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Ausgabe:

1940

Spalte:

203-204

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schneider, Carl E.

Titel/Untertitel:

The German church on the American frontier 1940

Rezensent:

Heyne, Bodo

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Seite 1

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203

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 7/8

204

sind dann doch wieder da, vor allen Dingen „the moral
consciousness", im absoluten Sinne mit dem „diary-
keeping type of introspection". vgl. aber dazu gerade
Calvins rentrer en soi-meme). Das ist im Einzelnen von
K. sehr fein herausgearbeitet. Nicht minder das puritanische
Autoritätsprinzip, das neben die Bibel doch eine
Tradition zuzulassen sich genötigt sieht. Die Theologie
tritt im Puritanismus zurück, so gewiß er „doktrinär"
war (hier natürlich von Calvin beeinflußt). Aber es kann
Predigten von zwei bis drei Stundenlängen geben! (S. 390)
Die Frömmigkeit steht unter dem Blickpunkt: „We are
all Calvinists when we pray, but all Arminians when we
preach". Die Soziallehren des Puritanismus sind bestimmt
durch den Gegensatz gegen täuferischen Kommunismus
und das primär religiöse, nicht „unrestricted
gain-seeking" Interesse. Allerdings kam dann unter Elisabeth
durch William Perkins u. a. der Oedanke hoch,
mit dem Naturrecht die sozialen Unterschiede zu legitimieren
und den Armen nicht mehr als Gottes Liebling,
sondern als den Faulen anzusehen. In der Zinsfrage
gingen die Ansichten auseinander, es konnte die mittelalterliche
Anschauung vom iustum pretium vertreten werden
. In summa: zur Entstehung des Kapitalismus hat der
Puritanismus nur indirekt (durch Auflockerung der alten
Gesellschaft) beigetragen. Die puritanische Askese will
K. teils aus den Zeitumständen, teils aus dem Mittelalter,
teils aus der Bibel, nicht aus besonderem calvinistischem
Lebensstil ableiten; die Sonntagsheiligung ist spezifisch
englisch-mittelalterlich (kann man da wirklich die Sonntagsheiligungsgebote
in den Zwinglisch-calvinistischen
Kirchen ausschließen?). Für das Eherecht (Betonung der
patria potestas, Geschwisterkinderehe, Scheidung u.s.w.)
schiebt K. sicher allzu schnell Calvin beiseite, bei dem
sich die meisten puritanischen Grundsätze bereits finden
(vgl. den im Druck befindlichen 2. Bd. meines: „Zürcher
Ehegericht und Genfer Konsistorium"). Richtig werden
die puritanischen Bildungsanstalten (darunter das Trinity
College in Dublin) gegen die Bildungsziele der Renaissance
abgehoben.

Durch einige Appendices, worunter eine „Historio-
graphy of Puritanism" und eine sehr eingehende Biblio-
graphy", hat Knappen sein ungemein aufschlußreiches
Buch noch bereichert.
Heidelberg W. Köhler

Schneider, Carl E.: The German Church on the American
Frontier. A Study in the Rise of Religion among the Germans of
the West. Based on the History of the Evang. Kirchenverein des

i Westens (Evangelical Church Society of the West) 1840—1866.
St. Louis, Miss.: Eden Publ. House 1939. (XX, 579 S., zthlr
Abb. auf Taf., 2 Übers., 3 Ktn.) 8°. $ 4.50.

Die vorliegende, umfangreiche Veröffentlichung kann
in Deutschland besondere Beachtung beanspruchen. Wie
der bezeichnende Titel vermerkt, geht es um die Anfangsgeschichte
christlichen und kirchlichen Lebens unter den
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgewanderten
Deutschen im mittleren Westen der Vereinigten Staaten
beiderseits des Mississippi, als hier noch die „Grenze
" des vom weißen Mann besiedelten Gebietes lag.
Diese Geschichte ist, namentlich in ihren weiteren Zusammenhängen
, wenig bekannt. Die Quellen dafür sind
nicht nur in deutschen und amerikanischen Bibliotheken
verstreut, sondern oft genug in kleinen Archiven vergraben
. Der Vf. hat sich der großen Mühe unterzogen, in
langjähriger Arbeit die vielfach unbekannten Quellen
(z. B. den weitverzweigten Briefwechsel der American
Home Missionary Society) zusammenzutragen und auszuwerten
. Die umfangreichen Anmerkungen zeugen davon
und machen die Veröffentlichung zu einem wichtigen
Hilfsmittel für weitere Forschungen. Der Vf. hat sich
nicht mit einer einfachen Darstellung der geschichtlichen
Vorgänge begnügt, wie die meisten Synodalgeschichten
amerikanischer Synoden deutscher Herkunft, sondern
die vielfache Verflochtenheit mit dem deutschen Zeitgeschehen
(Auswanderungsbewegung, geistige und kirchliche
Lage) und der Entwicklung Nordamerikas (Koloni-
j sierung des mittleren Westens) herausgearbeitet. Dadurch
ist sein Werk weit über den alten Typ der Synodengeschichten
hinausgewachsen und trägt seinen Untertitel
zu Recht. Die Heranziehung der Quellen, die Stoffauswahl
und die klare, vorsichtige Art der Darstellung vermitteln
den Eindruck einer gut unterbauten und abgewogenen
wissenschaftlichen Arbeit.

