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Ausgabe:

1939

Spalte:

121-123

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bertholet, Alfred

Titel/Untertitel:

Über kultische Motivverschiebungen 1939

Rezensent:

Mensching, Gustav

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ersten Abend seines Aufenthaltes in Jerusalem verhaftet. ' die grundlegende Arbeit der religionsgeschichtlichen Ein-
Das Weinberggleichnis ist das Bekenntnis Jesu vom zelforschung voraussetzend ohne in sie hineinzureden,
Reich Gottes als dem Reich der Gläubigen, das jetzt jenseits dieser Sondergebiete liegt, denn es ist das Geschon
vorhanden ist, Jesus hat sich über den Termin biet der inneren Beziehungen der Religionen, ihrer Le-
des Endes nicht getäuscht. Das letzte Mahl war das beiisdynamik und deren Gesetzmäßigkeiten. Dali die
Mahl in Bethanien, das „Abendmahl" stammt von Pau- damit umschriebene Arbeit moderner Religionswissen-
lus und steht erst in der Quelle C. Über den Prozeß schaff eine höchst komplizierte Aufgabe ist, deren Er-
und die Kreuzigung erzählt Petrus fast nichts, weil er füllung die Berücksichtigung vieler mitwirkender Fak-
nichts wußte, und darin zeigt sich seine wundersame toren, sorgsamste Analyse und feinfühlige Erfassung
Wahrheitsliebe. von Verwandtschaften und Unterschieden voraussetzt,
Es ist nicht nötig, auf diese Skizze eines Lebens Jesu zeigt die soeben erschienene Untersuchung Alfred B e r t-
im einzelnen einzugehen; sie ist mit einer großen Ehr- holets, die in musterhafter Weise das Problem der
furcht und Verantwortung geschrieben wie das ganze „kultischen Motivverschiebungen" behandelt und hier
Buch. Wer aber die literarischen Voraussetzungen des zu sehr bedeutsamen neuen Erkenntnissen kommt. Bert-
Verfassers ablehnen muß, kann auch von diesen Fol- holet hatte schon in früheren Arbeiten („Götterspal-
gerungen nicht überzeugt weiden. Thiel beschneidet das tung und Göttervereinigung" 1933; „Das Geschlecht der
historisch brauchbare Material ganz gewaltig, weil er die ; Gottheit" 1Q34) sich an der phänomenologischen Reli-
falschc Voraussetzung macht, nur das in alten Quellen gionsforschung beteiligt, hier handelt es sich nun darum,
Überlieferte sei historisch zuverlässig. Und er sieht einen Vorgang aufzuzeigen und zu verstehen, der wich-
nicht, daß das Markusevangelium als Glaubenszeugnis i tige Einsicht in das innere Wachsen der Religion eröffnet
aus kervirmatisclien Einzeltexten zusammengesetzt ist, | Am Beispiel der aittestamentiiciien Bnndetlade, die Steinfetische ent-

und legt eine biographische Logik an den Text all, ^^J^^.9^^av^^nT^<ß-m^)

All ,■ r 3 u IUTA«««Sm. ,l-.(t in «n wird das Phänomen der kultischen Motivverschiebung sichtbar gemacht

dte diesem ganz fremd tat. Die Annahme, daß ni so ^ Umdeutung von steinfetischen im Sin« eine? spateren iKrig.

tuiher Zeit schon drei schriftliche Quellen übe Jesus kdt und der ihr gemäßen Objekte findet sich nun allenthalben z B in

bestanden hätten, und daß diese Quellen von Markus aus | Griechenland (Hermen), im Islam (Kaaba), in der Bethelgeschichte

historischer Treue wörtlich zusammengefügt seien, '< (Gen. 28, Uff.) usw. Aber keineswegs ist dieser Vorgang auf die ge-

ISt eine mit der eschatologischeil Erwartung der Urgemeinde i nannte Gattung von Kultobjekten beschränkt. Er findet sich ebenso in

Und ihren rein kerygmatisch-missionarischen Interessen ( der Verschiebung der Bedeutung heiliger Bäume (vgl. z. B. die Marien-

Sich Stoßeilde Behauptung Und daß die älteste Quelle eichen im deutschen Sprachgebiet) wie in der Uminterpretation uralter

auf Petrus zurückgeht ist&auch nicht bewiesen. Und noch Branche u.dergl. Die Gründe der Motivverschiebung nun sieht B.

pi.10„ V i vi M.,„,vol ,0irr+ Tl-iolc Rnrli- rW einerseits in einem Anstoß von außen und andererseits in verschiedenen

einen g.undsatz heben Mangel zeigt Thiels buch, clei B der innere„ Entwicklung (S. niff.). B. zeigt an Hand

Leser erfährt sehr viel von der wissenschaftlichen Lage eine» umfaiigrelcheii Materlala wie sich durch das Auftauchen einer neuen

Und von Thiels eigener Quellentheorie, aber sozusagen Religion, die die alte Religion überwindet, weitgehend eine Motivver-

garnichts von Jesu Lehre und dem Sinn seiner ror- Schiebung insofern ergibt, als alte Götter neuen Göttern weichen, die

derung, ganz ZU schweigen von der Bedeutung der Ge- ; hinfort als Objekte der Verehrung an uralten heiligen Kultstättcn gelten.

