Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1939 Nr. 4

Spalte:

150-151

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Liturgiewissenschaft ; 14 1939

Rezensent:

Schian, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

149

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 4

150

schichtlichen Ordnungen von der Schöpfung aus zu rechtfertigen
und so dem Gericht Gottes zu entziehen, abgeschnitten
. Es ist auch im Gegensatz zu jener naiv-optimistischen
Ordnungstheologie gesehen, daß die weltlichen
Ordnungen, geschichtlich betrachtet, ebenso der
Zerstörung von Leben und Gemeinschaft gedient haben
und dienen als ihrer Erhaltung und schon um dieser
Zweideutigkeit willen eine eindeutige theologische Qualifizierung
nicht begründen können. Dieselbe Frage, die
Th. mit Recht an die Theologie der „Schöpfungsord-
ntingen" stellt, ist nun aber umgekehrt auch an inn zu
richten: Wenn es nicht möglich ist, von der Schöpfung
her bestimmte geschichtliche Ordnungsgebilde als göttliche
Ordnungen zu qualifizieren, was gibt ihm das
Recht, von der erhaltenden Gnade Gottes aus dieselbe
Heraushebung und Qualifikation auszusprechen? Denn
ebenso wie die Aussagen Schöpfung und Sünde auf das
Ganze der geschichtlichen Existenz des Menschen bezogen
weiden müssen und nicht auf Teilgebiete des
Wirklichen verteilt weiden dürfen, so auch die göttliche
Erhaltungsgnade. Die ganze geschichtliche Existenz
ist das Werk der erhaltenden Langmut Gottes, nicht etwa
nur bestimmte geschichtliche Ordnungen. Weiter ist zu
fragen: Woran werden solche besonderen Gnadeiiordnun-
gen Gottes erkannt? Th. antwortet, das wäre allgemein
nicht zu entscheiden, sondern allein aus der konkreten
geschichtlichen Situation. Wir werden also zur Beantwortung
an eine höchst subjektive geschichtliche Kairosdeutung
verwiesen, die den „geschichtstheologisch" gewonnenen
Ordnungsbegriff zum Leitfaden nimmt. Ebenso
bedenklich ist es, wenn die so entdeckten und qualifizierten
Gottesordnungen als „ethische Möglichkeit" für
den Glauben gelten sollen, neben denen es im Räume der
sündigen Geschichtsstruktur offenbar keine andern gibt
also gleichsam als von Gott durch die Wüste der sün-
digen^Geschichte gelegte Schienenwege für die Fahrt des
Glaubens. Die Ordnungen werden damit ebenso wie bei
den Theologen der „Schöpfungsordnungen" in den Rang
ethischer Auslegungen der göttlichen Forderung, ja göttlicher
Gebote erhoben, statt daß die Ordnungen unter
Gottes Gebote gestellt werden. Das N.T. lehnt eine
solche ethische Unterstellung des Christen unter die
•"tor/Eia toO xöofiou eindeutig ab (Gal. 4,9). Es kennt
eine" solche Bindung des Glaubens und der Liebe an
von der erhaltenden Gnade gelassene Reste von Ordnungen
in einer grundsätzlich sündigen Geschichtsstruk-
lur als ethische Möglichkeiten nicht. Im Gegenteil entsteht
die „ethische Möglichkeit" für die Liebe nach
der Schrift eher an der Unordnung, an Sünde und
Schuld (Luc. 10,30; Matth. 5,9.39.44; 6,14 usw.) als
:>n den geschichtlichen Ordnungen. Wenn Th. behauptet,
daß schon um der Geschichtsstruktur willen nur ein relativer
Gehorsam gegen das Liebesgebot möglich sei, der
um seiner Mittelbarkeit willen gerichtet und vergebungsbedürftig
sei, so müßte das auch von dem geschichtlichen
Leben Jesu gelten. Damit wäre die Sündlosigkeit Jesu
(Hebr. 4,14) bestritten. Ebenso läuft Th.'s Satz, die
Geschichtsstruktur schlösse die Erfüllung der Nächstenliebe
aus, auf eine Verneinung der geschichtlichen Existenz
der Kirche (1. Job. 3,14) hinaus.

