Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1940

Spalte:

233-235

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Philippidēs, Leōnidas Iō.

Titel/Untertitel:

Religionswissenschaftliche Forschungsberichte über die "goldene Regel" 1940

Rezensent:

Herter, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

283

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 9/10

ewigen Wirkens in der Geschichte. Der Glaube an solche
„Zeichen" als Mittel der erlösenden Führung Gottes
durch die Geschichte überbietet an Bedeutung im Protestantismus
den Realismus der Erkenntnis allgemeiner
Sündverhaftctheit- Luther sprach von der Sünde als dem
opus alienum Dei. Keine Frage, daß hier das relative
Recht „idealistischer" Geschichtsbetrachtung liegt; aber
jede Zeit muß die „Zeichen" anders verstehen, und ge- |
rade die Notwendigkeit des Anders-Verstchen-Müssens
kann wieder ein „Zeichen" sein.1

Wenn so der „Glaube" das eigentliche Wesen protestantischer
Geschichtsbetrachtung ist, so erhebt sich die
Frage: wieweit ist hier der Philosoph noch zuständig? |
Oberschreitet das nicht die Grenze dessen, was sich seiner
Methode erschließt? Es würde zu weit führen, |
darauf einzugehen. Nur soviel: Protestantisches Geschichtsbewußtsein
hat vierhundert Jahre europäischer
Geschichte ganz entscheidend bestimmt. Dann aber ge- I
hört ihre Feststellung zum Bereich des Philosophen. I
Und es ist nur zu begrüßen, wenn sie in der methodisch |
klaren und eindringlichen Weise wie durch Theodor Litt
geschieht. Denn „protestantisches Geschichtsbewußtsein"
ist keine nur konfessionelle, sondern eine Angelegenheit I
von säkularer Bedeutung — eine Aufgabe sowohl türden
Theologen wie für den Philosophen: die Brücke, über I
die das Hiiieinwirken der Ewigkeit in die Zeit aktuell
wird. Möchten doch unsere „jüngeren" Theologen stär- j
ker als bisher diese echt protestantische „Brücke" beachten
und so von vorliegender Schrift lernen, allerdings |
mit der korrigierenden Ergänzung, die ich für notwendig
halte.

1) Ich darf, wenn es erlaubt ist, auf meine „Evangelische Ethik des
Politischen" verweisen, die den Versuch darstellt, diese „Zeichen" syste- |
tnatisch ZU et fassen.

