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Ausgabe:

1939 Nr. 4

Spalte:

125-127

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nyberg, Henrik S.

Titel/Untertitel:

Die Religionen des Alten Iran 1939

Rezensent:

Abramowski, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 4

12G

These der spätzeitlichen, universalreligiösen Vereinzelung
des Gläubigen. Denn indem auch die Ethik individualistisch
wird und zugleich universale Geltung beansprucht,
entsteht jene ungeheure weltreligiöse Spannung zwischen
Individualismus und Universalismus, zwischen dem Ich
und der Menschheit, die heute an ilirer Überspannung
zerreißt. (Der ganze ideologische Weltzwiespalt unserer (
Tage führt wesentlich hierauf zurück). Wenn M. in
diesem Abschnitt sich überwiegend auf ein Werk des
holländischen Religionshistorikers van der Leeuw be- j
ruft, so wollen wir freilich nicht übersehen, wie wesentliche
Vorarbeit für die „anthropologische" Erfas- !
sung des früh- und spatzeitlichen Lebenstypus von deut- |
sehen Forschern, z. B. auch von dem fast nur verketzerten
Karl Lamprecht geleistet worden ist (etwa in der
Analyse der subjektivistischen Zeitalter; auch Kurt Brey-
sig müßte hier genannt werden).

Ein höchst konzentrierter Schlußteil über die Absolutheitsausprüche
der Religionen beendet das Buch, j
Uns scheint darin wichtiges auch in prognostischer Hinsicht
enthalten zu sein. Es ist wahrscheinlich, da» die
..inklusive Absohitheit" auch für das Abendland eine
unausweichliche Plattform ist, auf der es seine Christen- i
tumskrise überwinden könnte. Beruht die Weltrcligion j
auf einer bestimmten „anthropologischen" bntvvicklungs- (
stufe, so ist sie im Kern „irreversibel", unumkehrbar, j
d- h. unmöglich in eigentliche Volksreligion zurückver- j
wandelbar. Wenigstens nicht ohne Preisgabe der ge- I
samten, mit ihr entstandenen Kultur. Sondern es gibt nur
ein universales Hinaus über ihren Kriscnstand (wie es 1
z- B. tastend in der Kategorie der „Gottgläubigkeit"
— der „schlechthinnigen", könnte man sagen — gesucht
wird). Wissenschaftlich erblicken wir iiier große,
schwere Aufgaben der Völkerpsychologie, namentlich hin- !
sichtlich der Aufhellung des Verhältnisses neuer „Früh"-
stufun zu ablaufenden Spätzeiten (der Fall aller Revolutionen
und Reformationen!)

Menschings kaum 00 eigentliche Textseiten bersten
schier vor Inhaltsfülle. Die Problematik ist ebenso umfassend
wie durchsichtig gestellt in dieser „Schrift",
deren Wert man am richtigsten bezeichnet, wenn man
sie nennt, was sie in Wahrheit ist: ein Werk.
Heidelberg W. Hellpach

Nyberg, Prof. Dr. H.S.: Die Religionen des alten Iran. Deutsch
von H. H. Schaeder. Leipzig: J. C. Hinrichs Verlag 1938. (X, I
506 S.) gr. 8° = Mitt. d. Vorderasiatisch -Aegyptischen Gesellschaft,
43. Bd. RM 25— j

Eine orientalistische Arbeit nach der andern kommt
vom Norden her zu uns — ich meine neben Nybergs
großem Werk etwa auch Tor Andraes Mohammed oder
^hristensens Iran — und eine jede bedeutet einen Zu- j
wachs an neuem Material und einen Markstein im Ver- I
ständnis des Orients. Dazu wird das Spezialgebiet bereichert
und geklärt, selbst der Lexikograph und Grammatiker
kann noch einige Neuigkeiten herauspflücken,
l'nd es fällt endlich ein heller Schein auch auf
d'e großen Geistes- und geschichtlichen Linien, um die
wir uns alle bemühen. Durch diese rege, fruchtbare
Tätigkeit verdienen sich die skandinavischen Gelehrten
den lebhaften Dank der Geistesarbeiter in aller Welt.

