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Ausgabe:

1939 Nr. 2

Spalte:

73

Autor/Hrsg.:

Henke, Ernst Ludwig Theodor

Titel/Untertitel:

Jakob Friedrich Fries 1939

Rezensent:

Zeltner, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 2.

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und will, auf die Bewußtheit und Wahrhaftigkeit, die Friedrich Nietzsches Werke und Briefe. Historisch-kritische GeFreiheit
Und Echtheit" es bedarf daher einer Wandlung samtausgabe. Bd. 1—4. München: C. H. Beck'sche Verlagsbuchh.

der Gottesvorstellung zur Identität Gottes mit der Sub- »933/35. (cxxvi, 495; vn, 485 ; vii 488; VIII, 708 S. m 5 Abb.).
jektivität des Ich 2 16 RM 12_; Lw- 15~ : Hldr- 18~-
Es ist weder möglich, den Reichtum der Gedanken Auf einzigartige Weisse gehen bei Nietzsche Le-
Hofmanns in den Rahmen einer Buchbesprechung zu fas- bensweg und geistiges Schicksal zusammen, und einzig-
sen, noch aus dem in mehr als einem Jahrzehnt aus- art'g !st auch dieL °e"pielhafte Bedeutung dieses Schickgereiften
System des Hofmannschen Lehrgebäudes ein- sals für die geschichtliche Situation, in der es sich voll-
zelne Steine herauszubrechen. Schon die Sprache in zieht, eine Bedeutung, die bis heute nichts von ihrem
ihrer der Sache gemäßen Eigenwilligkeit verrät das Gewicht verloren hat. Diesen Schicksalsweg Nietzsches
heiße innere Ringen um die Neugründung der Philo- können wir in den von ihm hinterlassenen und von sei-
sophie Naturgemäß leidet die Lesbarkeit des Wer- nen Freunden, vor allem der Schwester, treulich gesam-
kes, das an Hand geschichtlicher Betrachtung nachweisen melten Aufzeichnungen genau verfolgen. Die neue, von
will, warum unsere Zeit nach neuen weltanschaulichen der Stiftung Nietzschearchiv veranstaltete Gesamtausgabe
'Grundlagen verlangt durch die zum Verständnis not- ■ seiner Werke, die als erste historisch-kritische Ausgabe
wendige Einschaltung systematischer Exkurse. So wenig ' zu gelten hat, wird diesen Nachlaß zum erstenmal voll-
aber die Verdienste in Bezug auf die Problemstellung ' ständig der Öffentlichkeit vorlegen. Sie will nach den
zu leugnen sind, so fraglich bleibt, ob in der Nachfolge Bd. 1 S. X mitgeteilten Grundsätzen „in lückenloser
des Neukantianismus die Überwindung des Historismus Folge die innere Entwicklung Nietzsches von der Schülermöglich
ist. Und es ist zu bedenken, daß die Umkehrung zeit bis zur letzten Schaffensperiode dartun". Es sollen
des bekannten Diltheywortes in den Satz: „Was die Ge- deshalb auch ausnahmslos alle Aufzeichnungen einschichte
sei, sagt mir der Mensch" doch in eine gefähr- schließlich aller Gedankensplitter, Skizzen, Dispositionen
liehe Nähe von Th. Lessings „Geschichte als Sinn- usw. aufgenommen werden. Nur die Briefe, deren zeit-
gebung des Sinnlosen" führt, so sehr die posi- hebe Einordnung in die Masse der Aufzeichnungen nicht
tive Wertung des Christentums bei Hofmann auch Her- durchführbar ist, weiden als besondere Abteilung heraus-
vorhebuug verdient. gebracht.

__Quakenbruck.______H. Vorwahl. i Bereits eine flüchtige Durchsicht der erschienenen

HenlTe, E L Th Jakob Friedrich Fries. Aus seinem hand- > Bände macht die ungeheuren Schwierigkeiten deutlich,

»chrifti. Nachlaß dargestellt. 2., unv. Aufl. Berlin: Verlag „öffentl. ; mit denen die Herausgeber, H. J. Mette und K.

Leben" 1937. (x, 399 S.) 8°. S c h 1 e c h t a, zu kämpfen hatten. Denn die Aufzeich-

Der Neudruck dieser erstmals 1866 erschienenen Bio- innigen Nietzsches bleiben nur selten auf längere Strek-

giaphie kann mit dem Geleitwort des Verlags „als ein ken beim gleichen Thema. Oftmals werden die wissen-

Beitrag zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts" be- schaftlichen Reflexionen unterbrochen von privaten No-

griißt werden. Sie stellt zugleich Fries als eine Person- tizen, von Exzerpten, Vorlesungsnachschriften usw. Es

lichkeit vor, die über die von der sog. Fries'schen Schule | ist jedoch unerläßlich, derartige Einsprengungen auch als

aufgenommenen Gedanken hinaus ein universaleres In- , solche zu kennzeichnen. Eine weitere Schwierigkeit liegt

teresse beanspruchen darf. (Es sei hier nur an den Ein- j in der Datierung der Aufzeichnungen. Oft erlaubt nur

fhiß erinnert, den Fries auf Theologen wie de Wette, der Charakter der Handschrift eine einigermaßen sichere

seiner. Schwiegersohn und Biographen Henke, Ordina
rius in Marburg, und, wenigstens indirekt, auf Rudolf
Otto ausgeübt hat.) Seine Auseinandersetzung mit dem
Geist von Herrnhut, in dessen Sphäre er aufgewachsen
ist, und mit dem Christentum überhaupt ist eine merk-

Entscheidung. Diese und andere Probleme sind in einem
umfangreichen Anhang soweit als möglich aufgeklärt.

