Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1939 Nr. 3

Spalte:

89

Autor/Hrsg.:

Veit, Ludwig Andreas

Titel/Untertitel:

Das Aufklärungsschrifttum des 18. Jahrhunderts und die deutsche Kirche 1939

Rezensent:

Lerche, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

89

Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 3.

90

Veit, Prof. D. Dr. Ludwig Andreas: Das Aufklärungsschrifttum
des 18. Jahrhunderts und die deutsche Kirche. Ein Zeitbild
aus der deutschen Geistesgeschichte. Köln : J. P. Bachem 1937. (63 S.)
gr. 8° — Oörres-Qesellschaft z. Pflege der Wissenschaft im katholischen
Deutschland. 2. Vereinsschrift 1937. RM 2.10; geb. 3.60.
Der gelehrte Verfasser der Kirchengeschichte im
Zeitalter des Individualismus — von 1048 bis zur Gegenwart
— gibt hier aufgrund der von ihm ausgebeuteten
Mainzer Polizeiakten betr. die geistliche und weltliche
Bücherzensur (im Staatsarchiv zu Würzburg) aus dem
Ausgange des 18. Jahrhunderts eine recht anschauliche
Ergänzung zu verschiedenen Abschnitten seines angeführten
Werkes. Veit zerstört mit dieser quellenmäßig und
durch Literaturnachweise außerordentlich reichhaltig belegten
Studie die Auffassung, daß die von Westen herkommende
aufklärerische Bewegung die deutsche geistige
, besonders religiöse Kultur wie eine sturmreife Festung
überrannt habe. Veit weist durch gutgewählte Beispiele
namentlich aus dem Augsburgischen und Mainzischen
vielmehr nach, daß die geistlichen Staaten durchaus
getan haben, was in ihren Kräften stand, um der
Aufklärung entgegenzutreten. Auch in weltlichen katholischen
Staaten haben die Bischöfe trotz Joseph II. und
seiner Nachahmer auf den Fürstenthronen getan, was sie
tun konnten, um die in der Kirche verwurzelte Sitte im
Volke zu erhalten. Das ist im Wesentlichen gelungen;
von einer dünnen Literatenschicht abgesehen blieb das
deutsche Volk der Kirche treu.

Und wenn auch diese Literaten- und Ästhetenschicht,
wenn auch die Buchdrucker und Verleger, namentlich soweit
sie leistungsfähig waren und konkurrieren konnten,
sich in erster Linie zum Protestantismus bekannten, so
steht doch in der Abwehr der Aufklärung der Protestantismus
in einer Linie mit dem Katholizismus. Die Aufklärung
wurde in den weltlichen Staaten beider Konfessionen
geduldet, solange der Landesherr Geschmack
an ihr fand, solange die wildgewordene Presse mit ihrer
frechen Kritik ihm Laune machte; sie wurde brutal unterdrückt
, sobald sie dem Staate und den Regierungsmaximen
unbequem wurde. — Richtig ist auch die Beobachtung
, daß Aufklärung und Pietismus hier und da gemeinsam
gegen das traditionelle Kirchentum vorgegangen
sind, wie sich auf dem Gebiete geistiger Auseinandersetzungen
nur allzu oft die schärfsten Gegensätze unter
den Neuerern in gemeinsamer Front gegen die unbewegtere
Tradition gefunden haben. — Ein typisches Beispiel
für katholisches Aufklärertum unter bischöflicher Förderung
ist R. Z. Beckers Not- und Hilfsbüchlein, dessen
V. weder hier noch in seiner Kirchengeschichte gedenkt
. —

Veit zitiert hin und wieder das Land Braunschweig,
das hinsichtlich der Zensur eigene Wege ging. Interessante
nähere Einzelheiten dazu finden sich etwa in der
Lessingbiographie von Erich Schmidt. Den Gesamtrahmen
seiner Studie hätte V. erweitert und sich damit das
Anmerkungswerk erleichtert, wenn er sich auf die Geschichte
des Buchhandels von Kapp-Goldfriedrich bezogen
hätte.

Berlin. Otto Lerch e.

Benedikt, Ernst: Kaiser Joseph II. 1741 -1790. Mit Benützung
ungedruckter Quellen. Wien: Gerold & Co. 1936. (362 S., 12Taf.) 8°.
Wie im Reich eine neue Apotheose Friedrichs II. eingesetzt
hat, so in Österreich vielfach eine langsame
Renaissance Josephs II., der noch immer keine angemessene
, dem heutigen Stande der Forschung entsprechende
Biographie erhalten hat. Dagegen hat alles das,
was uns auf kirchengeschichtlichem Gebiete an Joseph II.
interessiert, seine Toleranzpolitik, die Herkunft und die
Ausgestaltung seiner Ideen, die aufgeklärten Erziehungs-
programme des Monarchen, das Problem Staat und
Kirche bei Joseph H. usw., häufige und vielseitige
Durchdringung und Darstellung gefunden. Niemals wollen
wir uns dabei der Dankespflicht entziehen und wenigstens
mit einem Worte sagen, was wir Georg Lösche
und seinen archivalischen Beiträgen zur Geschichte

! des Protestantismus in Osterreich „Von der Duldung
' zur Oleichberichtigung" (1911) verdanken!

