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Ausgabe:

1939 Nr. 1

Spalte:

29-30

Titel/Untertitel:

Lebendige Seelsorge 1939

Rezensent:

Haun, Fritz

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Seite 1

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29 Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 1. 30

glaube nicht, daß der Verfasser hier dem Zeugnis des | lisch nennen? Oder besser: einen aus der Aufklärung

Neuen Testamentes voll gerecht wird. Aufs Ganze ge
sehen: das Buch ist für die christliche Gemeinde eine
wertvolle Hilfe bei der Klärung grundlegender Fragen

kommenden, zwischen den Konfessionen stehenden „unbewußten
Christen"?

Das bleibt ja das Schillernde in diesem Sammelwerk:

des Glaubens. wo ist die Grenze des Christ — d.h. hier: des Katho-

Breslau Johannes Schneider. I lischseins. Einzelne Aufsätze lesen wir Protestanten mit

__,_ 1 voller Zustimmung, andere wieder finden von uns aus

Meyer, Wendelin O. F. M., und Paschalis Ney er, o. F. M.: Leben- , ihr: Nein. Um des Evangeliums willen. Ein tiefes Ver-
dige Seelsorge. Wegweisung durch die religiösen Ideen der Zeit | stehen des Menschen von heute bringt Wust in seinem
für den Klerus deutscher Zunge. I.Band. Freiburg i. Br.: Herder & , Aufsatz: „Die geistige Situation Unserer Zeit". Ihr Kenn-
Co. 1937. (VIII, 368 S.) gr. 8°. RM 5.20; geb. 6.40. zeichen ist die „unstillbare Sehnsucht nach einer wahr-

Eine Fülle von Wissen und Arbeit, von Gelehrsam- haften Rückkehr zum Objekt". Kierkegaard, der „Pas-
keit und Gründlichkeit steckt in diesem Buch. Univer- cal des Nordens", und Heidegger und Jaspers regieren
sitätsprofessoren und Kirchenfürsten, Jesuiten und Fran- die Stunde. Sie können aber Antwort und Sicherheit
ziskaner haben in 17 Aufsätzen ein „Jahrbuch" der nicht geben. Sie wecken nur Sehnsucht. Auch Kierke-
heutigen katholischen Seelsorge geschrieben. Wie es bei gaard, bei dem die „theologia crueis" vorherrscht und
solchen Sammelwerken selbstverständlich ist, bleibt die 1 die „theologia gloriae" völlig hintansteht. Helfen kann
Art verschieden. Aufsätze von gründlicher Gelehrsamkeit nur ein „christlicher Realismus", wie ihn „betende
wechseln mit solchen, die mehr populär sein wollen, i Denker" von Piaton, dem „vorchristlich-christlichen Phi-
Einzelne betonen ganz scharf und eindeutig die confes- I losoph" bis zu Duns Scotus gegeben haben. Diese christ-
sionelle Abgrenzung und Andere sind von einer christ- liehe Existenzphilosophie gilt es heute „vorzuleben",
liehen Weitherzigkeit, die erstaunen läßt. Alle Gebiete, ', Das ist der Seelsorgerdienst am deutschen Volk. Sehr
die den einzelnen Menschen und ein Volk beeinflussen ! viel Beachtenswertes steht in Steinbüchels Aufsatz über
können, werden herangezogen. Bibel und Dogma, Pre- ' »die religiöse Situation der Zeit". „Der „Protest" ist
digt und Seelsorge, bildende Kunst und Literatur, Litur- heute ebenso fruchtlos wie ein „katholisches", das sich
gie und Kirche, ja Bevölkerungspolitik kommen zur Be- ' zum Synthetismus degradiert" (S. 73). Das Wichtigste
sprechung. Alles soll mithelfen, den Menschen von heute ist „die persönliche Frage: Was ist der Glaube mir,
„instaurari in Christo". Oder das Ziel zu erreichen, j dem Glaubenden selbst, und wie verpflichtet und bean-
das ein Aufsatz des Freiburger Professor Bopp ankün- ' sprucht er mich? Was bin ich, ich selbst vom Glauben
det: Kirchwerdung des Volkes und Volkwerdung der her, und was heißt es für mich, als Christ zu existieren
Kirche. Der christlichen Kirche, deren großer Antipode ' in dieser meiner Zeit und ihrer besonderen Situation"
der Bolschewismus ist, von dem Allgermisseu einen (S. 75). In dem Allen gehen wir Evangelischen weithin
sehr beachtenswerten Aufsatz beiträgt. Aber die „Christ- ! mit. nicht nur Emil Brunner und Georg Wünsch, denen
liehe Kirche" bleibt die päpstlich verfaßte katholische i Steinbüchel sich sehr nahe verwandt weiß (S. 72). So-
Kirche. So geht es letztlich im ganzen Buch um die J wie man aber den Aufsatz über „die Bibel als formen-
actio catholica, deren Patron — wie Paschalis Neyer ; des Element im Neuwerden des christlichen Lebens"
in seinem Aufsatz ausführt — der hlge. Franz ist. „Es | aufschlägt, beginnen aufs neue die Schranken. Bibelle-
wird kaum einen anderen geben, in dem das Bild Christi, ; sen ist nicht nur protestantisch, sondern immer katholisch
des Herrn, und die Lebensform des Evangeliums zu sol- j gewesen, eine Bibelbewegung ist gut — aber die Ge-
cher Ähnlichkeit und Klarheit ausgeprägt war wie in ! fahren sind so groß. Darum ist es „wichtig, sich zu
Franziskus. Wie er sich selbst Herold des großen j vergegenwärtigen, daß bereits die frühere Kirche bei
Königs nannte, wurde er mit vollem Recht auch als ; allem Eifer für die Schriftlesung doch die persönliche
lin anderer Christus bezeichnet. Denn der
menschlichen Gesellschaft seiner Zeit und allen kommenden
Generationen erwies er sich, als sei in ihm Christus
wieder lebendig geworden" (S. 254). In diesem Sinn

