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Ausgabe:

1939 Nr. 4

Spalte:

151-153

Kategorie:

Kirchenfragen der Gegenwart

Autor/Hrsg.:

Adolph, Heinrich

Titel/Untertitel:

Entbürgerlichung des Protestantismus? 1939

Rezensent:

Redeker, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 4

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4. Jhd. — Die übrigen Beiträge können nur kurz angeführt werden.
Anton L. Mayer erörtert „Renaissance, Humanismus und Liturgie"
(fast 50 S., sehr interessant für Beziehungen zu Kunst, Dichtung, Frömmigkeit
); W. Lipphardt gibt „Rhythmisch-metrische Hymnenstudien" ;
M. Tarchnisvili befaßt sich aufgrund von Handschriften der Univer-
sitätsbibl. Graz mit der georgischen Übersetzung der Liturgie des Chry-
sostomus; W. M. Witchill bringt (in englischer Sprache) einen Katalog
mozarabischer liturgischer M S e. Eine Reihe kleiner „Miszellen",
ein sachlich gruppierter, reichlich 200 S. umfassender Literaturbericht
sowie eine Liste der eingelaufenen Neuerscheinungen sind keineswegs
als bloße Beigaben zu werten; sie füllen *h des großen Jahrbuchs.
Breslau-Sibyllenort M. Schi an

Ar per, D. Karl, u. D. Alfred Zill essen: Evangelisches Kirchenbuch
. Zweiter Band: Die Bestattung. 3., von D. Zillessen
neu bearb. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1938. (20*,
320 S.) 8°. RM 10.80.

Von den beiden Bearbeitern des Kirchenbuches hat D. Arper die
Vorbereitung der neuen 3. Auflage und D. Zillessen die Drucklegung
nicht mehr erlebt. Der letztere hat die Neubearbeitung allein durchführen
müssen und sie seinem langjährigen Freunde und Mitarbeiter gewidmet
. Eine neue „Einführung" von Zillessens Hand fand sich nicht
vor. Daher ist die der 2. Auflage bis auf geringfügige sachlich notwendige
Änderungen wörtlich übernommen. Auch in dieser Auflage
wird der Bestattungsakt immer noch „Einsegnung" genannt! Dagegen
ist sonst im Text kaum ein Abschnitt unverändert geblieben, alles in
dem Sinne, den volleren Klang der Bibelworte entsprechend der ursprünglichen
Sprache Luthers noch mehr hervortreten zu lassen. Ebenso zeichnen
sich die Gebete durch größere Kürze und Knappheit des Ausdrucks
aus. Eine besondere Kürzung hat sich der Abschnitt V „Trost und
Kraft in Lied uud. Spruch" gefallen lassen müssen, auch der Abschnitt
VII „Formeln für die Einsegnung", womit man nur einverstanden
sein kann, auch damit, daß den Schriftworten eine Bemerkung über
etwaige kasuelle Verwertung beigegeben ist, so daß diesem vielgebrauchten
, nunmehr in handlichem Taschenformat auf schreibfähigem Dünndruckpapier
hergestellten und mit gut lesbarem Satz versehenen Bande eine
noch vielfältigere willkommene Verwendbarkeit gegeben ist.

Hannover Paul Gr äff

GEGENWARTSFRAGEN

Adolph, Prof. Dr. Heinr.: Entbürgerlichung des Protestantismus
. Gotha: Leopold Klotz 1936. (VIII, 130 S.) 8°. Kart. RM 2—.

Die Frage nach dem Wesen, dem Sinn der gegenwärtigen
Krise und der Zukunft des Protestantismus ist
zweifellos eines der vordringlichsten religiösen Probleme
der Gegenwart. Der Verf. richtet in der vorliegenden
Arbeit allerdings die Fragestellung nicht auf den Gesamtprotestantismus
, sondern auf den im lutherischen
Deutschland entstandenen Neuprotestantismus. Diesem
von der Reformation und dem Altprotestantismus unterschiedenen
Neuprotestantismus — man merkt sofort den
Einfluß der geistesgeschichtlichen Konzeptionen von Dilt-
hey und Troeltsch — wird die Schicksalsfrage gestellt,
ob er nicht eine durch den bürgerlichen Geist bestimmte
also zeitgeschichtlich bedingte Form des Christentums
sei, „die das bürgerliche Zeitalter einleitete, seinen Aufstieg
mitmachte und nun gleichzeitig mit ihm dahin-
sinkt." (S. 130)

