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Ausgabe:

1940 Nr. 91

Spalte:

235-237

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hellpach, Willy

Titel/Untertitel:

Übersicht der Religionspsychologie 1940

Rezensent:

Leeuw, Gerardus

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235

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 910

231;

lieh um die Festlegung und Übersetzung der Termini,
z. B. des Atman (des nach der höchsten Wahrheit mit
dem Brahman identischen persönlichen Ichs), das er als
axouov etymologisiert und deutet (S. 80 f.). Sodann zeigt
er neben Widersprüchen im Vedanta scharfsinnig allerlei
Aporien auf, die sich aus der brahmanischen Lehre
ergeben, z. B. hinsichtlich des Übergangs von der Unkenntnis
zur Erkenntnis- Eingehende Erörterung erfährt
auch die Frage, ob der Weltanschauung des Vedanta
noch der Charakter einer Religion zukommt, da
sie ja in einen „ultrapantheistischen Monismus" ausläuft,
dem vor allem das für eine Religion charakteristische
Gegenüber von Gläubigem und höherer Macht fehlt.
Schließlich werden außerindische Parallelen zu der brahmanischen
Lehre beigebracht und möglichst im Sinne
der Autogenese beurteilt. In einer kleineren Schrift (Nr.
5), die in einem für die Deutsche Evang. Gemeinde Griechenlands
gehaltenen Vortrag wiederaufgenommen ist
(Nr. 8), wendet sich Philippidis auch dem (Hinayana-)
Buddhismus zu und charakterisiert dessen ichseliges Ideal
der Adiaphorie, das nur eine untätige Sympathie für alle
Wesen zuläßt, wie sie aus der Lehre von der Metem-
psychose (oder nach des Verfassers Ausdruck vielmehr
Metabiose) entspringen mußte, nicht aber die aktive und
sich selbst verleugnende Liebe des Christentums.

An manchen Stellen seiner Werke steigert sich die
Diktion des Verfassers zu hohem Schwung, so besonders
in zwei pendantartigen Vorträgen (Nr. 10. 11), in denen
er unter Berufung auf die Ergebnisse der Religionswissenschaft
einerseits den Glauben an höhere Mächte als
die Achse und Quintessenz des menschlichen Lebens in
allen seinen Äußerungen von den niedrigsten Stufen an
darstellt und andererseits die Überzeugung von dein persönlichen
Fortleben nach dem Tode in ihrer Verwurzelung
im Gottesglauben und in ihrer Bedeutung für die
Entwicklung der Ethik aufzeigt. In einem Panegyrikos
zur Feier des 25. März (Nr. 6) verherrlicht er den
Gottesglauben als die Wurzel der Größe Griechenlands
von der Zeit der Antike her mit besonderer Betonung
der Verflechtung von Griechentum und Christentum: ein
schönes Denkmal echt hellenischer Vaterlandsliebe eines
Mannes, den wir zu den Freunden Deutschlands und seiner
Wissenschaft rechnen dürfen-

Dezember 1939 im Felde Hans Herter

Hellpach, Prof. Dr. Dr. Willy: Uebersicht der Religionspsychologie
. Leipzig: Bibliographisches Institut [19391- (135 S.) kl. 8°=
Meyers kleine Handbücher 20. RM 2.00-

Der Leser dieses kleinen, hübsch ausgestatteten Büchleins
, wird sich des Staunens nicht enthalten können,
wenn er, nachdem er den Titel in sich aufgenommen,
sich an die Lektüre macht. Denn eine Uebersicht der Re-
ligions p s y c h o 1 o g i e findet er kaum, vielmehr eine
solche der Religionswissenschaft oder der Rcligionsphä-
nomenologie-

Der Verfasser fängt, in methodischer Hinsicht, vielversprechend
an mit einer klaren und sauberen Trennung
zwischen Theologie und Religionswissenschaft- Mit Recht
lehnt er die Versuche, die Theologie zur Rel.Wissenschaft
zu machen, ebenso entschieden ab wie die, die Rel.wis-
senschaft als Theologie gelten zu lassen. Für die Theologie
, sagt er, ist Gott nicht bloß eine Denkforderung,
ein Demonstrandum, sondern „er existiert für sie vor
jedem Bewiesenwerdenmüssen". Das ist ja alles ausgezeichnet
und kann sowohl Theologie als Rel.wissenschaft
nur Vorteil bringen. Damit aber scheint die methodologische
Schärfe des Verf. verbraucht zu sein. Die Rel.wissenschaft
ist nach ihm ein Baum mit drei Hauptästen:
Völkerkunde, Religionsgeschichte und Rel.Psychologie.
Daß für die Rel.wissenschaft Völkerkunde und Rel.ge-
schichte, wiewohl nach ihren praktischen Arbeitsgebieten
getrennt, wesentlich nur eine Betätigung sind, nämlich
die der Beschaffung des Materials, dal! hier mithin
die Rel.wissenschaft auf drei ungleichartige Bestandteile
verteilt wird, hat er nicht bemerkt.

