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Ausgabe:

1939 Nr. 3

Spalte:

105-106

Autor/Hrsg.:

Raitz von Frentz, Emmerich

Titel/Untertitel:

Selbstverleugnung 1939

Rezensent:

Neumann, Johannes

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106

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 3.

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dacht hat, hätte sich noch durch seine Absicht verdeutlichen
lassen, das Evangelium in deutscher Ausgabe
für das deutsche Volk herauszugeben, wofür ihm ein
syrisches Evangeliar das sicherste Fundament schien
(Mitteilungen Bd. 4, 328ff.). Treffend aber sind Gegenüberstellungen
seiner Zeugen, die Fascher gelegentlich
vornimmt: Bismarck kann mit seiner Bibel allein sein,
ohne Kirche und Gemeinschaft auskommen — Lagarde
sagt: Kirche brauchen wir, nicht Bibel! — So bringt der
Verfasser dem Leser immer wieder eindringlich zum Bewußtsein
, wie das Bibelwort und der Bibelgeist durch
mehr als tausend Jahre auf die deutsche Seele tief und
nachhaltig gewirkt hat und man mit Recht von „Deutscher
Frucht aus fremder Saat" sprechen kann. Wenn
man auch der ganzen Schrift die christliche und deutsche |
Verantwortung unmittelbar abspürt, ist ihre Anlage doch j
von rühmenswerter Sachlichkeit und kann gerade durch
ihren ruhig abgemessenen Ton — wenn anders menschliches
Bemühen in dieser Sache Erfolg haben kann,
in unseren Tagen der Auseinandersetzung um die Rang- j
Ordnung der seelischen und sittlichen Werte wesentlich
für die Verständigung darüber sein, daß die Bibel „Nicht
etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker '
ist (Goethe).

__Quakenbrflck.___H. Vorwahl.

Lejeune, R.; Christoph Blumhardt und seine Botschaft,

hrsg. Erfenbach-Zürich : Rotapfel-Verlag [o. }.]. (208 S.) kl. 8°. RM 2.60.
Lejeune ist der Herausgeber der vorbildlichen vier- j
bändigen Blumhardt-Ausgabe (im gleichen Verlag). Hier
bietet er eine kleinere, zur ersten Einführung wohl ge-
eignete Auswahl aus den Predigten und Andachten Blum-
hardts (des Jüngeren). Vorausgeschickt ist eine Darstellung
des "Lebens und Wirkens Blumhardts, besser:
seines Zeugendienstes. Klar arbeitet darin Lejeune vier
Perioden heraus, die er unter die Sätze stellt (diese die
Titel der vier Bände obiger Ausgabe): |esus ist Sieger [
(1880—1888); Sterbet, so wird Jesus leben (1888
bis 1896); Ihr Menschen seid Gottes (1896—1900);
Gottes Reich kommt (1907—1917). Ebenso scharf aber j
tritt die eine Linie hervor, kurz gesagt: die neutesta-
nierrtliche, — das Hingewandt- und Ausgerichtetsein auf
das Kommen Christi. An einigen Stellen zeigt es sich, j
dal! Lejeune die Lage anders sieht als wir im gegenwärtigen
Deutschland. Aber einig sind wir mit ihm
darin, daß Blumhardt gerade unserer Zeit außerordent- I
'ich viel zu sagen hat und viel mehr ausgewertet werden
sollte, — wozu dieses (preiswerte) Werk beitragen kann.

Seestadt Rostock. Wilhelm Knevels.

Haitz von Frentz, E., S.J.: Selbstverleugnung. Eine aszetische i
Monographie. Einsiedeln : Benziger & Co. 1936. (333 S.) 8°. RM 5.85. I
Dieses Buch ist ein Standardwerk seiner Disziplin. Es {
behandelt den Gegenstand mit umfassender Breite (biblisch
, religionsgeschichtlich, kirchengeschichtlich, Ausein- |
andersetzung mit Protestantismus, philosophisch, psycho-
logisch, psychotherapeutisch, psychiatrisch) unter Ver- ,
Wendung deutscher und ausländischer Literatur, mit abge- |
wogener Lebensnähe unü tiefer Frömmigkeit. Bei aller I
Unterschiedlichkeit katholischer und evangelischer Fröm-
inigkeit wird es auch dem Protestanten, dem Theologen j
wie dem Laien, stellenweis eine unmittelbare Lebensför- |
derung bieten. Es liest sich zuweilen wie ein moderner
Traktat, weil es aus der allseitigen Durchdringung des
Stoffes in Verbindung mit dem religiösen Leben gespeist |
ist, dem Aszese ein lebensnotwendiger Weg der Fröm- ;
migkeit ist. Leben, Theologie und Wissenschaft sind
hier in einem verbunden. Die Aszese ist dem Autor, j
der sich auch religionspsychologisch verdient gemacht !
hat, nichts Negatives, sondern ein positives Mittel der 1
religiösen Selbstvervollkommnung. Wie bei aller katho- j
«sehen Ethik erscheint es oft nicht ohne Schwierigkeit, '
den Standpunkt der Schrift und die von der katholischen
klassischen Theologie übernommene antike philosophische
Lebensphilosophie zusammenzubringen. Der Vorzug des
Ruches ist auch sein Nachteil: Der ungeheuere Stoff |