Stalt Jesu. Das ist ein empfindlicher Felller, Und darum I Die Kontinuität zwischen griechischem Heroenkult und christlicher

Wild der Leser, selbst wenn er Thiel historisch ganz. ZU Heiligenverehrung gehört in diesen Zusammenhang. Interessant ist

folgen vermöchte sein Buch ohne wirkliche Befriedi- weiter die häufig zu beobachtende Verschiebung aus dem Prädeistischen

gung aus der Hand legen. Das Leben Jesu läßt sich in einen thejstischen Kult, daß also z B. Fruchtbarkeitsriten, die ur-

pKo„ -ii • u„ ,1 .AlMnr,, „:,„„ HaR Hp,- pirrnnt sprunglich mit keiner persönlichen Gottheit etwas zu tun hatten, an die

eben nicht ausreichend schildern, ohne daß de. ugeiit- Ku](e der Qöt(er .„geschlossen werden (S. 174). Damit ist aber zugleich

'"Che Sinn des Auftretens Jesu erklärt und gedeutet _ mejn, B bej gleichbleibenden Riten eine Verschiebung der Motive

vVUlde. Aber auch Wer die Resultate 1 hielS ablelinen gegeben. Auf der anderen Seite liegt nun die Motivverschiebung in der

UlUß, wird dem Verf. für seine sorgfältige, mühevolle Ar- inneren Entwicklung einer Religion begründet. B. nennt und belegt

beit und für seine erstaunliche Leistung auf fremdem I mit reichlichem Material folgende Momente: zunächst einen Zug zu

Gebiet Dank wissen. „vermenschlichender Motivierung kultischer Begehungen" (S. 177) wie

er sich z. B. in der Tendenz, ursprüngliche Vegetationskulte in Jenseits-

DVI iriflWir/ld<il<N<iri1 mysterien zu verschieben, bemerkbar macht (z. B. in Eleusis). Ein zwei-

KtjLIXrlULSjiVIjdhjLSdljnYlF 1 , feg Motiv liegt in der Aitiologisierungstendenz speziell aus der Ge-

Berth»iot aic a ii!w>r ,„t<±chn Mnrivvprsrhiphiiniren 1 schichte (S. 17S F.). Bemerkenswert sind weiter die beiden einander ent-

Z v I A'ired, , kultische , , , ^""gh"; 1 eingesetzten Motive, kultische Akte zu säkularisieren und ins Profane

Berl,n: Verlag der Akademie der Wissenschaften, in Komm, bei zu verschieben (wie z. B. bei dcr Überleitung des Amuletts in den

W. de Gruyter & Co. 1938. (23 S ) 4° = Sonderausgabe aus den Schmuck) und der »• e" «n

Sitzungsberichter, der Preußischen Akademie der Wissenschaften Pluh- , ,jsicren (wje , ß bej cler vielfachen' religiösen InterprS rein pro-

Hist. Klasse. 1938. XVIII. * L5Ü- faner Erotik etwa im „Hohen Lied" des AT) (S. 179 ff.). Auch die

In wachsendem Maße gewinnt die Betrachtung und sekundäre Motivierung aus dem Ethischen ist zu nennen. Mit dem

Erforschung der Religion an Boden, die quer durch die | Prozeß der Vergeistigung ist immer Motivverschiebung in der einen

Welt der Religionen hindurch die verwandten Phäno- ! oder anderen Form verbunden.

mene aufzeigt und darstellt. Mit dieser bloßen Regi- j Vielleicht darf zur Ergänzung noch auf folgende
strierung verwandter Erscheinungen hat man sich viel- Momente aufmerksam gemacht werden: im Prozeß der
fach begnügt. Es ist aber ohne weiteres deutlich, d;rß Motivverschiebung bei der Übernahme alter Bräuche
damit erst die Voraussetzungen geschaffen sind für die | in den Bereich einer neuen Religion müßte m. E. zwi-
eigentliche religionswissenschaftliche Arbeit, deren An- j sehen drei Formen genauer unterschieden werden: es
liegen es sein muß, die Gründe zu erkennen, die jene gibt einerseits Motivverschiebung bei missionari-
Parallelität der Phänomene bewirkt hat; denn gerade scher Anknüpfung an die vorgefundenen Kultforinen
die Tatsache, daß eine unendliche Fülle solcher ver- und Gottesvorstellungen, hier liegt bewußte Umdeu-
Wandter Erscheinungen durch die gesamte Religions- 1 tung übernommener bzw. weitergeführter Bräuche etc.
geschichtc sich verfolgen läßt, ist der vrmimstößliche i vor; es handelt sich also um ausgesprochene Sinnän-
Beweis dafür, daß es bei aller inhaltlichen Eigenart der derung, d. h. um den Versuch, neue religiöse Im-
Religioncn gleichwohl weite Gebiete im Lebensab- pulse mit alten Formen zu verbinden. Davon Unterau
f dieser Religionen gibt, die Gesetzmäßigkeiten zei- schieden ist eine Motivverschiebung durch Einbau
gen und deren Erforschung durch eine empirische Re- fremder religiöser Welten in den eigenen Religionsorga-
hgionswissenschaft ein Verstehen jener zu Tage lie- nismus, z. B. in der islamischen Einbeziehung der israe-
genden Verwandtschaften im Gebiet der religiösen Er- litisch-christlichen Heilsgeschichte in die eigene Glau-
scheinuiigsformcn erschließt. Damit hat die in ihrer Be- bensweit. Etwas Ähnliches liegt vor in der Stellung-
rechtigung von der Seite der philologischen Einzeldis- nähme des mahayanistischen Buddhismus zu Konfuzia-
ziplin vielfach angefochtene Religionswissenschaft zu- nismus und Taoismus usw. Auch hier handelt es sich um
gleich ein eigenstes Forschungsgebiet gewonnen, das, Motivverschiebung insofern als die fremden religiösen