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Ausgabe:

1940

Spalte:

199-200

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Burdach, Konrad

Titel/Untertitel:

Der Gral 1940

Rezensent:

Wechßler, Eduard

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109

Theologische Literaturzeitung 1940 Nr. 7/8

200

den Gedanken einer Wiedervereinigung der Kirchen erstarken
zu sehen.

Die Bedenken gegen manches Einzelne und einiges
Grundsätzliche hindern doch die Anerkennung nicht, daß
hier gerade auch die besten Seiten jener Haltung aufs
anziehendste sich darstellen: Weite des Blicks und der
Kenntnisse, Wärme des Nachempfindens, Maß und Gerechtigkeit
!

Göttingen Hermann D ö r r i e s

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Burdach, Konrad f: Der Gral. Forschungen über seinen Ursprung
und seinen Zusammenhang mit der Longinuslegende. Stuttgart:
W. Kohlhammer 1938. (XIX, 580 S.) gr. 8° = Forsch, z. Kirchen-
und Oeistesgesch. 14. Bd. RM 18—; geb. RM 21—.

Konrad Burdach, der vielseitige und kenntnisreiche
Gelehrte, wurde am 18. Sept. 1936 seiner Wissenschaft
und seinen zahlreichen Freunden entrissen. Er hat uns in
diesen „Forschungen über den Ursprung des Grals und
seinen Zusammenhang mit der Longinuslegende" ein
kostbares Vermächtnis hinterlassen, worin er dem eigentlichen
Lieblingsthema seines Lebens eine tiefe und in
gewisser Hinsicht abschließende Untersuchung gewidmet
hat- Durch die freundschaftlichen Bemühungen seiner
Kollegen Erich Seeberg und Julius Petersen, und des
weiteren durch die hilfreiche Mitarbeit seiner Schüler
Paul Piur und Hans Bork liegt nun der stattliche Band
von 580 Seiten für alle vor, die an diesem Zentralproblem
der neueren Glaubens- und Bildungsgeschichte
näher oder ferner beteiligt sind.

In 25 Kapiteln wird die Legende vom Lanzenstich
des Longinus und diejenige vom Abendmahlskelch, auf
Grund genauester Quellenkenntnis und mit aller methodischen
Strenge dargestellt. Der Verfasser beginnt dabei
mit dem Lanzenstich im Passionsbericht des 4. Evangeliums
, behandelt in zwei besonders gewichtigen Kapiteln
Speerstich und Grablegung in der orientalischen Mysta-
gogie, hierauf das Speerwunder in dem gräzisierten
abendländischen Dogma der Eucharistie, und schließt
diese ausführliche Darstellung der gesamten Longinuslegende
mit einer Schilderung der magischen Wirkungen
des blutenden Speers in Segen Sprüchen, Gebeten und
Passionsspielen Frankreichs und Deutschlands. Wir erhalten
in dieser streng quellenmäßigen Geschichte zugleich
ein allgemein bedeutungsvolles Musterbeispiel vom
Bekanntwerden und Eindringen griechisch-orientalischer
Denkart und Vorstellungsweise ins römisch-katholische
Abendland.

Dann erst, im letzten und kleinsten Teil seines weitschichtigen
Werkes, befaßt sich der Autor mit den französischen
und deutschen Dichtungen vom Gral. Kapitel 26
und 27, die sich mit Christian von Troyes und Robert
von Borron befassen, sind vom Verfasser selber noch
im Frühjahr 1936 im Manuskript beendet worden. Nur
das letzte, 28. Kapitel, das unseren Wolfram von
Eschenbach behandelt, stammt vom Herausgeber Hans
Bork, der neben den gedruckten und wohlbekannten
Vorarbeiten des Autors gelegentliche schriftliche Vorarbeiten
und mündliche Mitteilungen desselben benutzen
konnte.

Die ausdrückliche These des Verfassers, die
wiederholt formuliert wird (S.S. XI, 55, 115, 191, 209),
geht dahin, daß der Gral nichts anderes ist als der
Abendmahlskelch: weder Schale noch Schüssel,
weder ein Meteorstein noch ein Tischlein-deck-dich. Abgelehnt
wird jede nichtchristliche Quelle, seien es irischkeltische
Märchenmotive, seien es persisch-iranische Religionsmythen
, oder etwa arabisch-alchvmistische Magie
(S. 538).

