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Ausgabe:

1940

Spalte:

213-214

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wehrung, Georg

Titel/Untertitel:

Christentum und Deutschtum 1940

Rezensent:

Redeker, Martin

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213

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 7/8

214

Wehrung, Prof. D. Dr. Georg: Christentum und Deutschtum.

Eine zeitgemäße Besinnung. Stuttgart: W. Kohlhammer 1937. (VIII,
182 S.) gr. 8° = Tüb. Studien z. syst. Theologie. 6. H. RM 7.50.

In dem Hingen um die religiöse Zukunft unseres
Volkes genügen nicht mehr Programme und wohlgemeinte
Konstruktionen, sondern es kommt darauf an, die geschichtlichen
Realitäten des Lebens unseres Volkes zu
sehen. Eine solche geschichtliche Realität, mit der jede
religiöse Besinnung rechnen muß, ist der Bund zwischen
Deutschtum und Christentum, der in der deutschen Ge-
schichte geschlossen worden ist. Da nun die Legitimität
dieses Bundes in der Gegenwart bestritten wird, genügen
nicht mehr die zahlreichen historischen Darstellungen
dieses Werdens, sondern es muß prinzipiell die Wesensund
Sinnfrage nach der inneren Berechtigung dieser Verbindung
von Deutschtum und Christentum gestellt werden
. Es ist das große Verdienst Wennings, dieses Pro-
blcmgebiet durch eine tiefdringende Untersuchung neu
erschlossen zu haben.

Bei dieser Problemstellung muH die Oeschichtsmächtigkeit des
Christentums und die Offenheit der Volksgeschichte für die christliche
Offenbarung erwogen werden. Daher erfolgt zunächst eine Darstellung
des tatsächlichen „Hineintretens der Erlösungskräfte des Evangeliums"
in die Ocschichte. Theologische Voraussetzung dieser Untersuchung
ist die Deutung der Offenbarung als Inkarnation. Dieses Hincin-
Wirlccn der Erlösungskräfte in die Oeschichte wird konkret an der
Übermittlung von neuen Werten und Wahrheiten durch das Christentum
dargestellt, die für Lebensgefühl und Weltanschauung der Antike
von umwälzender Bedeutung waren. Das Christentum ersetzt das
statische Denken der Antike durch eine teleologische Dynamik, die
dem Menschen erst die Geschichtlichkeit seines Lebens erschließt. Der
Sinn dieser Dynamik wird für den Christen im Kreuze Christi offenbart
. Dieses Kreuzcsgeschchcn begründet dann das christliche Ethos
der Freiheit der Ootteskindcr. Alles das führt über den Lebensgehalt
der Antike völlig hinaus und ist ein Beweis für die revolutionierende
'Oeschichtsmächtigkeit des Christentums.

Die zweite prinzipielle Voraussetzung der Untersuchung ist die
gtschichtsphilosophische Deutung der deutschen Volksgeschichte. Ist
der Geschichtsprozell eines Volkes in Analogie zum biologischen Geschehen
nur eine Entfaltung der ursprünglichen Anlagen, so hat natürlich
nur dasjenige geistige Out Berechtigung innerhalb des Deutschtums
, das mit den ursprünglichen Anlagen der Rassenseelc gegeben
ist. Dieses geschichtsphilosophischc Dogma , das Litt als Nati-
vis'mus bezeichnet hat, entkräftet Wenning in eingehender geschieh ts-
philosophisclicr Besinnung. Der spezifisch geschichtliche Werdeprozeß
ist durch geschichtliche Begegnung und Auseinandersetzung gekennzeichnet
. Geschichte gewinnt ihre Geschichtlichkeit erst in der Begegnung
mit Obergeschichtlichem. Ein Volk entfaltet erst seine
Eigenheit durch die Auseinandersetzung mit ewigen übervölkischen
Wahrheiten. Diese entscheidende übervölkischc Wahrheit ist innerhalb
der abendländischen Oeschichte die Christus-Offenbarung.

Daher muß Wehrung nun nachweisen, daß die Christusbotschaft
wirklich diesen übervölkischen — nicht internationalen — Rang besitze
und nicht unlöslich mit vorderasiatischem und semitischem Scclen-
tum verbunden sei. Er bemüht sich deshalb darum nachzuweisen, daß
das Christentuni alles, was es ist, allein im Bruch mit dem Judentum
geworden sei (S. 55). Er beruft sich dabei auf den schwedischen
Theologen A. Nygren und den Orientalisten R. Strothmann und vermißt
dabei die nötige neutestamentlich - historische Vorarbeit zur
Lösung dieses Fragenkreises.

Nach Klärung dieser Voraussetzungen kann Wehrung seine eigentliche
These durchführen: „Gerade weil das Evangelium übervölkischen
Ursprungs ist, nötigt es die Völker bei ihrer Bekehrung nicht,
ihre Art draußen zu lassen oder preiszugeben. Es sucht vielmehr
diese Art auf, um sie zu einem reinen eigenen Klingen zu bringen. . .
Wir vergessen nicht, daß dabei Rasse und Volkstum das Christliche
überwuchern können; mit der natürlichen Art muß das Evangelium
im Kampfe liegen. Es waltet hier offenbar ein dialektisches Verhältnis
" (S. 68).

Diese These veranschaulicht Wehrung durch reichhaltige historische
Belege, die sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Es ließe sich z. B. zu der Frage: was ist typisch deutsch bei Luther?
noch einiges mehr sagen.

