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Ausgabe:

1939 Nr. 4

Spalte:

123-125

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mensching, Gustav

Titel/Untertitel:

Volksreligion und Weltreligion 1939

Rezensent:

Hellpach, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 4

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Vorstellungen und Gestalten im Rahmen der sie einbauenden
Religion in ganz neue Sinnzusammenhänge
gestellt werden. Und drittens ist zu beachten, daß die
Übernahme und Umdeutung bloße Umnennung von
tatsächlich religiös sich gleichbleibenden religionsgeschichtlichen
Gegebenheiten ist. Dieser letzte Tatbestand
aber kann sich m. E. auf dreifache Weise ergeben:
einerseits findet bloße Umnennung statt, wenn ganz
bewußt z. B. dem Indianer oder Neger von katholischer
Mission „statt seines abergläubischen Amuletts
ein Medaillon Unserer lieben Frau" (H. Fischer, Jesu
letzter Wille, Steyl. 4. A. 1912, 92) umgehängt wird;
andererseits ergibt sich derselbe Tatbestand unbeabsichtigt
dadurch, daß zwar eine religiöse Umdeutung im
ersten Sinne versucht wurde und offiziell in Geltung ist,
praktisch aber nicht durchdrang. So blieb es weithin
im Bereich der neuen Religion bei einer solchen Umnennung
der alten Intentionen. Eine bloße Modifikation
dieser zweiten Form liegt endlich vor, wenn uralte religiöse
oder unterreligiöse (magische) Tendenzen durch
die aufgezwungene Umdeutung wieder durchschlagen.
Das ist z. B. im katholischen Heiligenkult der Fall.

Bonn Gustav Mensching

Menschin g, Prof. Dr. Gustav: Volksreligion und Weltreligion.

Leipzig: J. C. Hinrichs Verlag [1938]. (76 S.) 8°. RM 1.80

Kann es in einem völkischen Zeitalter Weltreligion
geben? Ist es möglich, auf die Fragen nach den „letzten
Dingen" (denn darum geht alle wirkliche Religion),
d. h. nach dem letzten Urgrund und Zwecksinn des
Daseins, nach dem wahren Heil und der höchsten
Pflicht universale Antworten hinzunehmen oder neu-
zufinden, während für alle Geltungen sonst die nationalen
Maßstäbe als die obersten autgerichtet werden
? — Dies ist die Krisenfrage der überkommenen
Religionen, vor die sie alle gestellt sind, die christliche
voran, weil im Bereich ihrer profanen Hauptkulturschöpfung
, des „Abendlandes", der „eurikanischen"
(= europäisch-amerikanischen) Welt der bewußte Nationalismus
am ältesten und darum am reifsten und anspruchsbestimmtesten
ist. (Das andere Krisen-Polfeld:
wieweit in einem Zeitalter von Naturerkenntnis und Naturbeherrschung
die Geltung des Übernatürlichen sich
halten läßt, an Schwergewicht jenem ebenbürtig — hat
uns hier nicht zu befassen). Mensching packt in seiner
Schrift den Stier bei den Hörnern- Gerade dies erweckt
sofort Zutrauen zu ihm; denn Zutrauen schafft in der
Wissenschaft jede klare Fragestellung; hier sind sogar
eindeutige Fragestellungen mit eindeutig irrigen Antworten
immer noch fruchtbarer, als vieldeutige Fragestellungen
mit teilrichtigen oder scheinrichtigen Antworten.

M. unterscheidet zwei Stufen der Volksreligion: die
naturreligiöse und die kulturreligiöse; beide sind Erscheinungsformen
der „Frühzeit"; jenseits beider erst
tritt die Weltreligion als neue Erscheinungsform der Kulturreligion
auf, Kind der Spätzeit, nicht aus einem Volke
(wie die Volkskulturreligion) herauswachsend, sondern
von Einzelnen gestiftet und dann Völker, ja ganze Völkerkreise
und oft durchaus stiftervolksfremde Völkerkreise
sich erobernd. Wir setzen ein Fragezeichen hinter
den neuartigen Gebrauch der Bezeichnung „Naturreligionen
". Wir würden diese Glaubensgebilde der primitiven
Völkerwelt lieber „Völkerschaftsreligionen" oder
noch lieber „Vorreligion" nennen, aus der sich erst mit
einem bestimmten Kulturgrade „Völkerreligionen" entfalten
(oder auch nicht entfalten). Zweierlei hebt aber
der Verf. hier schon richtig und wichtig heraus: alle
irgendwie geartete Religion (auch die „Vorreligion") ist
Überzeugung von einer andern Welt (dieses dualistische
Moment bleibt mindestens als Ferment jeder
Religion erhalten, sonst hört sie auf, eine solche zu sein:
der Pantheismus, als Religion durchaus wesensecht, hört
auf Religion zu sein, wo er versucht, strenger „Monismus
" zu werden, dann ist er nur noch Irreligion) —
und alle Religion, auch schon die Vorreligion, erhebt
einen Absolutheitsanspruch, z. B. unbedingte Geltung

j für die eigene Völkerschaft (den „Stamm"); M. nennt
das sehr gut „intensive Absolutheit", im Unterschied
von der „extensiven Absolutheit", welche die Geltung
der eigenen Glaubensinhalte auch für andere Völker,
ja für alle Menschen aufrichtet. Jene intensive Absolutheit
ist zugleich „exklusiv", d. h. sie schließt (in
der Regel wenigstens) für sich die Geltungen, die
bei andern Völkern in Kraft stehen, aus, lehnt sie für