Konrad Burdach hat auch in seinen Arbeiten zur Geschichte
der deutschen Sprache das literarische Vorbild
und die literarische Überlieferung vor dem mündlicb-
volkstümlichen Sprachgebrauch und Sprachenwerden immer
bevorzugt, und die Bedeutung der Stilmuster vor

| der lebendigen Rede in der gewordenen Sprachgemeinschaft
, und vor dem natürlichen, zwanglosen Austausch
der Gedanken und Meinungen, oft überschätzt. So hat
auch hier der gelehrte Forscher in der erzählenden Dichtung
des Mittelalters „die Lust am fabulieren" und die
eingeborene Freude der sich erst bildenden Völker an
allem Seltsamen und Wunderbaren doch vielleicht zu
wenig berücksichtigt. Immer wieder kann uns dabei die
Entstehung eines Kristalls, beispielsweise aus gelöstem
Alaun, mehr als einen bloßen Vergleich, ja geradezu das
Sinnbild solcher Märchengebilde bieten. Wie bei einem
Kristall mit unaufhaltsamer Notwendigkeit die verwandten
oder ähnlichen Elemente zusammenschießen und
plötzlich ein leuchtendes Naturgebilde ergeben, das nach
allen Seiten und in mannigfaltigen Tönen schillert und
spiegelt, so hat die poetische Phantasie der damaligen
ritterlichen und geistlichen Erzähler allerlei Geheimnisvolles
, von wo auch immer es ihnen zukommen mochte,
zu einer bunten Fabeleinheit zusammenfließen

i lassen.

Erst im 27. Kapitel, dort wo die Anknüpfung an die
Arthursage besprochen wird (S. 494 ff.), führt uns der
Autor auf den britisch-englischen Geistesboden, wo alle
die wunderbaren Sagenkreise von König Arthur und
Guenievre, von Tristan und Iseut, Lancelot und dem
heiligen Gral, Galaad und Modred, von Anfang an mit
besonderer Liebe und Begabung vorgetragen worden
sind- Keltisch-irisch ist das Kloster Glastonbury, mit
welchem Robert de Borron in Beziehung stand, keltischirisch
sind die Namen Alanus und Avalon (S. 473, 482,
487, 495). Und wir erkennen hier wieder einmal, wie in
der gesamten Geistesgeschichte des ältesten England die
starke und nachhaltige Einwirkung der romfreien und
volkstümlichen Sage und Dichtung des alten Irland sich
in bedeutungsvoller Weise geltend machte. In diesem
romireien, alt-irischen Christentum der dortigen Klöster
erhielt sich während der Stürme der Völkerwanderung
, mit der Kenntnis und dem Besitz der altgriechischen
und altrömischen Literatur und Kultur, zugleich
eine wirkungsvolle Vorliebe und Bewahrung der alteinheimischen
Mythen, Sagen, Märchen und Legenden. Aus
[ diesem geistesmächtigen und dogmafreien alten Irland
| ist der starke Sinn für allerlei Vorgeschichte und noch
| für die heldenhafte Zeitgeschichte auferwacht, der sich
im Epos von Beowulf ebensogut wie in den großen Geschichtswerken
eines Gottfried von Monmouth und eines
Wilhelm von Malmesbury kraftvoll betätigt hat. Darum
hat auch Hans Bork, mit dem Autor, guten Grund, nicht
alle die angeblichen Quellenwcrke eines Robert und
Wolfram als eigenwillige Erfindungen abzulehnen (S. 529
bis 533). Was aber den Namen Gral im besondern betrifft
, so wird er von „garum" abgeleitet und als „gara-
lis" gedeutet, d. h. als Trinkgefäß für die kostbare
j Fischbrühe, im Sinne der geheimnisvollen Fischmahlzeit
der frühesten Legende (S. 474).

Es erscheint heute fraglicn, ob es jemals gelingen
wird, in der Sage vom heiligen Gral die theologisch-liitur-
j gischen Bestandteile zu den mythisch - märchenhaften,
oder mit andern Worten, die geschichtlich-zeitbediingten
Elemente mit den primitiv-zeitlosen, in das zutreffende
I geschichtliche Verhältnis zu setzen. Man wird bei unbe-
| fangenem Betrachten des Ganzen und des Einzelnen, wie
j bei so vielen ähnlich gearteten Problemen der Sagen-
und der Glaubensgeschichte, jedes übergreifende Ent-
weder-oder abzuweisen haben und sich besser mit
einem Sowohl-als auch begnügen. Doch wie dem
I immer sein mag, es bleibt das Verdienst von Konrad
Burdachs letztem Werk, den christlich-rituellen Stamm
j der weithin schattenden Legende in seinem ganzen
I Wachstum aufgezeigt zu haben. Hier spricht kein Fach-
j mann aus selbstgesetzten Schranken seiner Sicht, hier
I kam ein Meister von echt universalgeschichtlicher Weite
I des Blicks zu einem Lebenswerk, das uns als Denkmal
| deutscher Gewissenhaftigkeit und Sachlichkeit vorbildlich

werden kann una soll-
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