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Ausgabe:

1939 Nr. 2

Spalte:

36-37

Titel/Untertitel:

Wilhelm II., Das Königtum im alten Mesopotamien 1939

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 2.

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habe. Ebenso sind die Erklärungen, die derselbe (10, 80 ff.) für die j
jüdische Gewohnheit gibt, nach einem Trauerfall das Haus sieben Tage
lang nicht zu verlassen, die Tore des Palastes mit einem Kleidungsstück
zu verhängen, alle Feuer auszulöschen und barfuß zu gehen, z. T. wohl j
ungenügend.

Auf den Islam bezieht sich wieder nur eine Abhandlung, ja sie betrifft
nur einen vorislamischen Ritter und Dichter, Hätim Tä'I, der nach
Danzel (ebd. 205ff.) über Iran, Turkestan und Nordindien auch in
Siam bekannt wurde und so dort in dem im 16. Jahrhundert entstandenen ]
sog. Zwölfeckenbuch erscheint. Dafür teilt Furlani (12, 150ff.) nach
der 1935 erschienenen Arbeit eines Arabers, die im wesentlichen vorher !
schon in der Zeitschrift Lujat al-Arab veröffentlicht worden war, neue j
Dokumente über die Jezidi mit und vertritt wieder seine bereits früher
geäußerte Anschauung, nach der sie sich dem Islam erst nachträglich
angenähert haben.

Die meisten Artikel gelten der griechischen und römischen Reli- i
gion, beiden zusammen der von Kerenyi über die antike Religion und
die Religionspsychologie (12, 166 ff.), nach dem jene auf dem Sinn für
die Wirklichkeit beruht. Dem entsprechend sieht derselbe in seinen j
„Oedanken über Dionysos" (11, 11 ff.) dessen Wesen in seinem eigen- j
tümlichen Wahnsinn - von andern damit sich berührenden Ausführungen
Kerenyis erst später zu reden. Die schon von Homer erwähnten j
Aloaden vergleicht Krappe (12, 1 ff.) mit andern Zwillingen, zu denen |
indes hier die Bene Elohim gen. 6 nicht mehr gerechnet werden, und j
bringt sie außerdem mit verschiedenen andern mythischen Gestalten zusammen
. Diktynna war nach Margherita Guarducci (11,184ff.)
ursprünglich eine vorgriechische und in Kreta verehrte Göttin, die in
Athen mit Artemis identifiziert wurde, ebensowie die gleichfalls vor- ,
griechische und in Kreta verehrte Britomartis und, wie sie, ursprünglich
vielleicht eine Naturgottheit. Nach derselben Gelehrten (12, 181 ff.)
wird in der großen Inschrift von Gortina eine Artemis Toxia erwähnt, i
die dort von den dorischen Kolonisten eingeführt und auf Münzen der
Stadt dargestellt sein könnte. Weiter bespricht dieselbe noch (I3,159ff.) i
den Ursprung der to/dpa in dem Tempel des Apollo Delphinios in
Dreros auf Kreta und damit in dem ältesten griechischem Tempel über- !
haupt. De Martino untersucht (10, 64 ff.) die eleusischen Gephyris- ]
men mit dem Ergebnis, daß die Brücke, die früher der Schauplatz !
ritueller Obszönität war, schließlich nur die Aufgabe des Pasquino in j
Rom erfüllte. Nilsson macht (ebd. lff.) zu der in Torre Nova gefundenen
und jetzt im Metropolitan Museum in Newyork befindlichen |
bacchischen Inschrift einige Bemerkungen und schildert die Entwicklung
dieser Mysterien überhaupt. Pestalozza behandelt (9, 171 ff.)
die noch nicht mannbaren Priester und Priesterinnen im Kult der Athena
und der Artemis und erklärt sie mit einem von ihnen vollzogenen I
ieqöc, yä[ioq. Mondolfo untersucht (ebd. 72 ff.) den Begriff der
göttlichen Unendlichkeit in den vorsokratischen Theogonien mit dem I
Ergebnis, daß ihn die Griechen schon damals nicht immer von der I
Vorstellung der Gottheit ausschlössen. Endlich Maryla Falk findet
(13, 166ff.) wenig wahrscheinlich den Ursprung der hellenistischen
Gleichung Logos-Anthropos in Indien, von wo sie durch buddhistische I
Mönche und Yogins nach dem vorderen Orient gebracht worden sei.