Wenn H. H. Schaeder selbst die Übersetzung von 1
Nybergs schwedischer Ausgabe in die Hand genom-
■nen hat, wenn zudem der Verlag Hinrichs in unserer j
rationalisierenden Zeit 31 Bogen an dies nicht eben I
Populäre Werk wendete, so ist das im Grunde schon
Empfehlung genug. Dennoch mag es gestattet sein, aus
dem Bestände des Buches selbst einiges aufzuführen,
was bei der ausführlichen Beschäftigung mit ihm auf- i
fiel und auch viele andere zu seiner Benutzung1 an- |
•egen mag.

Wer ehedem in den religionsgeschichtlichen Kompendien sich über
d'e iranische Religion orientieren wollte, geriet meist an eine solche
Fülle des Fernliegenden, Unverständlichen und in sich Widerspruchsvollen
, daß er sein Bemühen bald wieder aufgab. Freilich liegen die
Dl"ge auch schwierig genug. Das Material zur Religion Irans wird bekanntlich
von drei Seiten dargeboten: von der griechisch-römischen Literatur
, von dem syrisch-arabisch-neupersischen Sprachgebiet und von
den altarischen Urkunden Irans und Indiens. Es erscheint unvorstellbar,
daß ein Gelehrter diese drei Riesengebiete gleichmäßig überschauen und
damit ein abgerundetes Bild geben könnte. Daher die Resignation des
Lesers.

Seit den letzten beiden Jahrzehnten steht es freilich völlig anders.
Nun erscheint die Zarathustrareligion als das Allernächste. Bousset und
Reitzenstein, Ed. Meyer und A. von Gall haben uns die Augen für ihre
Zusammenhänge mit der apokalyptischen Seite der biblischen Weltbetrachtung
zu öffnen gesucht. Sacharja und Daniel, der Epheserbrief und
die Offenbarung, der Menschensohn und der Hochbetagte scheinen einstimmig
nach dem Iran zu weisen.

Das erste, was an Nybergs Werk auffällt, ist dies, daß der Verf.
auf die biblische Analogie zumeist verzichtet; er hat den Mut, dieses
Modeproblem auszulassen. Dabei schließt er die geräuschvoll geöffnete
Tür nicht umständlich wieder zu (vgl. vielmehr etwa S. 61). Aber er
benutzt sie picht und deutet an, daß die Pforte recht schmal ist. Die
wichtige Vergleichsstelle zu Ues. 37 aus Yast XIII wird von ihm völlig
umgedeutet. Die geläufige Zarathustrabiographie aus Denkart VIII wird
zur Legende erklärt (S. 45 ff.) und die geschichtliche Heimat des Religionsstifters
fern von Raga und Azerbeidschan nach dem Osten, nach
Chwarizm östlich des Aralsees verlegt. Das glänzende, dem Nichtfach-
mann zugänglichste Kapitel 7 „Die religiösen Verhältnisse im Westen"
baut diese überraschende These dahin aus, daß die Religion der Achä-
meniden nicht die klassische Zarathustrareligion war (S. 356ff.) „Kyros'
Auftreten in Babylonien ist typisch für einen König, der, aufgewachsen
in einem primitiven religiösen Milieu ohne festere Konturen und ohne
Stütze an einer mächtigen Stifterpersönlichkeit, plötzlich vor eine hoch
entwickelte Kultnrreligion gestellt wird, die mit einem starken politischen
System eng verbunden ist und durch drückende und ehrfurchtgebietende
Pracht alter Formen wirkt" (S. 348). Erst unter Xerxcs ist ein gewisser
Einbruch des Zoroastrismus festzustellen. Aber im Ganzen gilt: die
Achämenidenreligion „ist von Zarathustras Werk und dem besonderen
Glauben seiner Gemeinde unberührt. . . Sie ist die vierte große iranische
Religionsbildung neben der Mithra-Religion, dem Zoroastrismus und der
Religion der Magier; ihrem Geist nach steht sie der ersten am nächsten"
(S. 372 ff.).

