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Ausgabe:

1939 Nr. 2

Spalte:

53-54

Autor/Hrsg.:

Krüger, Max

Titel/Untertitel:

Die Entwicklung und Bedeutung des Nonnenklosters Port-Royal im 17. Jahrhundert (1609 - 1709) 1939

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 2.

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J. V. Andrea) und für das 18. Jh. die Kirchenkonvents- dazu die ergiebige Dokumentensammlung der neuen

Protokolle. zelinbäiidigen, kommentierten Ausgabe.

Der andere große Kreis umschließt den Unterricht: ! Für den Kirchenhistoriker ist der personelle Zusam-
Gymnasium, Akademie, (alte) Universität. Auch das Ar- menhang zwischen Port Royal und Jansenismus gege-
chiv des theologischen Internats der Unterrichtsanstalt beu. Aber nationalkirchliche Ideen fanden nur schwachen
des Wilhelmenstifts ist einbezogen. Hier sind wertvolle ; Widerhall in Port Royal. Auch kann man nicht von
Dokumente, zumal für die Anfänge der verschiedenen In- j einer grundsätzlich antirömischen, antipäpstlichen Hal-
stitlrtionen; die Protokolle der Schulherren von 1538 an; ; tung bei den Nonnen des Klosters und ihrem Freundes-
deren ausgedehnte Korrespondenz; die Suppliken an sie kreise sprechen. Deutlich wird nur eine immer stärker
(aus dein 16. und 17. Jh.) — hier eröffnet sich ein werdende Abwendung von den Jesuiten und die schärfgroßer
Reichtum persönlicher Nachrichten. Aus welchem 1 ste Ablehnung der echte Religiosität aushöhlenden jcsui-
weiten Umkreise sammelten sich die Lehrkräfte in Straß- tischen Morallehre. Da sich nun aber die Jesuiten im
bürg, in ihrer Mitte, durch beträchtliches, auch episto- ( Kampfe um ihr Ansehn und ihre Machtstellung bei
lares Material herausgehoben, Johannes Sturm! Und wie Papst und König unterstützt sahen, so stand Port Royal
zieht sich über Oberdeutschland, wo er am stärksten alsbald mit allen seinen Freunden in der Front der
spürbar ist, und die Schweiz der geradezu europäische j jansenistischen Gallikaner gegen König und Papst.
Radius der geistigen Wirkung der Stadt! Außer den K. schildert aufgrund einer Fülle von gedruckten
offiziellen Acta der Universität und der Fakultäten ist j Quellen, die er immer wieder und wieder mit einer Flut
für die spätere Zeit nur für die theologische Fakultät von Literatur vergleicht und kontrolliert, zunächst das
ergiebigeres Material vorhanden, es reicht bis zum Ende ! französische Sittenleben — bezw. die Sittenlosigkeit —
der alten (französischen) Fakultät, 1872. Hier ist auch i im 17. Jahrhundert und die Rolle der Frau in ihm
ein Band mit Briefen an Ed. Reuß erwähnt. Für man- | (S. 1—68), um dann von der religiösen und sittlichen
dien Ausfall entschädigt das angefügte Verzeichnis einer I Renaissance, die namentlich in dem die Jesuitenmoral abgießen
Zahl (c. 700) von Programmen (Promotions- lehnenden Jansenismus ihren Höhepunkt fand, zu han-
schriften, Leichenreden), akademischen und nichtakademi- I dein (S. 68—126). Der Hauptteil des Buches, umfassend
scheu (anhebend mit 1596). Den Schluß des Inventars die Abschnitte drei bis sechs, ist Port Royal, seiner Grünbilden
Register: ein örtliches, ein persönliches und ein dung, seiner Geschichte (Teil 3), dem Leben seiner Non-
die Hauptsachen angebendes sachliches. '< »en (Teil 4), der Mädchenschule (Teil 5) und den
Das Inventar läßt erkennen, daß verschiedene Hände „Sohtaires" (Ted 6) gewidmet. Wenn auch zur Ge-
an ihm tätig gewesen sind, allein schon in der ungleich- schichte der Gründung, Entwicklung und Zerstörung des
mäßigen Handhabung des Deutschen, Französischen und , Klosters (S. 126—199) kaum neue Einzelheiten mitge-

Lateinischen. Auch in der materiellen Behandlung. Ein
Regest hat eigentlich nur Ch. Schmidt seinen Urkunden
beigegeben. Bei den übrigen wünschte man oft eine Bezeichnung
des Inhalts, auch die Angabe, ob Original oder
Kopie wäre durchgehends willkommen. Zu undatierten

teilt werden, so setzt doch die Fülle der Belege, die K.
zu den mehr oder weniger bekannten Tatsachen beibringt
, in Erstaunen. Das darf man auch von dem Abschnitt
sagen, der das Leben der Nonnen (S. 199—209),
zumal der Angelique Arnauld, der Agnes Arnauld und

Dokumenten ist meist nichts bemerkt. Es fehlt eine der Jacqueline Pascal behandelt (S, 209—241).