Was die römische und zunächst die vorrömische Religion betrifft, [
so zeigt Altheim (10, 125ff.), daß der ursprünglich nur den Süden
der bruttischen Halbinsel bezeichnende Name Italia das Land einer sich I
selbst nach dem Stiergott Mars Rinder nennenden Bevölkerung bedeutete
und daß der Stier in der ganzen altmediterranen Welt von Vorderasien
bis nach Spanien verehrt wurde. Die etruskische Bleitafel von Magliano I
erklärt (12, 186 ff.) Kluge als „eine Bescheinigung für den Toten für I
das Jenseits", die außerdem zum Avesta Beziehungen habe. Eine alt- !
italische Götterverbindung, wie Lua Saturni deutet Kerenyi (9, 17 ff.) als
Lua im Machtkreis des Saturnus liegend. Derselbe bringt (ebd. 120 ff.) j
die Ausdrücke satira und satura im Gegensatz zu der jetzt herrschenden i
Meinung wieder mit dem Griechischen adtupoc, zusammen. Die Juno
Caprotina, bezw. die Nonae Caprotinae erklärt Pestalozza (ebd. 38ff.) |
mit Hilfe eines von Frazer verglichenen afrikanischen Gebrauchs. Mar- [
gherita Guarducci zeigt (12, 25ff.), daß die auf Inschriften, die
bei Buschemi in Sizilien gefunden wurden, erwähnten Paides unterirdi- i
sehe Gottheiten waren und daß die auch von den Römern verehrte
Göttin Anna die Mutter bedeutete. Weinstock schildert (13, 10ff.)
unter der Überschrift „Römische Reiterparade" die Entwicklung des am j
15. Juli gefeierten Festes, das ursprünglich eine Ehrung der berittenen !
adligen Jugend darstellte, dann wohl mit einer Prüfung in der Reitkunst
verbunden wurde und schließlich zur Verherrlichung des kaiserlichen !
Hauses diente. Den Kaiserkult in den westlichen Provinzen selbst schil- I
dert Aline Abaecherli (11, 153ff.).

Endlich auf das Christentum beziehen sich zwei Artikel, in deren
erstem (13, 227ff.) Zolli die Episode mit den zwei Schwertern Luk.
22, 35 ff. sehr sonderbar mit einem von Jesus beabsichtigten, aber von J
den Jüngern mißverstandenen Wortspiel zwischen dem aramäischen sefa
(Ende) und saifa (Schwert) erklärt. Andrerseits Fresehi behandelt
(11, 41 ff.) nicht nur den venetianischen Mönch Girolamo Galateo (1490
bis 1541) und seine Selbstverteidigung vor dem dortigen Senat, sondern
die synkretistische Bewegung im italienischen Katholizismus überhaupt, j
Bonn.__ Carl Clemen.

Liboron, Dr. Herbert: Die karpokratianische Gnosis. Untersuchungen
zur Geschichte und Anschamingswelt eines spätgnostischen
Systems. Leipzig : Jordan & Gramberg in Komm. 1938. (58 S.) 8° = Studien
z. Religionswiss., hrsg. von Prof. Dr. F. R. Lehmann, Bd. 3. RM 1.95.

