jenes Ereignisses der Ostererlebnisse der
ersten Zeugen (Paulus eingeschlossen). Dieses Ereignis
ist es, welches die Predigt verkündigt; und sie versucht
nicht, den Hörer in ein Verhältnis zu dem menschlichen"
Sein Jesu zu bringen. Nach dem NT begegnet Christus
eben in der Verkündigung und nur in ihr (Rm. 10, 17),
Und was für das ganze NT gilt, das hat Paulus nur
explizit formuliert, wenn er sagt, daß die Verkündigung
selber zum Christusgeschehen gehört (2. Kr. 5, 18 f.). Die
ersten Zeugen sind freilich keine Garanten, auf deren
Glauben hin wir glauben können; vielmehr haben wir
das Wagnis des Glaubens in gleicher Weise zu vollziehen
wie sie. Aber von ihrer „Erfahrung" sind wir abhängig,
sofern gerade das Ereignis dieser „Erfahrung" zum
Christusgeschehen selbst gehört als das Ereignis, in dem
Christus sich selbst als der Erhöhter erwies- Autoritative
Trägerin der im Christusgeschehen begründeten
Predigt ist die Kirche als eschatologisches Phänomen;
sie steht also nicht „zwischen" Christus und dem Glaubenden
, sondern gehört — sie selbst auch Gegenstand
des Glaubens — zu Christus selbst, und dieser begegnet
nirgends anders als in ihr. Und hat Luther das anders
verstanden ?

Indem H. im dritten Stück die „Wahrheit
des Glaubens an Jesus den Herrn" aufzeigen
will, handelt er zuerst vom „Glauben in wehrloser Subjektivität
". Er hat völlig recht darin, daß die (angeblich
historisch verbürgte) Objektivität der Auferstehung Jesu
nicht „Grundlage und Voraussetzung des Gläubigwerdens
" sein kann (S- 66). Daß das so ist, das ergibt sich
freilich nicht erst aus der heute erkannten Unmöglichkeit
, die Auferstehung Jesu historisch nachzuweisen, sondern
einfach aus dem Wesen des Glaubens selbst. Ist
dieser der Glaube an Gottes im Christusgeschehen sich
vollziehende Offenbarung, so fällt er ja mit dem Glauben
an die Auferstehung zusammen, und dieser letztere
kann nicht die Stütze des ersteren sein, von deren Gültigkeit
man sich vorher objektiv vergewissern könnte.
Richtig ist es gewiß auch, daß, wenn uns Jesus der Herr
sein soll, „er sich vollmächtig an unserin Herzen und
Gewissen erweisen muß" (S. 67), — aber was kann das
anderes bedeuten, als daß die Predigt, die ihn als den
Auferstandenen verkündigt, unsere Herzen und Gewissen
überführen muß, — daß sie also so von seiner Auferstehung
reden muß, daß diese nicht als ein angeblich historisches
oder ein mythisches Ereignis erscheint, sondern
als eine Wirklichkeit, die unsere eigene Existenz
trifft?

H. hat gewiß auch darin recht, daß wir uns von der
Auferstehung und Erhöhung Jesu kein anschauliches Bild
machen können, und daß das, was das NT etwa in dieser
Richtung sagt, Mythologie ist. Ebenso darin, daß der
Zusammenbruch der Mythologie das Gute hat, alle Unreinheit
des Ewigkeitsglaubens zu vertilgen. „Das, was
wir vom ewigen Leben noch zu sagen vermögen, hat in
seiner Gestaltlosigkeit und Verborgenheit der Gier, die
Gott zum Lebensmittel erniedrigt, nichts mehr zu bieten"
(S. 73f.). Gewiß! Aber das NT lebt nicht nur in einer
vergangenen „Denkformation", und es erwartet nicht
nur, „daß das Ende aller Dinge durch ein wunderbar
vom Himmel hereinbrechendes Ereignis unmittelbar bevorstehe
" (S. 77). Sondern es redet auch davon, daß
sich das eschatologische Geschehen in der Gegenwart
weiter vollzieht, darin nämlich, daß 1) das Wort von
Christus gepredigt wird, daß 2) die Glaubenden als solche
, die „in Christus" sind, an diesem eschatologischen
Geschehen teilhaben, indem sie die Kraft der Auferstehung
Jesu und die Gemeinschaft mit seinen Leiden erfahren
(Pill. 3, 10); sie hoffen auf die Auferstehung von
den Toten (Phl. 3,11), weil tatsächlich darin, daß sie
das Sterben Jesu an ihrem Leibe umhertragen, das Leben
Jesu an ihnen offenbar wird (2. Kr. 4, 10); sie werden
schon jetzt verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit
(2-Kr. 3,18); denn die Kraft der Auferstehung kommt

in ihrer Schwachheit zur Vollendung (2. Kr. 12, 9). Das
alles ist gewiß ein Glaube „in wehrloser Subjektivität",
aber ein Glaube, der gewiß ist, im eschatologischen Geschehen
zu stehen.