RKUGlONSWlSSENSCHAhT

Philippidis, I.eoniclas Joh.s (I) Religionswissenschaftliche
Forschungsberichte über die „goldene Regel". 1933. (56, la, ,
i S.) 8". — (2)'II jt e p i !> X e to c, xai Xvr QÖtatoiq OEtDpta ,
xfjc, BEÖdvxa Tijq 8 o y U ax ixrj ? xoü Ivöixoü Bpay_|ia-
vio|ioü. Aiaxpifii'i fall wpTiYEoü/.. Athen (IIupooc) 1934. (193 S.)
8°. — (3)'Y xö U v tj U a. II p 0 c x i) v 2. 0 e o X o y i y.r v 2y_ o X r v
zov A tH'| v rj o i v E f> v i x o ü xai K a jt o o i o x p i a x o ü II a v e-
reiotr|u(ou. Ebd. 1934. (16 S.) 8°. - (4) 'H 'iotopio twv
0pi) oxfu |iih (i) v wc; f Jt i a x t'| |i t). MaOt|iiu Fvupxxi'|-
piov. Ebd. 1935. (48 S.) 8°. - (5) Tö {iipiotov 7)«ixöv
Iöewöe? xntu IJoi'ioöäv. Aväximov ex xfjc Ejiicjx. E^ett)-
piooc, xfjc, ®eoX. 2/oXTjc, xoü navE3TioTr)|uoi) Aöt|Vwv (1936).
Athen 1936. (41 S.) 8°. — Dass. mit Vorwort. Athen (OoTviS '936.
(49 S.) 8°. - (6) 'EXXäc, niOTEUoiioa. Athen (IlupoYx;) 1937.
(30 S.) 8°. — (7) Hans Haas. Ebd. 1938. (14 S.) 8°. — (8) Das '
Liebesprinzip im Buddhismus und im Christentum.
Ebd. 1938. (29 S.) 8°. — (9)^ 'H loxopia twv t)piioxsv|iä- j
twv xuO' e«vti|v xai ev x fj Xpioxiuvixfi ©EoXovia. '
Ebd. 1938. (ic/, 180 S., 1 Taf.) 8°. - (10) 0pr|öXEia xai
to»t|. Ebd. 1938. (35 S.) 8°. — (11) 0 pr| axe ia xai öuvatoc,.
Ebd. 1938. (48 S.) 8°.
Der Verfasser der vorliegenden Schriften, in der
Athener Theologischen Fakultät gebildet und in Leipzig
Schüler von Hans Driesch und besonders Hans Haas,
dem er einen warmempfundenen Nachruf gewidmet hat
(Nr. 7), ist Ministerialdirektor unü seif 1935 Privatdozent
für Religionsgeschichte an der Universität Athen.
Ober seine frühere wissenschaftliche Leistung gibt das
Memorandum Auskunft, das er der dortigen Theologischen
Fakultät zum Zwecke seiner Habilitation eingereicht
hat (Nr. 3). Auch seine Antrittsvorlesung, in der
er seine Auffassung von Wesen und Ziel seiner Wissenschaft
programmatisch dargelegt hat, liegt im Druck vor
(Nr. 4; im Anhang dazu sein Habilitationsvortrag über
das Tabu und seine Konsequenzen für Gemeinschaft
und Ethik); sie bildet das Gerüst eines größeren Buches
(Nr. 9), das selbst wieder nur die Epitome seiner ganzen
Forschung auf diesem Gebiete darstellt. Philippidis gibt
in diesem Buche, das wie die meisten andern hier zu besprechenden
Arbeiten ein reiches Literaturverzeichnis enthält
, einen Abriß der Bewegungen und Erscheinungen,
die von den Zeiten der Antike an die Entstehung einer
besonderen Religionswissenschaft vorbereiteten, und sodann
einen Überblick über ihr Aufblühen seit ihrer Emanzipation
durch F. Max Müller, dem er noch eine Spe-
zialpublikation zu widmen gedenkt. Besonders ausführlich
behandelt er die Verhältnisse in seinem Vaterlande,
in dem sein Buch in erster Linie klärend zu wirken bestimmt
ist: hier wurde die Religionsgeschichte, für die
sich seit dem ersten Memorandum vom Jahre 1897 fast
alle Mitglieder der Theologischen Fakultät in Wort und
Schrift eingesetzt haben, 1931 mit einem außerordentlichen
Lehrstuhl dotiert (versehen von N. Lubaris) und
1933 gesetzlich als Lehrfach in die neuen pädagogischen
Akademien eingeführt. Im letzten Kapitel begründet Philippidis
ihre Unentbehrlichkeit und Gleichberechtigung
mit den andern Disziplinen der Theologischen Fakultät
und rechtfertigt sie abgesehen von ihrem Nutzen für die
Mission besonders unter dem seit Müller oft hervorgehobenen
und schon bei Basileios («pö$ xoi)$ viove, 2) nachweisbaren
Gesichtspunkt, daß erst die Vergleichung des
Christentums mit den andern Religionen seine auf der
übernatürlichen Selbstoffenbarung Gottes beruhende Einzigartigkeit
zur Evidenz bringe, doch hütet er sich, sie
der Apologetik zu subsumieren und ihr den Charakter
einer historischen Wissenschaft zu nehmen. Diese seine
Position unterbaut er weniger durch konkrete Beispiele
(Konfrontation des Christentums mit dem Buddhismus
S. 137 ff.) als durch Berufung auf die Autorität der mit
außerchristlichen Religionen und Philosophien meist so
wohlvertrauten Kirchenväter und zahlreiche Äußerungen
moderner Gelehrter. Das gegnerische Lager derer, die
das Christentum ganz aus den Bedingungen seiner Zeit
zu verstehen suchen und es nur als eine Religion unter
vielen ansehen, verweist er zu einseitig in die Sphäre des
Dilettantismus; er selber führt die Berührungen heidnischer
Religionen mit dem Christentum auf die propädeutische
„natürliche" Offenbarung Gottes zurück, ob-
schon er selbstredend auch rein historische Zusammenhänge
und namentlich eine beabsichtigte Anlehnung des
neuen Glaubens an die Formen und Vorstellungen der
zeitgenössischen Religiosität anerkennt.

Vom Studium des A.T. ausgehend, das mehrere semi-
tistische Werke aus seiner Feder gezeitigt hat, war Philippidis
zur Religionswissenschaft gekommen und hatte
mit einer Arbeit über die sog. „goldene Regel" in Leipzig
doktoriert. Der 1929 erschienene Auszug daraus ist
durch die von staunenswerter Belesenheit zeugenden
„Forschungsberichte" (Nr. 1) ergänzt, die quellenkriti-
sche und interpretatorische Untersuchungen zur jüdischen
, christlichen (Matth. 7, 12 authentischer als Luk.
ö, 31), lateinischen (Seneca), konfuzianischen und indischen
Tradition enthalten und vor allein zeigen, wie die
Regel, die an sich durchaus egozentrisch bestimmt ist
und nur so zur radix iustitiae (Lact- inst. VI 23, 32 epit.
55,3) wird, durch Jesus auf die höhere Ebene seiner
Liebeslehre gehoben worden ist: ein interessantes Spe-
eimen der auch in dem programmatischen Werke (Nr. 9)
geforderten und mit F. J. Dölgers (in Bonn) Arbeiten
als TV-cn-,'!: rqöoiwiov exemplifizierten Methode, Christliches
als etwas in seinem größeren Zusammenhange
Originales und Einzigartiges gegenüber seinen heidnischen
Parallelen zu erweisen (vgl. Nr. 9 S. 161 f.).
Vgl. E. Diehl, Inser. lat. christ. vet. 470 mit Lit.

In den Kreis der östlichen Religionen führt die sorgsame
und umsichtige, mit reichen Anmerkungen versehene
Habilitationsschrift (Nr. 2), die dem Vedanta gewidmet
ist: sie behandelt den Zentralgedanken des Brah-
man als einziger Wesenheit, deren Erkenntnis die Erlösung
von dem auf der Unkenntnis beruhenden Leide
bringt. Die systematische Darstellung wird durch „kritische
Beobachtungen" ergänzt, die auch von der philosophischen
Schulung des Verfassers zeugen. Obwoiil nicht
Kenner des Sanskrit, bemüht sich Philippidis angelegent-