In der geistesgeschichtlichen Unterbauung dieser Problemstellung
wird versucht, den geschichtlichen Zusammenhang
von Luthertum, Aufklärung, Idealismus und Liberalismus
im Ursprungslande der Reformation darzulegen
. (S. 54) Diese Entwicklung wird als Weg des Protestantismus
zur bürgerlichen Religion gekennzeichnet.
Der Begriff bürgerlich wird dabei etwas ungenau und
summarisch verwandt; er hat nicht nur soziologische,
sondern vor allem weltanschauliche Bedeutung. Die Wesenszüge
des bürgerlichen Zeitalters sind Individualismus
, Autonomie der Ratio, Sicherheit und Selbstgenügsamkeit
des Lebensgefühls, die sich in Kultur- und Fort-
schrittsenthusiasnius wie in dem Zudecken aller dämonischen
und tragischen Hintergründe des Lebens manifestiert
. Diese bürgerliche Welt wird eingeleitet durch
die Aufklärung, erreicht ihre Blüte im deutschen Idealismus
und zerfällt im Liberalismus. Der Protestantismus
hat sich angeblich dieser Entwicklung völlig eingegliedert
. Die Zukunft des Protestantismus hängt deshalb
davon ab, ob es ihm gelingt, den Zusammenhang mit

dem Bürgertum zu lösen, d. h. sich zu entbürgerlichen.
Entbürgerlichung heißt also: Überwindung des Individualismus
, des Rationalismus und Durchbruch zu neuer
metaphysischer Seinstiefe. Die Ansätze dazu sieht der
Verf. in dem neuen Willen zur Kirche innerhalb des Protestantismus
, der sich einerseits in dem Versuch, in Analogie
zum totalen Staat eine totale Kirche aufzubauen,
anderseits in dem Bemühen, die Volkskirche als Volksordnung
im Gleichschritt mit der nationalsozialistischen
Neuordnung unseres Volkskörpers neu zu gestalten oder
auch in dem neuen Gemeinschafts- und Lieneswillen der
Gruppenbewegung bekunde. Der Protestantismus soll
also um eine neue zuchtvolle höhere Ganzheitsbildung
ringen, er soll „sozialistisch" werden. Dagegen wertet
der Verf. die dialektische Theologie nicht als Anbruch
eines Neuen, sondern als letztes Produkt des spätbürgerlichen
Zeitalters.

In neuer Lebendigkeit soll der Protestantismus Anschluß
an die beherrschenden Geistesmächte der Gegenwart
suchen. Diese neue Zeit verlangt nach Autorität
und Führung, ganzheitlicher Lebensordnung; sie verherrlicht
die elementaren Seinsmächte des Blutes und
heldische Haltung verbunden mit tragisch-heroischem
Schicksalsglauben und neuer Mystik. Nun erkennt aber
der Verf., daß dieser Anschluß nicht so leicht ist, weil
diese Wesenszüge der neuen Zeit nicht ohne weiteres
protestantischen Ursprungs sind. Dabei wird ihm die
Frage nach dem Wesen des Protestantismus gestellt.
Hier gerät die Untersuchung in einige Verlegenheit.
„Von einer einheitlichen Wesensbestimtnung des Protestantismus
kann keine Rede sein". Dann aber wird der
Protestantismus als Wille zur radikalen Selbstverantwortung
und zum Unbedingten gekennzeichnet. Diese auch
dem Verf. zu formal erscheinende Charakterisierung wird
dann durch die Behauptung ergänzt: „Protestant sein
heißt: im Glauben stehen." Hier zeigt sich die eigentliche
Schwäche der Untersuchung. Das eigentliche religiöse
Wesen des Protestantismus, die religiöse Eigenentwicklung
des Protestantismus ist zu wenig berücksichtigt
, dagegen tritt genau wie bei den geistesgc»
schichtlichen Untersuchungen von Troeltsch der Protestantismus
als Weltanschauung und Kulturanschauung
in den Vordergrund. Wegweisung für die Zukunft kann
aber doch nur gefunden werden, wenn die eigentlichen
Motive reformatorischer Frömmigkeit in neuer Weise
auf die gegenwärtige weltanschauliche Situation unseres
Volkes ausgerichtet werden. Von hier aus genügt die
negative Parole: Entbürgerlichung nicht. Ebenso kann
man dann auch die geistesgeschichtliche Entwicklung
des Protestantismus nicht mehr so einlinig als Prozeß
der Verbürgerlichung kennzeichnen. Trotz dieser Mängel
hat die Untersuchung mit ihrer klaren und konsequenten
Gedankenführung das große Verdienst, dem gegenwärtigen
Protestantismus mit allem Nachdruck die
Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens
zur gegenwärtigen Kultur und Weltanschauung neu gestellt
zu haben.

Am fruchtbarsten erscheint mir der am Schluß erfolgende
Aufruf zu sein, innerhalb des Protestantismus
im Glauben, in Wahrhaftigkeit und Verantwortung die
Einheit trotz aller Spannungen zu erfassen. „Der bürgerliche
Mensch bringt es nicht fertig, in Spannungen zu
stehen"; er wird zum Doktrinär und ergreift Partei.
Zum Wesen des Protestantismus gehört es aber, die
Kraft aufzubringen, „in Gegensätzen zu stehen und den
Gegner liebend zu umfassen."

Zum Schluß noch eine Frage: Sollen wir als Protestanten
und als Nationalsozialisten den Begriff Bürger
lediglich mit diesem negativen Wertvorzeichen verwenden
und ihn mit diesem einseitigen weltanschaulichen Inhalt
füllen, wie es heute weithin noch geschieht? Sollte das,
was Hans Grimm in seiner kleinen Schrift „Von der
bürgerlichen Ehre und bürgerlichen Notwendigkeit" warnend
über den Ursprung und die Auswirkung dieser
Begriffsverwendung ausgeführt hat, nicht doch zu beacli-