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Ausgabe:

1939 Nr. 4

Spalte:

144-145

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schleiff, Arnold

Titel/Untertitel:

Selbstkritik der lutherischen Kirchen im 17. Jahrhundert 1939

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 4

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mals das Konzilsprotokoll aus der Feder des Pierre Bru-
net gedacht, das dann mit seiner Parallelüberlieferung in
der Tat die Bände II, III und IV füllte und zeitlich von I
1431 bis 1436 reicht. Von ähnlicher Bedeutung sind aber
auch die noch von Haller abgeschriebenen und von Beck-
mann in dem Doppelband VI herausgegebenen Concor-
data des Zwölfer-Ausschusses und besonders der Proto- i
kolle Hüglins für die Jahre 1436 und 37; Hüglin ist anscheinend
an Brunets Stelle getreten und wurde später !
ausdrücklich als erster Konzilsnotar bezeichnet. Über die j
ganze Reihe dieser Protokolle und ihre Berührung mit
der nicht mehr aktenmäßigen Gattung der Tagebücher
hat sich Sebastian Merkle wiederholt im Historischen
Jahrbuch der Görres-Gesellschaft ausgesprochen, und ich
selbst habe das darin liegende Problem in dieser Litera- !
turzeitung, besonders 1904 Sp. 561 f., auch bei Anzeige j
der Trienter Konzilsakten in der Historischen Zeitschrift |
113, S. 120 erörtert.

Die übrigen Bände (I, V und VII) enthalten Tagebücher
und Akten. Diesen Bänden schließt sich der vor- I
liegende mit seinem etwas bunten Inhalt durchaus ebenbürtig
an. Die kleine Beschreibung Basels durch den
Konzilssekretär und späteren Papst Enea Silvio behält
ihren Platz neben dessen Epistola über Basel, die im
fünften Band veröffentlicht worden war. Die Stallrech-
Hungen des Kardinals Alemaii gehören zur äußeren Geschichte
des Konzils, und die französischen Protokolle
über die Besprechungen von Lyon und Genf behandeln
schließlich eine Nebenfrage, haben auch nicht sogleich
zum Erfolg geführt. Der schon 1928 verstorbene Gabriel
Perouse hat dazu noch seine französische Einleitung
geschrieben, die das Nötigste enthält.

So bleibt die Hauptsache dieses Bandes der erste j
Teil, der mit dem Titel von Handakten des Konzilspräsidenten
eigentlich zu viel erwarten läßt. Es sind doch nur
versprengte und später ungeordnet zusammengebundene
Stücke, die allerdings, wie zahlreiche eigenhändige Glossen
erkennen lassen, aus dem Nachlaß Cesarinis stammen
, uns aus dem Besitz des Nicolaus Cusanus überliefert
sind und heute als Codex 168 mit dessen übrigem |
Nachlaß im Hospital von Cues, gegenüber Berncastel,
ruhen. Bezüglich der Handschrift wird S. 4 auf Marx,
Verzeichnis der Handschriftensammlung des Hospitals
von Cues (1905) verwiesen, doch das Nötigste wiederholt
. Ein Licht auf die Entstehung wenigstens eines
Teiles dieser kleinen Sammlung fällt durch die Feststellung
, daß sich „Ende Februar 1435 Cesarini mit Genehmigung
der Synode für drei Wochen in die Karthause
von Klein-Basel zurückzog, um dort ungestört sich der
Ausarbeitung eines großen Reformentwurfes widmen zu
können. An die Konzilsväter ging die Aufforderung,
wer zweckmäßige Vorschläge zu machen habe, möge sie
Cesarini einreichen." Eine der hier abgedruckten Denkschriften
, die des Guillaume Maurel, Praeceptor von
Nimes, bezieht sich ausdrücklich darauf mit den Worten:
ut quicunque haberent avisamenta in facto reformacionis,
illa haberent dare eidein paternitati. Ja, dasselbe Stück
gibt (S. 169) zu der Wendung: quod per alium fiat
quam per paternitatein vestram die Glosse: exhortatur
ine ad rejonnationein von der Hand des Cesarini. Wir
wissen, daß der Kardinal an die Arbeit ging, aber wir
besitzen leider nicht den Text seines Reformationsent- |
wurfes. Es ist aber doch überaus lehrreich zu sehen, aus
welcher Art Material er sich zusammensetzte. Der Wert
dieser meist im Original erhaltenen Stücke, die trotz ihrer
Falten und Siegelreste, wie gesagt, erst nachträglich zu j
einem Bande vereinigt wurden, ist sehr ungleich. Die
Einleitung Dannenbauers gibt eine gute Führung durch
diese Stücke. Die Texte weisen eine ziemliche Menge
von Druckfehlern auf, wie schon R. Scholz bei seiner Be- j
sprechung in der Historischen Zeitschrift 158, S. 367 f.
angemerkt hat. Die Druckfehler sind auch in der Einleitung
lästig, wo etwa in der Verweisung auf die Denkschrift
des Guillaume Maurel (S. 5, Anm. 3) nicht Nr.
10, in dessen § 6 man vergebens herumsucht, sondern
Nr. 19 zu lesen ist.