Allerdings bleibt manche Frage elementarer Art unbeantwortet,
während oft recht nebensächliche Dinge mit großer Ausführlichkeit behandelt
werden. Diese Unausgeglichenheit macht sich besonders in den

Würdige ParallelerscheilUIUg ZU dem Verhältnis der idea- beiden ersten Bänden recht unerfreulich bemerkbar. Anstelle unbestimm
listischen Philosophie und des Tübinger Stifts, SO sehr ■ *er Andeutungen wäre ferner zu wünschen, daß jeder Band eine Kon-
Fries auch andererseits als Gegenspieler dieser Philoso- ; ^Z^^^^.^S^,uJ^Ti,^11 T SS u'^erei,s

, . , , . .,, . , ef . !. j.. , . . . , veröffentlichtes Material handelt. Schließlich hatte man gelegentlich an-

phie verstanden sein Will. Auch bei ihm finden sich insbe- ste„e der zahlreicnen Faksimiles, mit denen die sehr schön und würdig

sondere jene uns heute so modern erscheinenden Ideen ausgestatteten Bände versehen sind, lieber ein Bild gesehen, z. B. als

einer Religion der Tat und einer volksgebundenen Gläu- Ergänzung zu dem Gedicht Bd. 2, S. 20, das dadurch erst recht ver-

bigkeit. Durch das Wartburgfest wird sein Leben in die ständlich würde.

politische Auseinandersetzung hineingezogen. Seinen Pa- Die Ausgabe ist auf insgesamt 40 Bände berechnet,

triotismus hat er bekanntlich mit dem Verlust seiner Pro- Bd. 1 und 2 bringen in der Hauptsache den Nachlaß

fessur bezahlen müssen. Wir verdanken diesen Erfah- aus den Jahren in Schulpforta, darunter bereits mehrere
rungen eine Reihe höchst interessanter politischer Re- . autobiographische Aufzeichnungen, die durch eine leider

flexionen, die von Henke mitgeteilt sind. Auch das stets verspätet aufgefundene und gesondert veröffentlichte

polemische Verhältnis zu Hegel sieht Fries schließlich Skizze zu ergänzen sind (Friedrich Nietzsche- Mein
nur noch unter diesem Gesichtspunkt, wenn er sich auch i Leben. Frankfurt 1936) und sich in Bd. 3 fortsetzen,

„in dieser Zeit des politischen Katzenjammers, wo jede Zahlreiche Aufsätze, darunter der schöne Hölderlinauf-

treie oder auch nur fröhliche Äußerung verdachtig ge- gatz Bd. 2 S, 1 ff., Exzerpte und andere Notizen bekun-

macht wird", nicht entschließen kann, „öffentlich über den die Lebendigkeit, mit der der junge Nietzsche die

politische Gegenstände zu sprechen" (224). Man wird Eindruck« dieser Jahre aufgenommen und verarbeitet

es freilich als Naivität bezeichnen müssen, wenn der hat. Unter vielen mehr oder weniger belanelosen Dich-

B.ograph gelegentlich darüber reflektiert, wie anders tungen treffen wir auf das unter dem Titel „Dem unbe-

nicht nur die Geschichte der Philosophie, sondern die kannten Gott" bekanntgewordene Gedicht das den 2

gesamte Geistesgeschichte verlaufen wäre, wenn Fries Band eindrucksvoll beschließt. Die beiden folgenden Bän-
anstelle Hegels nach Berlin berufen worden wäre, was , de machen vor allein deutlich, mit welcher Intensität

1816 durch das Votum Schle.ermacbers vereitelt ward Nietzsche sich als Student der Philologie gewidmet hat.

(154 t.). Hier zeigt- s eh dieselbe Vcrstandnislos.gkeit Besonders reizvoll aber ist es, zu beobachten, wie die

für die Gcistesmachtigkei des Idealismus, die auch in philologischen Aufzeichnungen durchsetzt sind mit philo-

deu Äußerungen des Philosophen selbst immer wieder SOphischen Reflexionen, die teils den historischen Gegen-
zum Ausdruck kommt. , ,u ,• . . ' stand psychologisch beleuchten, teils auch schon zu all-

Eine wertvolle Bereicherung stellt die be.gegebene gemeinen Überlegungen über Wesen und Wert histori-

sorgfaltig gearbeitete Bibliographie der im Druck erschie- scher Forschung sich erheben. Bereits in diesem Stadium

flS^chriften und Aufsatze von Fn€Su. a_r.'..„ aber fällt auf> wie Nietzsche als Philologe sich in immer

minutiöseren Fragestellungen verliert, während gleichzei-

Göttingcu • Hei mann Zeltner.