Das Merkwürdigste aber ist, daß von Psychologie
im Buche so wenig zu finden ist. Die „Seelenquellen",
die beschrieben werden: Gerngläubigkeit, Hingabehe-
dürfnis, Lebensanspruch, sind als psychologische Strukturen
recht allgemein und haben, wie der Verf. selber
bemerkt, mit Religion nichts zu tun. Religiös werden
sie wo sie sich vereinigen mit den spezifischen Seelenquellen
: Urdämonie usw. Diese Urdämonie, die einen

| Augenblick mit dem Ahnenglauben identiti/iert zu vver-

; den scheint, stellt sich dann schließlich doch heraus als
eine Umschreibung des eigentlich religiösen Moments
im Menschenleben, die aber auch nicht sehr viel Psychologisches
an sich hat. Uebrigens kommt der Verf. von
dieser Urdämonie zu demjenigen was er die eigentliche
Religion nennt, nur auf einem langen Wege; die magischen
Elemente (die er unter dem unschönen Terminus

I „magethos" zusammenfaßt), sind ihm bloß eine „Vorstufe
" der echten Religion. (Die unselige Methode, nach
der eine Erscheinung nicht als solche, sondern bloß als
Vortorm einer andern betrachtet wird, kehrt hier in voller
Kraft zurück, nachdem wir gemeint hatten, sie sei
endgültig überwunden.) Ebensowenig als die Magie ist
dem Verf. der Mythus noch echt religiöses Gut. Und
ebensowenig der Ritus- Was ist es, tragt er, das aus Mythen
und Riten erst Religion macht?'' Er sucht also die
Religion nach der Magie, dem Mythus und dem Ritus,
statt dieselben aus dem Religiösen zu verstehen.

Das kommt daher, daß der Verf. von Religion eine
ganz bestimmte Vorstellung hat. Die religiösen Erschei-

j nungen können ihm nicht sagen was Religion ist, weil er

i das schon längst weiß. Und diese seine Wissenschaft ist

! weder historischer noch psychologischer Natur. Sie impliziert
eine Anzahl halb püilosophischer halb ethischer
Begriffe, die alle ohne jede nähere Begründung einge-

| führt werden. Religion ist nach Verf. eine „gläubige

j Ueber/.eugung". Was aber heißt Glaube? das ist nicht
so einfach, ebensowenig wie die „sittlichen Forderungen
" die von den Mächten an uns gestellt werden. Diese
sittlichen Forderungen gehören nach Verf. entschieden
zur Religion. Aber was heißt „sittlich"? Ist die Sitte
oder die Norm gemeint? Der schlimmste Ausdruck aber,
der hier eingeführt wird, ist „übersinnlicii". Religion ist
gläubige Ueberzeugung vom Dasein und Walten „über-

j sinnlicher Mächte". Wir sollten doch endlich einsehen
lernen, daß die Trennung „sinnlich-übersinnlich" auf nur

: ganz wenige Arten der Religiosität paßt, daß sie modern
ist. Die Anderweltlichkeit der religiösen Erscheinungen

I ist keineswegs identisch mit einer geglaubten Uebersinn-
lichkeit. Der Verf. hat, trotz der sauberen Scheidung

' zwischen Theologie und Rel.wissensciialt, die er gleich
zu Anfang macht, dennoch einige theologischen Tropfen
im rel-wissenschaftlichen Blute. Seine Auffassung der
Religion ist was er glaubt, daß Religion sein soliT

Was nun den behandelten Stoff angeht, so scheint
der Verf. nicht immer vorurteilslos und auch nicht immer
gut informiert. Dem stehen aber nicht wenige feine und
recht zutreffende Bemerkungen gegenüber, die das Buch
für den Rel.Wissenschaftler zu einem merkwürdigen Gemisch
von gar nicht und recht sehr Brauchbaren machen.

! Wir geben von beiden Kategorien zum Schluß einige Beispiele
.

Oanz unmöglich ist die Beschreibung von Kirche, Lehre, Ritus
1 usw. als Erstarrung ohne weiteres. Kirchwcrdung ist dem Verf. ein-
j fach Erstarrung. Qanz abgesehen davon, daß hier das Wort „Kirche"
in einem unerlaubt weiten Sinne angewandt wird — es ist doch unmöglich
alles Oeformte in der Religion als Erstarrung zu betrachten.
| Vermutlich ist diese Auffassung ein romantischer Rest im Qemüt des
[ Verfassers. Ebenso unrichtig ist die Bemerkung am Schluß, daß die
überkommenen Religionen mit den beiden neuen Lebenstnächtcn, Na-
i turerkenntnis und Volksbewußtsein, nichts anzufangen wußten oder
} wissen. Was die Naturerkenntnis betrifft, mag das in einem gewissen
Orad seine Richtigkeit haben, aber für das Volkstum ist es falsch.
| Könnte man doch einen großen Teil der bisherigen Religionsgcschichte
geradezu schreiben als eine fortwährende Auseinandersetzung mit dem
Volkstumsbewußtsein in den verschiedensten Formen, von der gänz-
l liehen Gegensätzlichkeit von Qlaube und Volkstumsbewußtsein bis zur
| Identifizierung. — Mit diesem Irrtum hängt auch zusammen der wenig