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Ausgabe:

1940

Spalte:

205

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hippel, Ernst von

Titel/Untertitel:

Bacon und das Staatsdenken des Materialismus 1940

Rezensent:

Liermann, Hans

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<205

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 7/8

206

PHILOSOPHIE

Hippel, [-tust von : Bacon und das Staatsdenken des Materialismus
. Halle: M. Nicmcyer 1939. (IX.66 S.) gr. 8°=Schrift. d. Königsb.
Oclchrten Gesellsch. 15./16. Jahr, Qeisteswiss. Klasse, Heft 3.

RM 4—; geb. RM 5—.

Die Abhandlung greift über das, was im Titel als ihr
Inhalt angegeben ist, weit hinaus. Sie zeigt Bacon nicht
nur als Hechts- und Staatsphilosophen im engeren Sinne,
sondern als den Denker, auf dessen Lehren der Materialismus
der modernen Welt in jeder Beziehung
aufbaut- Alle seine Erscheinungsformen lassen sich irgendwie
auf Bacon zurückführen. Denn bei dem englischen
Philosophen und Staatsmann um die Wende des
16. und 17. Jahrhunderts, der in der Geschichte der
Philosophie als der Begründer des neuzeitlichen Empirismus
genannt zu werden pflegt, findet sich in der Tat die
denkbar radikalste Abwendung vom mittelalterlichen
Weltbild. Sie ist zugleich, wie vom Verf. hervorgehoben
wird, trotz aller äußeren Verbrämung mit christlichen
Formulierungen die energischste Vertretung eines antichristlichen
Weltbildes bis in unsere Tage hinein. Die
tiefe Kluft, welche Bacon von Paulus und Thomas von
Aquino trennt, wird aufgezeigt.

Bacon löst den Menschen von der Offenbarung und
dem Heilsplan Gottes, sieht in ihm nur ein Stück Natur
und errichtet so das „Reich des Menschen" als absolut
diesseitiges Reich, losgelöst von jeder Bindung nach
oben. Es zeigt in seiner Beschränkung auf das Irdische
Züge, die an die civitas terrena des Augustin erinnern,
aber es fehlt jede Beziehung zur andern Welt der civitas
Dei. Dieses „Reich des Menschen" ist in den Einzelheiten
in Bacons utopischer Schilderung einer „Neuen Atlantis
" ausgemalt- Die sagenhafte Insel, durch die auf
England angespielt werden soll, verwirklicht das Ideal
irdischer Glückseligkeit mit Hilfe einer immer fortschreitenden
Technik. In einer „Ruhmeshalle" der Atlantis
stellt Bacon einzig und allein die Standbilder der großen
Erfinder auf!

Verf. zeigt im Anschluß an diesen materialistischen
Staat Bacons, wie der Baconianismus die ganze moderne
Wissenschaft durchdrungen hat. Auch die Theologie ist
von ihm aufs intensivste beeinflußt worden. In der
Jurisprudenz ist der Rechtspositivismus, der nur den
Leib, nicht aber die Seele des Rechts kennt, Auswirkung
jener Gedankengänge Bacons. Auf diese Weise wird
auch der Staat materialistisch entseelt, er wird „zusammengeballter
Egoismus", der in die Anarchie, vor allem
auch im Leben der Völker, hineinführen muß. Denn ein
entseeltes Völkerrecht bleibt wirkungslos- Der Verzicht
auf den Geist führt notwendig zum Zerfall der Ordnung
des menschlichen Daseins. Der Staat wird durch
den Rechtspositivismus nur von außen gestützt, nicht
mehr von innen getragen. Vom deutschen Idealismus, der
ihn bekämpfte, ist der Baconianismus nicht überwunden
worden. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
erhebt er wieder siegreich sein Haupt. Verf. sieht als
Aufgabe der Gegenwart die Überwindung der „Leere",
die Bacons Denken in der modernen Welt hinterlassen
hat.

Erlangen Hans Liermann

Nietzsche, Friedrich: Werke und Briefe. Historisch-kritische
Gesamtausgabe. Briefe, Bd. 1: Briefe der Schüler- und Bonner Studentenzeit
1850 — 1865, hrsg. von Wilhelm Hoppe und Karl Schlechta
(LVIII, 452 S., zahlr. Faksimiles); Bd. 2: Briefe der Leipziger und
ersten Baseler Zeit 1865 - 1869; hrsg. von Wilhelm Hoppe.(517 S., zahlr.
Faksimiles) 8°, München; C. H. Beck 1938/39. je RM 13.50; Lw. 16.50.
Von der bereits in der Anzeige des Gesamtwerkes
(vgl. ThLZ. 1939 Sp- 74 f.) erwähnten Ausgabe der
Briefe Nietzsches liegen nunmehr die beiden ersten
Bände vor, und die Erwartung, daß auch diese Abteilung
des großen Unternehmens entscheidende neue Einsichten
in N.'s Wesen und Entwicklung eröffnen werde, wird
nicht enttäuscht. Die Herausgeber, K- Schlechta und
W. Hoppe, sind mit der größten Sorgfalt zu Werke

| gegangen. Sie haben sich insbesondere um die Da-

j tierung vieler (z. T. erstmals veröffentlichter) Briefe
und Briefentwürfe und um die Aufklärung vieler zunächst
kaum verständlicher Anspielungen auf lokale, literarische
und allgemein zeitgeschichtliche Erscheinungen
sehr bemüht. Der Abdruck zahlreicher an N. gerichteter
Briefe macht das Gebotene noch lebendiger.
So verspürt man wirklich einen Anhauch der Atmosphäre
, in der N. sich entwickelte.