ist so oft wissenschaftlich filtriert worden, daß große
Teile bei aller leichten Lesbarkeit" so sehr Extrakt geworden
sind, daß die in ihm liegende Forschung nicht
mehr zur Wirksamkeit kommt. Eine Neuauflage müßte
den doppelten Umfang haben. Noch zwei kritische Bemerkungen
: Es ist ein Irrtum, W. Herrmann als „Exponenten
der protestantischen Lehre" zu nehmen und den
Protestantismus als Sekte zu bezeichnen. Der Anteil der
Psychotherapie für die Durchführung der Aszese kommt
bedeutend zu kurz.
Gießen. Johannes Neu mann.

Eg e n t e r, Prof D. Dr. Richard : Von christlicher Ehrenhaftigkeit.

München: Kösel-Pustet 1937. (172 S.) 8°. RM 3.20.

In den beiden grundlegenden Kapiteln wird eine
scharfsinnige und auf gute Literaturkenntnis (auch evangelischer
Philosophen und Theologen) gestützte Analyse
der „Ehre unter Menschen" und der Ehre vor sich
selbst („Ehrenhaftigkeit") gegeben. In dem entscheidenden
dritten Teile („Die brennende Frage") wird
dann der Beziehung von Ehre und Liebe nachgegangen.
Vorzüglich ist die Begründung der „christlichen" Ehrenhaftigkeit
aus der Verbindung mit dem erlösenden Gott
heraus; ihr gegenüber werden die natürlichen Motive
der Ehrenhaftigkeit zwar nicht ihrer Bedeutung gänz-
entkleidet, aber sie gelten nur noch als „Kerzenflämm-
chen im Sonnenlicht". Die Analyse der Liebe zu Menschen
bleibt an der Oberfläche, sodaß ihre Vereinbarkeit
mit der Ehre zu schnell festgestellt wird; sehr wertvoll ist
dagegen wieder die Erfassung der Gottesliebe als „forma
virtutum", also auch der Ehrenhaftigkeit, und — soweit
letztere selbst eine forma virtutum ist — als „forma
formae virtutum". Ein interessanter Versuch, Theonomie
und sittliche Autonomie mit scholastischen Mitteln zu
vereinigen! Die Verbindung thomistischer Denkweise mit
ausgesprochen biblizistischer Methode macht den Hauptwert
des Büchleins aus.

Berlin-Lichterfelde. Hans Schlemmer.

Dunin-Borkowski, Stanislaus von, S. J.: Spinoza. Bd. 1 :

Der junge De Spinoza. Leben und Werdegang im Lichte der
Weltphilosophie. 2. Aufl. (XXIII, 633 S.); Bd. 4 : A us d en Tagen
Spinozas. Geschehnisse, Gestalten, Gedankenwelt. TL 3: Das
Lebenswerk (587 S.) 4°. Münster: Aschendorff 1933 und 1936.
Bd. 1 RM 20—; geb. RM 22— Bd. 4 RM 28—; geb. RM 30—.

Das groß angelegte, eben mit dem 4. Bande abgeschlossene
Spinozawerk des kürzlich verstorbenen Verfassers
, behandelt im ersten Bande, der 1910 erstmalig
erschien und seit 1933 in zweiter Auflage vorliegt,
den jungen Spinoza bis zum Bann durch die Synagoge.
Die jüdische Atmosphäre, in der Spinoza in Amsterdam
aufwuchs, wird gekennzeichnet, sein geistiges Werden
wird als Ringen mit den geistigen Strömungen der Zeit
dargelegt. Er ging zunächst den Weg zum Rabbinat,
studierte den Glauben der Väter und lebte darin, aber er
war schon als 14jähriger ein kritischer Schüler. Im
Talmud erwarb er sich ein bedeutendes Wissen, von dem
sich Nachklänge noch in seinen reifen Werken finden.
Er lernt hier schon von den Rabbinen bibelkritiisohe
Erwägungen, die freilich erst nach dem Studium der
Kabbala ernstere Folgen hatten. Es blieb ihm als Ver-
mächtnü der Väter „die Hingabe an ein unendliches
Wesen". Das alles wird nun aber nicht trocken referiert
, sondern der Verfasser breitet vor dem Leser
auf griind seiner immensen Belesenheit die ganze Motivwelt
des Talmud und der Kabbala aus.

Es folgt für Spinoza dann durch die „gefährliche
Lesung" in der jüdischen und arabischen Rcligions-
philosophic der Abstieg zum Unglauben bis hin zur
sinnlichen Lust. Weltanschaulich sieht er in Gott den,
„der mit ewiger Notwendigkeit seines Amtes als Welt-
ursache waltet". Damit verbanden sich Jugenderinnerun-
gen an die Einheit der Welt in Gott und durch Gott.
So hatten sich die Bande, die ihn an das Judentum
fesselten, gelockert, aus dem Glauben strömte ihm kein
Friede mehr, aber er mußte ihn finden und suchte ihn