Eine kurze und übersichtliche Darstellung der wichtigsten
Punkte des karpokratianischen Systems, soweit
es aus den Quellen deutlich zu erkennen ist. Der Verf.
benutzt vor allem Clem. Alex, ström. 3,2,6—9. Die
Auseinandersetzung mit W. Schultz (Dokumente der Gnosis
. 1910) hat sich der Verf. zu leicht gemacht. Wer
die archäologische und literarische Bedeutung des Har-
pokrates auch für das beginnende hellenistische Christen-
tuim kennt, wird Sätze wie S. 12 f. nicht bejahen. Auch
bei der Behandlung des Epiphanesproblems hätte der
Verf. darauf hinweisen müssen, daß Epiphanes selbstverständlich
kultischer Deckname ist. Wie der Begründer
der Sekte wirklich hieß, ist einfach nicht mehr
auszumachen. Die Theologie, Kosmologie, Ethik und
Eschatologie wird nach den sicheren Quellen richtig
wiedergegeben, die platonische und christliche Linie
richtig erkannt. Doch ist im übrigen die religionsgeschichtliche
Begründung und Einordnung zu schwach
und nur an einigen Einzelheiten in Auswahl durchgeführt
. Was hätte sich z. B. alles zu S. 48 f. noch
sagen lassen und gesagt werden müssen! Aber als
Überblick ist die Studie brauchbar.

Königsberg_Carl Schneider.

Wilhelm II.: Das Königtum im alten Mesopotamien. Berlin:
W. de Gruyter& Co. 1938. (I, 46 S., 20 Abb., 1 Kte.) 8°. RM 2.40.
Unter dankbarer Berufung auf die Arbeiten von Fachgelehrten
(Böhl, Frobenius, Schott, von Soden
u. a.) und gelegentliche persönliche Beratung durch
Böhl legt Wilhelm II. hier die Auffassungen vom
Königtum dar, die etwa zwischen 3000 und 050 v. Chr.
im alten Mesopotamien geherrscht haben. Während der
ersten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. fühlten sich
die sumerischen Könige der Stadtstaaten im südlichen
Mesopotamien als Vertreter des jeweiligen Oottes; sie
repräsentierten ihm gegenüber das Volk, aber zugleich
diesem gegenüber den Gott. Es ist also eine auf dem
Prinzip der Universalität und Totalität aufgebaute Theo-
kratie, die hier zu beobachten ist, ein Prinzip, das sich
staatsrechtlich-sozial dahin auswirkt, daß alles Land als
Eigentum des Gottes gilt und in dessen Auftrag vom König
, dein „Amtmann Gottes", verwaltet wird. Von 2500
v. Chr. ab wird dies auf dem sakralen Königsgedanken
beruhende staatlich-soziale System unter dem Einfluß
andersartiger, kapitalistischer Gedanken, die aus dem
semitischen Nachbarlande Akkad nach Sumer eindringen,
mehr und mehr erschüttert, und in dem von dem mächtigen
Sargon von Akkad geschaffenen ersten mesopotami-
schen Weltreich ist die sakrale üemeinwirtschaft vollends
durch den privaten Grundbesitz und den Kapitalismus
verdrängt worden. Etwa 100 Jahre später legt aber
Gudea von Lagasch den Grund zu einer sumerischen
Renaissance, und diese erfährt unter der 3. Dynastie
von Ur ihre volle Entfaltung. Der zu ihr gehörende
König Dungi wird geradezu als Gott und Messias aufgefaßt
, und dieser Glaube ließ sich auch durch den Tod des
Königs nicht erschüttern; vielmehr erwartete man seine
Auferstehung und Wiederkehr. Eine neue Wende tritt
Um 2000 v. Chr. ein, als die semitischen Amoriter von
Nordwesten her nach Mesopotamien eindringen und das
bisher unbedeutende Babylon zur Hauptstadt ihres Reiches
erheben. Die größte Gestalt dieser ainoritischen
Dynastie ist Hammurabi, „der Despot eines Zeitalters
der Aufklärung", ausgezeichnet durch rechtlich-sozialen
Sinn und dessen praktische Betätigung. In religiöser
Hinsicht fühlte er sich als Diener seines Gottes Mar-
duk und als solcher vielleicht mehr auf die Seite der
Gottheit als der Menschheit gehörig. „Aber von einer
,Unio mystica', der mystischen Identifizierung zwischen
König und Obergott, wie diese der alten sumerischen
Weltanschauung innewohnte, ist beim Realpolitiker Hammurabi
und seinen Nachfolgern keine Rede mehr!". Um
1800 v. Chr. überfluten arisch-indogermanische Völker