Der Aufbau des Ganzen nach systematischen Gesichtspunkten
unterbricht zwar den Zusammenhang des
geschichtlichen Ablaufs, läßt aber das Wesentliche Star«
I ker hervortreten. Ausgehend von dem deutschen und
nordamerikanischen „Hintergrund" schildert der Vf. in
12 Kapiteln die Anfänge der Missionstätigkeit unter den
Deutschen, die Gründung des Kirchenvereins (der späte*
ren Deutschen Evangelischen Synode von Nordamerika),
die ersten Pastoren, die Entstehung der ältesten Gemeinden
, um dann in einzelnen Abschnitten die geschichtli-
i chen Aufgaben und Forderungen darzustellen: Pastorale
j Tätigkeit, Gemeindeaufbau, Gottesdienst, kirchliche Er-
j Ziehung, Liebestätigkeit, zwischenkirchliche Beziehungen,
I theologische Fragen. Er schließt in zwei weiteren Kapiteln
mit einem Ausblick auf das rasche Wachstum in
dem 2. Jahrzehnt und die Frage nach der „americani-
zation" seine Darstellung ab. Durch sie gewinnen wir
ein deutliches Bild Von einem einzigartigen Vorgang:
Die Entstehung kirchlichen Lebens an der „Grenze",
wobei „Grenze" (frontier) in der amerikanischen Forschungsarbeit
mehr als ein geographischer Begriff ist
und in sich alle Möglichkeiten eines Pionierdaseins auf
ungesichertem Neuland fern von aller geordneten Zivi-
| lisation begreift-

Für die deutsche Theologie, insbesondere die Kir-
j chengeschichte, ist dies Buch in mehr als einer Hinsicht
I bedeutsam. Ebenso wie die Geschichte der deutschen
I Auswanderung fehlt uns die Geschichte der kirchlichen
' Versorgung der deutschen Auswanderer. Der Vf. liefert
dazu einen wertvollen Beitrag. Er zeigt nicht nur die
I engen Beziehungen, die bis in dieses Jahrhundert zwischen
der deutschen „Mutterkirche" und den „Tochterkirchen
" in Nordamerika bestanden haben, sondern auch
Auswirkungen deutscher innerkirchlicher Vorgänge drüben
, die meistens unbeachtet geblieben sinio, hier vor
I allem der Erweckungsbewegung, aber auch der Missionsarbeit
und des landeskirchlichen Systems. Zugleich wird
der verändernde Einfluß der neuen Umgebung deutlich.
Es wäre auch für die deutsche Theologie eine reizvolle
Untersuchung konfessionskundlicher Art, einmal Ver-
gleiche zu ziehen mit dem zu gleicher Zeit, in dem glei-
j chen Gebiet, unter den gleichen deutschen Auswanderern
entstehenden Luthertum missourischer Prägung und dem
verschiedenartigen Einfluß der'deutschen kirchlichen Fra-
I gestellungen wie deren Veränderung nachzugehen. Die
| Veröffentlichung regt zu einer Fülle von Fragen an, an
I denen auch die deutsche Theologie nicht vorübergehen
j sollte.

Ob man im Einzelnen einmal vermerkt, daß von

Deutschland aus gesehen sich eine andere Fragestellung
I ergibt — vgl- z. B. die Erörterungen über americaniza-
I tion (S. 464ff.), sowie über die Bekenntnisfrage (S.
I 407) — ändert nichts an der Feststellung, daß dem Hi-
| storiker des Eden Theological Seminary für die ausge-
; zeichnete Arbeit auch unser herzlicher Dank gebührt.

Es sei noch vermerkt, daß, abgesehen von einigen
i Schreibfehlern deutscher Ortsnamen, an sich leicht mög-
j liehe Irrtümer bei der Benutzung deutscher Quellen in

einer amerikanischen Veröffentlichung nicht vorliegen.

Die Ergänzung der Darstellung durch den Anhang mit
| Quellenstücken und Listen, die ausführliche Bibliogra-
! phie, den Index und verschiedene Bilder und Karten ist

zu begrüßen.

Bremen Bodo Heyne

I