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Ausgabe:

1939 Nr. 5

Spalte:

173-175

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Köhler, Walther

Titel/Untertitel:

Omnis ecclesia Petri propinqua 1939

Rezensent:

Koch, Hugo

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17:5

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 5

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exegetische Vermutung in der Gegenwart ernster genommen
als früher (vgl. E. Reisner 1938). Diese sorgfältige
religionsgeschichtliche und theologische Arbeit, die
zum Hebr. Wesentliches zu sagen hat und in der gegenwärtigen
Diskussion neue Gesichtspunkte vorzubringen
versteht, verdient alle Anerkennung, umsomehr, als sie
aus dem Pfarramt heraus entstanden ist. Die grundsätzliche
Einordnung des Hebr. in seine hellenistisch-
gnostische Umgebung bringt natürlich auch Fragen mit
sich, die einer neuen Antwort bedürfen. Die Auseinandersetzung
mit dem Gesetz und der Opferfrage des
A. T.'s tritt jetzt ganz zurück und nimmt nur noch untergeordnete
Bedeutung an („Ende des Mythos und des
Gesetzes")- Die Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung
und Mythos wird auf S. 110—116 und S. 152
mit grundsätzlich klaren Worten umrissen; es erhebt
sich jedoch die Frage, inwieweit die geschilderten Anknüpfungen
an die mythischen Vorstellungen der Zeit
wirklich theologisch-legitim „Anknüpfungen" genannt
werden können oder ob sie nicht doch mehr sind.
Halle (Saale) O. Michel

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Köhler, Walther: Omnis ecclesla Petri propinqua. Versuch
einer religionsgeschichtlichen Deutung. Heidelberg: C.Winter 1938.
(VIII, 38 S., 2 Taf.) gr. 8° = Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d.
Wissensch. Philos.-hist. Kl., Jahrg. 1937/38. 3. Abhandl. RM 2.70.
Das von Tertullian in de pudicitia bekämpfte ,edic-
tum peremptorium' eines ,pontifex maximus, quod est
episcopus episcoporum', das Ehebrechern und Unzüchtigen
nach geleisteter Buße Sündennachlassung gekündigt
, läßt die Forscher nicht zur Ruhe kommen. Es handelt
sich dabei ebenso um die Person des ungenannten
Bischofs (Kallist oder Zephyrin von Rom oder Agrip-
pin von Karthago), wie um die Bedeutung und die Begründung
seiner Botschaft, und hierbei dreht sich der
Streit besonders um den Sinn der Berufung auf Mt. 16,
18 f. und der von dem angeredeten Bischof für sich gezogenen
Folgerung, die der afrikanische Gegner mit den
Worten wiedergibt: ideirco praesuinis et ad te derivassc
solvendi et adugandL potestatem, id est ad omnem eccle-
siam Petri propinquani (pud. 21,9). Meine, sowohl von
der Antwort Tertullians wie von Cyprian her gewonnene
Erklärung, daß darnach „jede mit Petrus verwandte
und zusammenhängende, von Petrus herstammende, zu
Petrus in Beziehung stehende, d. h. eben jede katholische
Kirchengemeinde oder jeder katholische Bischof
als ihr Vertreter" die Schlüsselgewalt besitzen solle
(Kallist und Tertullian 1920, S. 94ff. Cathedra Petri
1930, S. 18 ff.), hat auf verschiedenen Seiten Anklang
gefunden. Auch E. Caspar, der vorher (Primatus Petri
1927, S.llff.) eine die Lossprechungsgewalt auf Rom
beschränkende Deutung vorgetragen hatte, schloß sich
ihr in seiner Geschichte des Papsttums (1, 1930, S. 572)
in dieser Hinsicht an. Dagegen bezog W. Kohler nach
dem Vorgang Harnacks (Ecclesia Petri propinqua 192 7)
die „Petrusnähe" nur auf die römische Kirche als Besitzerin
des Petrusgrabes und brachte gegen meine Erklärung
Bedenken vor (ZNW 31, 1932, S. 60 ff.), mit
denen ich mich in einer Zwiesprache (Ebenda S. 68ff.)
auseinandersetzte. Nunmehr packt er die Frage nochmals
an und sucht ihr mit religionsgeschichtlichen Mitteln
beizukommen.