Von der Geistesgeschichte lenkt die Untersuchung
zur prinzipiellen Wesenschau zurück. Das Wesen der
deutschen Art und des Evangeliums werden einander
gegenübergestellt, und es ergibt sich eine tiefe Konvergenz
beider Größen. Als Wescnziige des Deutschen werden
hervorgehoben: Die Hingegebenheit an die Sache,
die unbedingte trotzige Verpflichtung, die Wahrheit zu
suchen, die Metaphysik des Vertrauens und endlich die

j Freiheit, nicht die Freiheit des isolierten Subjekts son-
; dem die Freiheit in der Gemeinschaft. Diese Wesenszüge
wurzeln letztlich in Motiven des christlichen Glaubens
.

Andererseits ist der deutsche Mensch besonders be-

; fähigt, das letzte Wesen der christlichen Offenbarung, das
freie Schenken Gottes zu erfassen. Im mittelalterlichen
Ideal der Milde, als der freigebigen Großherzigkeit

i verrät der deutsche Mensch diese Fähigkeit, das Evangelium
von der freien Gnade Gottes zu erfassen, das
Bann von Luther wiederentdeckt wird. Eine Wesensbe-

I rührung liegt auch in dem polaren Spannungsreichtum

I des Deutschtums und des Evangeliums, der sich von der
Einlinigkeit griechischen und römischen Geistes abhebt.
Von dieser Deutung des geschichtlichen Bundes zwi-

j sehen Christentum und Deutschtum aus wird die soge-
nannte artgemäße Religiosität als eine ungeschichtliiche
„natürliche" Religion erkannt, in der die Vernunftgläu-

[ bigkeit das Allgemeine, das Geschichtslose als letzte

i Wirklichkeit erfahren will.

Die kritische Auseinandersetzung mit Wennings groß
angelegter Untersuchung darf nicht in der Einzelkritik
stecken Weihen. Selbstverständlich kann man z. B. zu
den historischen Partien dieser vielseitigen Schrift manches
Kritische und Ergänzende sagen. Aber die Unter-

j suchung steht und fällt mit den sie tragenden Grundprin-

I zipien. Ist das Wesen des Deutschtums und des Christentums
richtig gesehen? Das Christentum ist von der
Inkarnation her und der Geschichtsmächtigkeit des Christus
aus als Geschichtsreligion verstanden und das
Deutschtum ebenfalls in seiner Geschichtlichkeit mit besonderer
Berücksichtigung der Reformation und des deut-

I sehen Idealismus gedeutet. Diese Wesensschau ist in der
dringend notwendigen Auseinandersetzung mit einem un-

I geschichtlichen Naturalismus und Nativismus unerläßlich.
In dieser prinzipiellen Klärung besteht das Verdienst
Wennings- Daß der Verfasser wenig auf die Neugestaltung
des Deutschtums in der Gegenwart eingelit,
mag man vermissen — es muß doch z. B. eine nicht-
naturalistische Auswertung der rassischen Geschichtsbe
trachtung geben. — Man darf ihm aber diese Lücke
nicht zum Vorwurf machen, da er ja das geschichtliche
Werden des Bundes von Deutschtum und Christentum
in der Vergangenheit auf seine Legitimität prüfen will.
Desto mehr empfindet derjenige, der die aufschlußreiche
Untersuchung Wennings dankbar würdigt, die Verpflichtung
, von dieser neugewonnenen geistesgeschichtlichen
Wesensschau aus das heute akute Problem des Ver-

I hältnisses von nationalsozialistischer Weltanschauung
und Christentum neu zu durchdenken.
Kiel Martin Redeker

Leube, Hans: Evangelischer Glaube und protestantische Haltung
. Berlin: Verlag d. Evang. Bundes 1939. (20 S.) gr. 8°. RM —50.
In dieser ausgezeichneten Schrift weist L. nach, daß die durch
die völkischen Angriffe neu gestellte Frage nach dem Wesen des
Christentu ms in der katholischen Kirche nur als die Frage von fides
implicita und explicita, also eigentlich nicht besteht. Im Gegensatz zu
I Luthers grundsätzlicher Oberwindung der Auffassung, als sei der
| Olaube ein priestcrliches Sonderwissen von Dogmen, die erkannt und
I anerkannt werden können, brach im Luthertum die moralistisch begrün-
| dete Lehre von den Fundamentalartikcln und den nicht hcilsnotwen-
, digen Glaubenslehren ein. Mit der Aufklärung gleitet die Frage über
j in die Forderung einer Überwindung des Individuellen durch das Allgemeine
der Vernunftrcligion, die, von geschichtlichen Belastungen und
i dem historisch Gewordenen befreit, sich als der religiöse Idealtypus
| erweist. Es geht seit Lessing nicht mehr um die konfessionelle Auseinandersetzung
von Einzcllehren. Das Dogma wird als nur zeitgeschichtlich
bedingte Ausprägung einer christlichen Grundhaltung ver-
j standen, die zum Formalprinzip wird (Sclbstvcrantwortlichkeit, Wahr-
{ heitssuchen usw.). Die substantielle Ausformung der christlichen
Glaubenslehre ist geschichtlich und rassisch bedingt. Dagegen ist aber
das Inhaltliche der Botschaft Jesu, die Liebe Gottes zu den Menschen
| und die Freiheit der Entscheidung, die unaufgebbare Substanz des
christlichen Glaubens.

In konzentrierter Form macht L. die Entwicklung und damit die
Bedingtheit des Problems durch die allgemeine Oeistesgcschichtc klar.