Wie verblassen demgegenüber unsere alttestamentlichen Interpretationen
, die nicht nur über Kyros sondern auch über Deuterojesajas das
Licht Zarathustrischcn Glaubens leuchten sahen! Wie perspektivisch
wird die iranische Religionsgeschichte, die wir bisher nur allzu flächen-
haft vom Zweistromland her erschauten !

Denn das ist nun das Zweite, für den Gegenstand selbst Wichtigere.
Nyberg stellt sich (S. 17) die Frage: hatte das alte Iran eine oder mehrere
Religionen? und kommt zu dem völlig neuen Ergebnis: die Gathas
hallen vom Anfang bis zum Ende wider von einem gewaltsamen Kampf
zwischen zwei Religionsformen (S. 50). Aus alten Bestandteilen der
Yast ist für Ostiran die Mi t h ragemei n d e zu erschließen, in der
nicht Ahura Mazdäh sondern Mithra der oberste Gott ist. Mit viel Sorgfalt
wird aus den Texten die ihn umgebende Götter- und Glaubenswelt
herausgestellt (S. 62 ff.) „Das wichtigste Moment in diesem Kult ist das
Trinken des alten arischen Rauschtrankes, des haoma, im Verein mit dem
Schlachten und Veizehren von Stieren bei nächtlichen orgiastischen
Opferfesten." (S. 51). Läßt sich die Mithrareligion einigermaßen klarstellen
, so macht die feste Erfassung der O a t h a g e m e i n d e die größten
Schwierigkeiten, da ihre Religion zunächst unter Absehung von der
zarathustrischcn Reform gezeichnet werden muß. Hier steht der Verfasser
vor der Aufgabe, die Fülle der anscheinend abstrakten Ausdrücke,
die in dem mit Ahura mazdäh abschließenden Religionssystem maßgebend
sind, zu klären und kommt zu dem Schluß, daß wir es hier mit
einer ekstatischen Religion und einer Mysteriengemeinschaft zu tun haben
(S. 160). Wichtig ist der Begriff maga, Sangschar und Kultraum zugleich
bezeichnend, und das Ordal. „Um diese beiden gruppieren sich
die ganze Mythologie, die ganze Theologie und alle Riten . . . Die
Gottheiten des gathischen Pantheons haben in ihnen ihre eigentlichen
Funktionen" (S. 187). Wenn zum Vergleich für die Mithragemeinde
afrikanische Religionen, in denen die Dynastie und ihr lebender Vertreter
göttliche Ehren genießen, herangezogen werden (S. 76ff.), so geschieht
die religionsgeschichtliche Orientierung hier am Schamanismus
in aller Welt (S. 166ff.).

Zarathustra, der als berufsmäßiger Ekstatiker zu verstehen ist (S.
264ff.), gehört der Gathagemeinde gerade zu der Zeit an, als die Mithrareligion
sie völlig zu durchdringen scheint. Er muß zu den skythi-
schen Turastämmen flüchten und betritt den Weg synkretistischer Religionspolitik
(S. 250 ff.) Sein eigener Eintrag in die Verschmelzung der
älteren Religionsformen ist dabei ein apokalyptisches System. Es gelingt
die Stiftung der neuen Religionsform des Zoroastrismus, in der
der Stifter selbst als erster Priester und Vollender steht.

Wir können hier nur die elementarsten Linien der
Nybergschen „Programmschrift" (S. VI) darlegen. Was
er über das Awesta als Buch, über die Magier, über
Mani sagt, — was er vor allem an Exegese des Awesta,
des Herodot, der Achämenideninschriften gibt, kann nicht