Damit rühren wir schon an den zentralen Fehler der ganzen Kon-
MPtion, nämlich das Programm einer „evangelischen Geschichtstheologie',
das er mit der von ihm abgelehnten Theologie der Schöpfungsordnungen
,e'lt und um deswillen er, nur auf einem Umwege, praktisch bei demselben
Ergebnis endet wie diese. Es ist ihm nicht gelungen, den entscheidenden
Fehler im Ansatz der Ordnungstheologie zu überwinden.
Tn- hat sich das Ziel gesetzt, die Sünde als überindividuelles Faktum an
der Geschichtsstruktur aufzuzeigen, die er zunächst auf philosophisch-
Phänomenologischem Wege feststellt. Er unternimmt also den unmöglichen
Versuch, das Gerichtsurteil Gottes über den Menschen und seine Geschichte
nachträglich an der Geschichte in seiner Richtigkeit zu erweisen. Eine
s°lche nachprüfende Stellung kann der Mensch auch als Theologe dem
Bericht Gottes gegenüber nicht einnehmen. Die Aufgabe des Theologen
tann nur in der Erkenntnis des göttlichen Gcrichtswoites bestehen. Daß
*ir vor Gott restlos Sünder sind, kann nur dem Worte Gottes geglaubt
<v8l. Luther, Römerbricfvorlcsung, Ficker II, S. 69,8-14), nicht aber
aus der anthropologischen oder geschichtlichen Wirklichkeit begründet

werden. Th's. Unternehmen wird dadurch nicht legitimer, daß es angeblich
„von der Offenbarung aus" oder „im Glauben" vollzogen werden
soll. Jene „Geschichtstheologie" ist nämlich nichts anderes als die
Unterwerfung der Offenbarung Gottes unter eine menschlich-geschichts-
I philosophische Fragestellung. Die Theologie liegt nicht in der Verlängerung
der Philosophie, etwa unter Einschaltung einer göttlichen Erkenntnisquelle
. Das Wort Gottes ist nicht ein Ausgangspunkt, „vor. dem
I aus" man dann theologisch über Natur, Mensch, Geschichte und noch
j einige andere Themen reden könnte. Gott in seinem offenbarenden Wort
ist nicht nur die einzige Erkenntnisquelle der Theologie, sondern auch
J ihr einziger Gegenstand. Selbstverständlich wird die Theologie
auch von der Natur, vom Menschen und von der Geschichte reden, so-
[ fern eben das Wort Gottes fleischgeworden ist und den geschichtlichen
! Menschen anredet, ihn richtet, begnadigt, und ihm Verheißung gibt,
■ aber auch dann bleibt das Wort Gottes das theologische Thema, nie-
j mals kann aber die Natur, der Mensch oder die Geschichte „von der
| Offenbarung aus" in Form einer „Natur-" oder „Geschichtstheologie"
zum selbständigen theologischen Thema werden. Die theologischen Aussagen
z. B. über die Geschichte finden da ihre Grenzen, wo es nicht
mehr um den Charakter geht, den sie durch das Wort Gottes erhält
, sondern die Geschichte an sich Erkenntnisgegenstand sein soll.
Wird diese Grenze nach der Seite theologischer Geschichtsdeutung über-
i schritten (auch wenn man dabei nur die „Struktur" im Auge hat), so
werden alle theologischen Aussagen, mögen sie als solche durchaus richtig
sein, geschichtsphilosophisch umgedeutet, wie man das an Th's. Buch
| reichlich studieren kann. Das hervorstechendste Beispiel ist wohl seine
Deutung der „unbedingten Forderung Gottes" nach der Bergpredigt. Er
| meint, wenn wir den Nächsten im Sinne der Bergpredigt liebten, so
„endete die Bewegung des Menschenlebens in der Starre der Unproduktivst
und im Hungertode" (S. 39). Hier werden ähnlich wie bei Tolstoi
die Forderungen der Bergpredigt aus der Einheit, des Wortes Gottes
herausgenommen und zum utopischen Moralgesetz umgedeutet, durch
dessen Undurchführbarkeit in der Geschichte die Geschichtsstruktur gerichtet
sein soll. Die Forderungen der Bergpredigt sind nicht eschato-
| logische Forderungen in einem die Geschichte verneinenden futurischen
Sinne, sondern setzen gerade die geschichtliche Situation der Jüngergemeinde
voraus und haben überhaupt nur im geschichtlichen Rahmen
Sinn. Sie dürfen eben nur nicht vom Herrschaftsanspruch Jesu Christi
(Matth. 5, 22. 28. 32. 34. 39. 44; 7, 24. 26. 29.) getrennt werden. Weiter
wäre zu zeigen, wie bei Th. der Begriff der Sünde als „Selbstseinwollen"
aus seiner strengen Gottbezogenheit herausgelöst und dadurch umgedeutet
wird, um als geschichtsphilosophisches Deutungsprinzip dienen und an
der Geschichtsstruktur direkt anschaulich werden zu können. Als Feindschaft
gegen Gott kann die Sünde in der Geschichte nur mittelbar,
zeichenhaft anschaulich werden. Es gibt nur eine Stelle, an der die
Sünde als solche für den Glauben geschichtlich sichtbar wird : das Kreuz
Jesu Christi.