Inzwischen hatte aber auch H. Stoekius in einer weit
ausholenden und langen, nach seinem Tode im Archiv
f- kath. Kirchenrecht 117 (1937) S. 24-126 erschienenen
Abhandlung dem Streitpunkt seine Aufmerksamkeit
zugewandt und zu seiner Lösung eigene Wege eingeschlagen
. Nebensächlich ist dabei sein Vorschlag statt
Peremptorium zu lesen perpetuum, im Hinblick auf das
so sich nennende Edikt des Kaisers Hadrian, einschneidend
dagegen die schon im Titel seiner Abhandlung ausgedrückte
Änderung id est ad tuam ecclesiam Petri pro-
prtam (Harnack hatte vorgeschlagen: ad Romanam ecclesiam
Petri proplnqaam). Man kann aber seine Ausführungen
trotz allem Scharfsinn und aller Gelehrsamkeit
, die darin aufgeboten werden, nur als abwegig bezeichnen
. Falsch ist schon seine Erklärung des et ad te
etc., das heißen soll, daß wie auf Petrus, so auch auf
j Kallist die Schlüsselgewalt ausgeströmt sei. Der Sinn
j ist vielmehr offenbar der, daß Mt. 16,18 f. die Schlüssel-
I gewalt dem Petrus übertragen worden und von ihm oder
von da aus auch auf Kallist ausgeströmt, übergegan-
I gen sei. In dem Satz id est ad tuam ecclesiam Petri
| propriam aber soll der zweite Begriff ecclesia Petri pro-
pria von Tertullian gebildet sein zum Ausdruck des
schärfsten Gegensatzes zur ecclesia Kallists: wegen Mt.
j 16,18 f. beanspruchtst du, daß auch auf dich (wie auf
| Petrus) die Schlüsselgewalt ausgeströmt sei, d. h. auf
deine (Bischofs-)Ecclesia, die doch dem Petrus eigen
(eigentümlich) ist. Ein solcher Zusatz wäre aber eher
! noch als Begründung Kallists zu begreifen, nicht als Einwand
Tertullians. Stoeckius ganzer Beweisgang verläuft
| im Grunde genommen im Kreise, indem er nach seiner
vorgefaßten Meinung den Text ändert und darnach den
(iedanken Tertullians bestimmt. Vollends Schiffbruch
erleidet seine Auffassung bei der Erklärung von pud.
22, 1 : at tu ia/n in ntartyras tuos ejjundis haue potest.i-
[ tem, wonach Kallist die Absolutionsgewalt, die bisher
auch den kirchlichen Märtyrern noch eigen war, für
seine eigene Person allein in Anspruch nehme! Eine
Deutung, die sich derart über den lateinischen Sprachgebrauch
hinwegsetzt, kann unmöglich richtig sein. Dazu
würde auch die Antwort Tertullians passen wie die Faust
aufs Auge, und St. nennt sie deswegen „matt". Im
übrigen bleibt es bei St. in der Schwebe, ob Kallist nur
auf die römische Bischofskirche oder auf die Bischofskirche
überhaupt abziele.

Doch nun zu W. Köhler! Er stimmt mit St. und
mir darin überein, daß der Bischof des Edikts nicht ein
schriftstellerisches Geschöpf Tertullians, sondern der
auch von Hippolyt aufs Korn genommene Kallist sei,
und daß die ihm zugeschriebenen Äußerungen und Gründe
wieder nicht auf Einfällen des Afrikaners, sondern
auf schriftlichen Darlegungen Kallists beruhen. Das
Petri propinqua aber faßt er jetzt nicht mehr als „petrusnahe
", sondern ganz ausgesprochen und betont als
„petrusverwandte" Kirche, indem er den Gedankengang
Kallists in religionsgeschichtlichen Zusammenhang bringt
zu den Vorstellungen und Gebräuchen, die sich um den
antiken Heroenkult und Heroengrab-Kult bewegen.

Ähnlich wie von der Gottheit, geht nach diesen Anschauungen auch
vom Heros, und zwar näherhin von seiner Grabstätte, ein „Fluidum ',
eine fließende Kraft aus, die dem Besitzer des Grabes zur Verfügung
steht, wenn er ihrer bedarf. Der Vorstellungskreis der „Verwandtschaft"
aber begegnet in dem mit dem Herocnkult wurzelhaft verbundenen
Ahnenkult. Die Verwandten sind, gewissermaßen korporativ, die Träger
des Totenkults, sie versammeln sich zu den Totenmählern; die Angehörigen
einer Phyle aber können geradezu guyyeveic, ihres Heros Epo-
nymos heißen. Von besonderer Bedeutung ist die Gestalt des Grunders,
des xtioti'i? oder oburm'n; einer Stadtgenieinde, dessen fjg&ov auf der
üyo(h). steht und in gemeinsamem öffentlichen Kult gefeiert wird. Als
„Gründer" wurde aber auch geehrt, wer in einer Stadt eine neue Regierungsform
eingerichtet hatte. In diese Vorstellungswelt, die, wenigstens
hinsichtlich der „Dynamik" des Grabes, von Kleinasien nach Rom gekommen
war, stellt nun K. den umstrittenen Satz Kallists hinein, und
es ist kein Zweifel, daß er es verstanden hat, seine Darlegungen durch
eine Fülle von Belegen aus Quellen und Literatur und sogar durch die
Beigabe von zwei Bildtafeln eindrucksvoll zu machen. Sogar das Schwierigkeiten
bereitende omnem ecclesiam beleuchtet er mit einer Stelle aus
Cassius Dio, einem Zeitgenossen Kallists, bei dem Antonius in seiner
Leichenrede aur Cäsar von ihm sagt: Sri itoonov uev tf|{ itoXeo)?
f|u(öv olr)<; ovyYevi'i; tmvr ex y<q o,v (Aeneas und Romulus) ovxoc,
EY£Wi'|ür|, TtQÖc, totodv t|u.eic, (;»üaßTni£v — das öÄr| f| exxlroia
to0 rieToou OUYYevtj; bei Kallist! Ks „Versuch" ist eine wirkliche
Versuchung, und es erging mir beim Lesen der Ausführungen K.s S. 9
bis 32 wie nach Ap. 26,28 dem König Agrippa beim Anhören der
, Rede des Apostels Paulus: fast hätte er mich überzeugt.

Nun kommt jedoch von S. 32 an das große Aber:
die Antwort Tertullians will dazu nicht stimmen, da sie
; nur der Bischofskirche die Geistkirche entgegensetzt,
j über die römische Kirche mit ihrem Petrusgrab aber
I kein Wort verliert, obwohl sie den Petrus 21,17 den