Der erste Band führt bis zum Abschluß der Bonner
Studienzeit; am Ende des zweiten Bandes steht N. bereits
mitten in der Baseler Dozententätigkeit. So geben

i diese Briefe von einer Reihe wichtiger Entwicklungsphasen
Kunde. Den Eindruck, den man dabei von
der Persönlichkeit N.'s bekommt, ist ungemein anziehend
: die kindliche Anhänglichkeit an die Familie
auch im weiteren Sinn; die Achtung und Dankbarkeit
für die strenge Erziehung in Schulpforta; die tiefe
Sachlichkeit und Gerechtigkeit, mit der N. auch ge-

j legentliche Bestrafung aufnimmt; der ethische Ernst
und die erzieherische Hingabe seiner Freundschaft; die

i Selbstlosigkeit, mit der er sich etwa bei Ritsehl für andere
verwendet — um nur wenige Züge zu nennen.
In der Grazie, die manchen Briefen der Leipziger und
Baseler Zeit eignet, spiegelt sich der Zauber, den N.
mit einem durch geistige Bedeutung noch gesteigerten
Wesen auf seine Umgebung ausgestrahlt hat.

In der geistigen Entwicklung dieser Jahre sind entscheidend
einmal die Auseinandersetzung mit der durch
Elternhaus und Schule nachdrücklich geltend gemachten
christlichen Tradition, und sodann die beginnende
Reflexion über Sinn, Wesen und Grenzen der philologischen
Wissenschaft. Für beides ist die Bekanntschaft
mit Schopenhauer von größter Wichtigkeit. Wie sich
dieser Prozeß vollzogen hat, läßt sich hier nicht in Kürze
zeigen. Jedenfalls wird aus den Briefen vollends deutlich
, daß auch der anfängliche Student der Theologie
bereits in der Distanz des Historikers und Philologen
dem Christentum gegenübersteht. Die Unvereinbarkeit
von christlich-kirchlicher und wissenschaftlicher Geisteshaltung
hat N. dann in den Briefen an Deußen ausdrücklich
behauptet. Die Auseinandersetzung mit Deußen wird
durch die anhangsweise erstmalig veröffentlichten Briefe

l des Freundes noch lebendiger, umso mehr, als Deußens
Briefe auch für sich bedeutend sind; übrigens wird
in ihnen das Problem „Rasse und Religion" in ganz
ursprünglicher Weise aufgeworfen, ein Gesichtspunkt,
der bei N. damals noch ganz fehlt.

Sehr schön läßt sich an den Briefen dieser beiden
Bände beobachten, wie geistige und stilistische Entwicklung
bei N. Hand in Hand gehen. Hier in den Briefen
entfaltet sich bereits ganz frei jener denkerische und
sprachliche Personalstil, der in den Werken erst zum
Durchbruch kommt, nachdem N. für seine Produktion
die Form des Aphorismus gefunden hat.

Bd. 2, S. 446: Das Walther-Zitat ist ganz fehl am Platze. Brief
Nr. 372 ist am 10. Juli selbst geschrieben, vgl. Zeile 25. Bd. 2, S. 454,
456, sowie Brief Nr. 375 lies Indicifikation.

Halle (Saale), z. Zt. im Felde Hermann Zeltner

Helntel, Dr. Erich: Nietzsches „System" In seinen Grundbegriffen
. Eine prinzipielle Untersuchung. Leipzig: F. Meiner 1939.
(VIII, 220 S.) gr. 8°. RM 8—.

Heintel will alle für ein philosophisches System wichtigen
Grundbegriffe herausstellen und diese an das philosophische
Werk Nietzsches heranhalten, um auf diese
Weise nicht eine Fülle von zwar im einzelnen höchst interessanten
Erkenntnissen zu gewinnen, sondern um das
Philosophieren Nietzsches von innen aus seiner ihm innewohnenden
Systematik heraus aufzurollen. Man wird
zugeben müssen, daß dieser Weg in der Nietzsche-Literatur
neu ist. Man hat uns zwar bis jetzt darüber belehrt,
daß die Lehren von der "Wiederkunft, vom Übermenschen
und vom Willen zur Macht für Nietzsche grundlegend
sind. Auf solche Weise sind gute Einzcldarstel-