Der wissenschaftliche Wert des Buches besteht vor
allem darin, daß in ihm ein falscher Ansatz in einer bisher
nicht erreichten Tiefe durchgeführt und ausgeschöpft
ist, daß die theologiegeschichtliche Fehlentwicklung, aus
der es stammt, in ihrer Wurzel erkannt und abgebrochen
werden kann. Erst eine theologische Ethik, die jeder
„Theologie der Ordnungen" oder „Geschichtstheologie"
restlos den Abschied gibt und bei der Auslegung der
Gebote Gottes ansetzt, wird auf das brennende Ordnungsproblem
eine befriedigende Antwort geben können.
Halle a. S. Werner Wiesn er

LITURGIEWISSENSCHAFT

Casel.Odo: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft hrsg. Bd. 14. Mit
Literaturbericht 1934. Münster: Aschendorff 119381. (584 S.) 4° = Ver-
öffentl.d. Vereinsz.Pfleged.Liturgiewissensch. RM 27.75; geb. RM 29.75.
Mit einiger Verzögerung aber in der üblichen Gestalt und in der

! gewohnten Gediegenheit ist Bd. 14 erschienen. Billig verdient der Leit-

j aufsatz des Hrsgbr.s hervorgehoben zu werden; auf 78 S. gr. 8° bespricht
er Art und Sinn der ältesten christlichen Osterfeier.

I Wer diese Untersuchung liest, wird ohne weiteres die Meinung teilen,
daß auch nach den Arbeiten von Ed. Schwartz, C. Schmidt, H. Koch',
F. E. Brightman eine solche Darstellung notwendig war, zumal sie
einen Sonderzweck verfolgt: Art und Sinn des Festes herauszustellen,

! während die anderen Fragen hier beiseite bleiben. Casel stellt zunächst
die Quellenzeugnisse in chronologischer Folge zusammen und
gibt dazu die nötigen Bemerkungen; ein 2. Teil faßt die Ergebnisse

' zusammen. So erhält der Leser die Möglichkeit der Nachprüfung. Das
Hauptergebnis formuliert C. so: „Das Osterfest ist also die kultische

| Verkündigung und Gegenwärtigsetzung der Erlösungstat Christi in Tod
und Verklärung des Herrn, der Überwindung der Sünde durch das
Kreuz und damit der Versöhnung zwischen Gott und Mensch, somit

j auch der Gründung der Ekklesia____" Zum Schluß der überaus inhaltreichen
Abhandlung gibt C. Bemerkungen über die Osterfeier nach dem