Da H. keinen Blick für die Eschatologie des NT hat,
verkennt er die Kirche in ihrem eigentümlichen Doppelcharakter
als sichtbar-unsichtbar, als weltlich und escha-
tologisch. Er kennt nur das Entweder-Oder einer sichtbaren
Kirche (die er offenbar nur als eine zwischen Gott
und Mensch sich schiebende Institution versteht) und
einer unsichtbaren (die dann spiritualistisch zu verstehen
ist). Er kennt nicht die Predigt als Fortsetzung der in
Christus geschehenen Tat Gottes- Er kennt nicht die Gestalt
Jesu Christi als des eschatologischen Faktums, sondern
nur den historischen Jesus; und er meint, es gelte,
in das „Letzte und Heiligste von Jesu menschlichem
Sein" mit Hülfe der historischen Forschung einzudringen
(S. 87). M.a. W. er trägt die gleiche liberal-pietistische
Anschauung vor, die er schon 1926 in „Jesus Christus
der Herr" entwickelt hatte; und ich brauche nicht zu wiederholen
, was ich dazu 1927 in „Zwischen den Zeiten"
(jetzt: „Glauben und Verstehen" S. 85ff.) gesagt habe.

Es ist richtig, daß „Gottes wahre Wunder im Geheimnis
der Gottesbegegnung geschehen" (S. 89), und
daß Gottesglaube „ein Erfahren des Gottes, der Wunder
tut, in der Verborgenheit des Herzens ist" (S. 90). Aber es
fragt sich nur, ob diese Begegnung vermittelt wird durch
die das menschliche Sein Jesu sichtbar machende Historie
, deren Aufgabe dann die Predigt übernehmen müßte,
wenn ihr die Aufgabe zugeschrieben wird, „das Menschliche
in der vergangenen Gestalt des Lebens wirklich gegenwärtig
nah hinzustellen" (S. 94). Uns begegnet doch
in der kirchlichen Verkündigung die Predigt der ersten
Zeugen, daß Jesus auferstanden sei und daß damit das
eschatologische Geschehen für die Welt hereingebrochen
sei. Wir können jene Zeugen nicht durch den Rückgang
auf das, was sie erlebt haben, kontrollieren; und
vermag der Historiker nichts mehr zu sehen als visionäre
Erlebnisse enthusiastischer Personen, so sind wir einfach
getragt, ob wir glauben, daß in solchen Gott handelte,
wie sie es selbst glaubten, und wie die Verkündigung
es behauptet. Die kirchliche Predigt trägt uns keinen
Mythos vor, aber wenn sie einen — für uns infolge der
Überlieferung fast unerkennbar gewordenen — Vorgang
als das entscheidende Handeln Gottes bezeichnet, so
deckt sie damit zugleich unser eigenes Sein auf, und wir
sind gefragt, ob wir glauben oder nicht. Die Aufgabe
der Osterpredigt würde ich also darin sehen, das eschatologische
Handeln Gottes so zu explizieren, daß der Hörer
dadurch sein Sinn wirklich aufgedeckt sieht und so
zu einer echten Entscheidung kommen kann-

Übrigens wird man schließlich sagen müssen, daß
sich auch bei H. selbst trotz allem der Anspruch der
kirchlichen Verkündigung geltend macht. Ohne ihn würde
er doch gar nicht auf den Gedanken kommen, Jesus als
den zu predigen, der uns zerbricht und neuschafft, als
den, in dem uns Gott begegnet- Und so scheint mir auch
seine Praxis — wenigstens teilweise — besser zu sein
als seine Theorie- Von seiner Praxis geben die als
viertes Stück beigegebenen Predigten einen Eindruck
. Sie enthalten zum Glück nicht den Versuch des
Historikers, den Hörer in das „Letzte und Heiligste
von Jesu menschlichem Sein" hineinzuführen; es klingt
in ihnen doch gelegentlich der Ton des Kerygmas, wenn
ich sie auch im wesentlichen nur als eine Verkündigung
des Gesetzes — freilich als eine eindrucksvolle —, also |
nur als eine vorbereitende Osterpredigt, verstehen kann.
Marburg a. d. Lahn Rudolf B u 11 m a n n

Po hl mann, Kons. - Rat Lic. Hans: Der Gottesgedai»ke Jesu

als Gegensat/ gegen den israelitisch-jüdischen Qottcsgedanken. Weimar
: Verlag Deutsche Christen 1939. (115 S.) 8° = Studien z. Dt.
Theologie u. Frömmigkeit, Bd. 4. RM 2.40.

Die Frage zu klären, in welchem Verhältnis der Ursprung
des Christentums in Jesus von Nazareth und in

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