; sich ab, behandelt sie u. U. feindlich. Wiederum ganz
vortrefflich scheidet M. von dieser exklusiven Absolutheit
(welche auch die höchst extensiven Absolutierun-
gen des Christentums und Islam kennzeichnet) eine
„inklusive Absolutheit", welche andere Religionen, Götter
, Riten als Vorstudien, Vorläufer von sich selber
achtet und sogar in sich aufnimmt und bei sich duldet;
sie ist für die Haltung Hinterasiens, namentlich der
indochinesischen Glaubensgebäude, aber auch für die
römische Religiosität kennzeichnend, in diesem Falle
kann ein Mensch mehreren Religionen oder Konfessionen
zugleich angehören.

M. schildert nun sehr anschaulich das Wesen der
„Volkskulturreligion" am germanischen, am japanischen
und am israelitischen Beispiel. An sicli vielleicht der
Grönbechschen These zu willig folgend, weist er (im

| Unterschied von Gr.) doch mit Recht auf den durchaus
sakralen, nicht etwa profanen Lebensbewußtseinscharakter
der „Sippen - H e i 1 - Vorstellung" in den nordischen
Religionen hin, wenn auch das Sakrale hier wesentlich
lebensordnungsimmanent, noch besser vielleicht „cis-
cendent" zu nennen, bleibt, während die Gottheit
der Israeliten unbedingt transcendent ist. Jahve ist
der jenseitigste Volksgott, der sich erdenken läßt. Die
Krise der israelitischen Religion tritt damit ein, daß
die Propheten zwar diesen Gott universalisieren, ihm
extensive und exklusive Absolutheit beilegen, daß aber
die amtspriesterliche wie die volksmäßige Gläubigkeit
zugleich die intensive und exklusive Absolutheit dieser
Gottheit aufrechterhalten will (aus der unlöslichen Antinomie
dieser doppelten Buchführung ist auch die Existenzkrise
des heutigen Weltjudentums wieder aufgebrochen
; nach den Propheten hat Israel noch zweimal
die „Stunde" aufrichtiger Universalisierung in den Wind
geschlagen, mit der Hinrichtung Jesu und mit der Ausstoßung
Spinozas; D. Rez.).

Im Abschn. II untersucht M. nun die Weltreligionsstruktur
. Auch da wählt er denselben knappen,
in kurze, bezifferte Absätze (oft von thesenhafter Prägnanz
) geteilten Darstellungsstil, der jedes Herumreden
I um die Kerndinge ausschließt. Wir möchten das als
| einen hohen Vorzug der Schrift besonders anmerken.
I Das Spätzeitliche der Weltreligionen tut sich in der
I zentralen Position kund, die in ihnen der Einzelne, das
Menschenindividuum einnimmt. Von Einzelnen geschaffen
, stellen sie das Heil jedes Einzelnen in den Brenn-
j punkt ihrer Lehre und Forderung. Die Ausführungen
j auf S. 35 ff. gehören zu dem Besten, was über diese
J schwierigen Fragen überhaupt gesagt werden kann. M.
( verfolgt den Gang der Weltreligion „vom völkischen
Ursprungsgebiet über die nationale Entschränkung zu
; völkisch differenzierter Bestimmtheit" (S. 37). Zwei-
i drittel des Menschengeschlechts hängen „Fremdreligionen
" an, wenn man die Sache völkisch betrachtet.
(Wir fügen hinzu: trotz der vielfachen völkischen Differenzierung
, die stattgefunden hat, bringt der moderne
Nationalismus, das Fremde in diesen Weltreligionen den
Völkern so stark zum Bewußtsein, daß eben hieraus
die heutige „ökumenische Religionskrise" aller Weltreligionen
mit resultiert.) In dem wichtigen Abschnitt
über „Konfessionsbildung" vermissen wir nun freilich
gerade das „völkertümliche" Moment, das hierin sich
mit auswirkt. Die Konfessioneubildung im Christentum
ist unverkennbar davon mitgestaltet worden: der Protestantismus
germanische, der römische Katholizismus romanische
, die morgenländische Kirche slawische Hauptform
. Höchst fruchtbar erweist sich aber weiterhin die