Kennzeichnung, der vorkommenden Personen, ebenso wie | Ausgesprochene Beiträge zur Geschichte des fran-

der Hinweis, ob ein Schriftstück schon bekannt ist. Für i zösischen Geistes sind dann die Ausführungen über die

die Bestände selbst wäre vor allem der unermüdliche j Schule von Port Royal, ihre Gründung, ihre Organisa-

Helfcr Bucers, Konrad Hubert, zu nennen gewesen: ihm [ tion und ihren Geist, über die Theorie und Praxis von

sind die großen geschlossenen Sammlungen, zumal der ; Unterricht, Erziehung und Körperpflege (S. 242—276).

Schriftstücke Bucers und Capitos zu danken. Der Name Von gewissem Wert sind dann auch die Ausführungen

Wencker durfte bei der Varia ecclesiastica nicht fehlen, über die „Solitaires" — die Männergemeinschaften —

und dabei war festzustellen, welchem des Namens und von Port Royal, die „petites ecoles", die Logik, die

ob alle 19 Bände einem Manne zuzuschreiben sind. Auch Grammatik und über den Einfluß von Port Royal —

sollte festgehalten werden, wo sich die Vorlage zu dem mit Ausblicken auf die Beziehungen zu Corneille und

Bande mit den modernen Kopien der Briefe von Joh- Racine.

Sturm befindet (Nr. 163). Und anderes mehr, was den I Nach K. hat schließlich der Geist von Port Royal
Rahmen vervollständigt, der in dem kurzen Vorworte ge- ! die Kirche — d.h. die römisch-katholische Kirche Frankzogen
ist. ! reichs — überwunden. Indessen vermögen wir in die ab-
Aber auch ohne das bleibt das Verdienst der Bearbei- | abschließende Zusammenfassung K.s doch nicht unein-
tung und der Herausgabe beträchtlich. Wir haben in dem I geschränkt einzustimmen. K. schreibt (S, 318) „Der
Inventar ein wichtiges und nützliches Hilfsmittel für ein gemeinsamen Anstrengung gelang es schließlich, alle
weites Stück und ein reiches Quellgebiet der Reforma- j Ziele in einem ursprünglich nicht beabsichtigten Um-
tionsgeschichte, um seine Wasser jetzt viel leichter in j fange zu erreichen. Im Jahre 1762 wurden die Jesuiten
dem Brunnenhause zu schöpfen, in dem sie gesammelt vertrieben; die Revolution beseitigte das Königtum; die
sind. j „Assemblee Constituante", die ebenso viele Jansenisten

Halle. Johannes Ficker wie Jakobiner zu ihren Mitgliedern zählte, schloß durch

KrfioBr u-™—^ x , -ttt-:—7-;—~-~ die Zivilverfassung, die sie der französischen Geistlich-

"ÄYrs^^ WtjP*. den Papst von jedem Einfluß auf Frankreich

des franzos. Geistes. Halle a. S.: Max Niemeyer 1936. (XI, 365 S.) 8° 3US"

= Romanist. Arbeiten hrsg. v. Karl Voretzsch. H. 26. RM 15—. ' Berlin._____Otto Lerche.

Die Geschichte von Port Royal ist 1840—1859 ge- ' Simpson, w. J. Sparrow: A Study of Bossuet. London: Society

schrieben von Ch. A. Saint e Beuve. Während der for Promoting Christian Knowledge 1937. (VIII, 266 S.) 8°. 8 s. 6 d.

1859 erschienene Aufsatz von G. A. Wilkens über Port Bossuet bedeutet uns längst nicht mehr in jeder Hin-

Royal und den Jansenismus in Frankreich (Jenaer Zeit- sieht die bemerkenswerteste Gestalt des französischen

schritt für wissenschaftliche Theologie Bd. 2) heute Katholizismus im 17. Jahrhundert. Die leidenschaftliche

vielleicht nur noch nachklingt in dem „Jansenismus" '< Unruhe und Tiefe christlicher Existenz, die wir bei

uberschnebenen Abschnitt von Hases „Kirchengeschichte Pascal antreffen, ist ihm unbekannt. Das beseligte

auf der Grundlage akademischer Vorlesungen" (III, 2 Schwingen frommer Hingegebenheit eines Franz von Sa-

1892, S, 134—149), hat sich das fundamentale Werk les liegt seinem Wesen fern. Er ist auch nicht so unmit-

isainte Beuves immer aus sich heraus aufs Neue gestal- 1 telbar und rastlos auf die Praxis werktätiger Nächsten-

tet: 1901 war die 6. Auflage in 7 Bänden erschienen, und , liebe gerichtet wie Vinzenz von Paul. So nachdrücklich

Kruger benutzt die 8. Auflage des Onginalwerkes und nun aber diese Einschränkungen gelten: Bossuet bleibt