Die Einleitung Dannenbauers nimmt S. 28 f. die Frage
wieder auf, mit der einst Haller den ersten Band des
Concilium Basiiiense eingeleitet hatte, ob nämlich die
ganze Arbeit des Konzils nicht vergebens gewesen und
deshalb die Beschäftigung mit ihm überflüssig sei. Ich
kann den beiden Tübinger Historikern in der Verteidigung
ihres Stoffes wie in der Abgrenzung gegen die
deutsche Reformation nur beipflichten. Die geistige Arbeit
von Basel war durchaus respektabel und der Vergleich
mit Trient ist berechtigt. Daß die Arbeil nicht
in einem neuen Geiste geschah, darf auch nicht darüber
täuschen, daß die Bewältigung kirchenrechtlicher Probleme
noch zu allen Zeiten unendliche Schwierigkeiten
aufwies, wie gerade auch die Frühgeschichte der Kirchen
der Reformation zeigen sollte.

Güttingen Karl Brandi

Schleift, Dr. Arnold: Selbstkritik der lutherischen Kirchen
im 17. Jahrhundert. Berlin: Junker und Diinnhaupt 1937. (219 S.)
gr. 8° = Neue Deutsche Forschungen. Abt. Religions- und Kirchengeschichte
. Hrsg. v. E. Benz und E. Seeberg. Bd. 6. RM 9.50.

Die Schrift zeigt, wie Luthers Reformation unvollendet
geblieben war, und wie in der Barockzeit das heiße
Sehnen der Besten nach der einen Kirche ging. Das Buch
ist also ein Zeugnis von der enttäuschten Sehnsucht nach
der einen Kirche, am Ende dieser Zeit steht die praktische
Resignation Speners, die durch treue Arbeit im
kleinsten Kreise sich rüstete für die künftige Verwirklichung
des großen Traumes. In einer Zeit, in der die
Kirchenfrage wieder brennend ist, kann ein solches Buch
nur dankbar begrüßt werden. An den Sehnsuchtsmenschen
der Barockzeit, die nicht wiederkehren, können wir
doch bestimmte Anliegen ablesen, die auch heute wieder
die unsern sind: Reformation, Einheit der Kirche, Gottes
Reich. Es ist nun nicht möglich, die überaus sorgfältige,
auf umfangreicher Belesenheit ruhende Arbeit so zu referieren
, daß all die genannten Motive zu Wort kommen,
es kann sich nur darum handeln, eine große einheitliche
Linie herauszustellen. Das ist umso nötiger, als man
vielleicht den einen Wunsch nicht voll erfüllt findet, daß
der Ertrag der reichen Zitate schärfer in Thesen herausgestellt
und in seinem systematischen Einheitszug deutlicher
gemacht worden wäre. So ertrinkt man etwas in
dem Zitatenschatz.

Die enttäuschte Sehnsucht nach der einen
Kirche ist also das Thema des Buches. Über die Konfessionskirchen
hinweg zieht das Sehnen der vier großen
Gruppen, in denen sich das damalige geistige und religiöse
Leben verkörpert: Lutheraner, Humanisten, Pan-
sophen und Spiritualisten. Man ist sich in diesen Kreisen
in der Kritik einig, daß die bestehenden Kirchen das
nicht sind, was man von der Kirche Christi erwarten
müßte. Entartung des sittlichen Lebens, dogmatische
Starrheit, Aufspaltung in Parteien, Betonung des Buchstabenglaubens
und Versagen in der praktischen Liebe,
das sind so die Klagen und Anklagen aller Gruppen.
Am schlichtesten sind die Wünsche der L u t h e r an e r
und der Humanisten: energische Besserung durch
eine neue Reformation, wobei die Wünsche für die Gestaltung
der Reformation auseinander gehen. Im Simpli-
zissimus findet das Wort Reformation einen träumerisch-
sehnsüchtigen Ausdruck. Ein Held soll die ganze Welt
reformieren, die Götter weiden nur teutsch reden, und
alle Welt wird sich freiwillig unter das Zepter des deutschen
Kaisers beugen. Der Held wird den religiösen
Streit beseitigen, er wird „in rechter Einhelligkeit die
rechte, wahre, heilige und christliche Religion der heiligen
Schrift, der uralten Tradition und der anerkannten
heiligen Väter Meinung gemäß" festlegen. Andere, es
waren die mehr humanistischen Kreise, erhofften die Lösung
der Konfessionsfrage von einem Vergleich. Der
Preis dafür war zu hoch, die Aufgabe des Wachsens im
Glauben, der Offenbarung, die heller und heller wird.

Schleift kennzeichnet die geistige Haltung der Patt«
sophen. Sie wollten in gleicher Weise im Buch der
Bibel und im Buch der Natur lesen. Sie erstrebten die