Die vorliegende Darstellung Josephs II. von Benedikt
| erinnert stark an die Apotheose, die Maria Joseph
Krück von Poturzyn 1933 Kaiser Joseph dem
| Deutschen gewidmet hat — und beide Bücher gehören
1 vielleicht in das Gebiet der „Historischen Belletristik",
i die seinerzeit von der „Historischen Zeitschrift" mit so
unerbittlicher Schärfe gekennzeichnet wurde (1928). Es
i ist hier aber alles mit gepflegter Anmut, mit psychologi-
i schem Feingefühl und mit ausgesprochenem Sinn für
j Gestaltung geschrieben. Es sind interessante Skizzen,
' die auch Hintergrund, Umwelt und Rahmen in das Blick-
i fehl des Beschauers einbeziehen; es ist aber keine eigentliche
Biographie.

Alles das, was uns Benedikt vorträgt, wissen wir
schon: der nach außen rauhe Tyrann und pedantische
: Bürokrat — der von Herzen gute, leutselige und namentlich
den Armen hilfreiche Kaiser der Anekdote; der
j Schüler und Verehrer Friedrichs des Großen, dem Joseph
mit glühender Inbrunst die Wege zum Olymp nach-
ztitasten versuchte und den er im Dunkel qualvoller
| Schicksalsschläge ebenso glühend haßte; der wie Franz
Joseph unermüdlich Aktenberge abarbeitende „Hofrat"
| des „Kontrollorgangs" und der Befehlerle, der alles und
jedes in seinem weiten Reiche selbst anordnet und neu-
! gestaltet und so die blühende Welt mit einem undurchdringlichen
Leichentuch von Gesetzen und Regeln zudeckte
; der durch Erfahrung gewitzigte Dorfschulmei-
' ster von Mildheim, der Rudolf Zacharias Becker sein
| Not- und Hilfsbüchlein in die Feder diktiert hat; der
Physiokrat und Wirtschaftstheoretiker, der Volksgesund-
heitsfanatiker und Friedensidealist, der Vater des Vaterlandes
— und der arme, einsame, kranke Mensch, der
überall und immer Schiffbruch gelitten hat, der im Reich
I und in Österreich scheiterte und den in ganz Europa
schließlich niemand mehr recht ernst nahm.

Das Buch Benedikts besteht aus zwei Teilen: I. Jo-
I seph und Maria Theresia und II. — viel umfangreicher
! — Joseph als Alleinherrscher. Schon unter Maria There-
I sia brodelte Zwiespalt zwischen Mutter und Sohn, der
| in der Sphäre des Religiösen verhängnisvoll zu werden
drohte (S. 55 ff.). Das Problem »Staat und Kirche', das
die Toleranzgesetzgebung und für den Kaiser die Auseinandersetzung
mit dem Papste sowie mit dem besten
Kern aller seiner Völker und schließlich den Bruch mit
j der den Staat tragenden Traditon auslöste, behandelt B.
I auf knapp zwölf Seiten (S. 123—134). Offenbar hat B.

kein Verständnis für dieses Problem, das uns noch nach
i 150 Jahren in seiner ganzen Schwere und Schicksalhaftig-
keit bedrückt. Wie überall so scheiterte Joseph auch in
seiner Kirchenpolitik namentlich infolge seiner zentralisti-
I sehen Utopien.

B. hat seinem Buche „unveröffentlichte Dokumente"
(S. 253—360) beigefügt; es handelt sich um Notizen,
I Handbillets, Briefe usw. des Kaisers an seine nächsten
Mitarbeiter bezw. dieser Umgebung an den Monarchen,
j Die Einzelheiten sind recht interessant: die verdeutlichen
oft das im Text Gesagte erheblich und sie lassen im Le-
j ser den Wunsch lebendig werden, mehr aus diesen von
B. nur oberflächlich angebohrten Quellen zu schöpfen.
Aber diese höchsterwünschte weitere Veröffentlichung
aus den Schätzen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs wie
I des Kriegsarchivs müßte dann schon etwas mehr den
Gepflogenheiten der anerkannten wissenschaftlichen Methode
entsprechen.

Berlin.__ Otto Lerche.

Rothfels, Hans: Theodor von Schön, Friedrich Wilhelm IV.
und die Revolution von 1848. Halle (Saale): Max Niemeyer 1937.
(217 S.) 4° = Schriften d. Königsberger Gelehrten Oesellschaft.
Geisteswissensch. Klasse. 13. Jahr, Heft 2. RM 16—.

Der Verfasser stellt auf Grund einer Fülle bisher
ungedruckter Dokumente, die er vorwiegend dem nreu-
, ßischen Hausarchiv und dem Depositum Brünneck im
preußischen Staatsarchiv in Königsberg in Pr. entnimmt,