gilt es katholische Aktion d. h. Wille und Werk zu trei- sten heute die einzige Bibel, die sie noch lesen, noch
ben, daß im Menschen des heutigen Deutschland oder lesen können". (S. 129). „Die Bibellesung im Anschluß
noch besser: im neuen deutschen Volk das franziska- an einen priesterlichen Leiter stellt geradezu ein Merknische
Ideal verwirklicht werde. Darauf muß alle Arbeit nial der katholischen Bibellesung, verglichen mit der
in Predigt und Seelsorge ausgerichtet sein. Dazu müssen ! evangelischen, dar" (S. 129). Bibellesung des Katholiken
Musik und Buch, Liturgie und darstellende Kunst mit- 1 ist im Grunde Bibelpredigt oder Bibelvortrag durch
helfen. den Priester. Aber wichtiger ist noch ein Anderes:

Es gilt auf dieses Ziel hin eine „Erweckung" im , »,d'e dogmatische Schulung des Volkes" (S. 133—165).
katholischen Sinn in Deutschland anzufachen. So wie Das „Gehet hin in alle Welt und lehret das Evangelium
sie vor 100 Jahren in deutschen Landen war. Mit einer allen Völkern" bedeutet: die ganze Dogmatil« der katho-
lebendigen Schilderung dieser „katholischen Erneuerung lachen Kirche ohne Abstrich und ohne Umbiegung dem
vor 100 Jahren" des Bonner Fels schließt das Buch. Für- Menschen von heute mitteilen und ihn darin schulen,
stenberg und Overbeck, Görres und Sailer werden leben- Nur so entsteht Kirchwerdung des Volkes. Das ganze
dig und machtvoll geschildert und gepriesen. Männer , Buch wendet sich sehr scharf gegen allen religiösen
der Romantik — aber doch wie verschieden, der fromme, Individualismus, ja gegen jede „Privatreligion". Evange-
schlichtc, weitherzige Bischof Sailer und der streitbare, Hutn verlangt immer Gemeinschaft. Die läßt sich nur
kampflustige, dogmatisch gebundene „Athanasius", finden in der katholischen Kirche mit ihrem Bischofsamt
Welch eine Fülle von Verschiedenheiten — um nicht und ihrem Priesterstand, ihrem Kult und ihrer Dogmatik.
zu sagen: Gegensätzen. Und wenn das Ganze — und Ein Buch, das die ganze Schwere der heutigen Situa-

dainit das Buch — schließt mit einer Apotheose von tion sieht, aber Seite um Seite getragen ist von einem
Beethoven und Bruckner, dann stock ich beim Fort- starken Glauben an den Sieg des Christus, d. h. der
legen des Buches. Bruckner — ja wohl: katholischer katholischen Kirche. Ein Buch, das auch uns Evangeli-
Mvstikcr, der mit der Kunst des Unaussprechlichen sehen manches zu sagen hat und aus dem man für seine
das Dogma und Mysterium von Kirche und Sakrament Theologie und sein Pfarramt lernen kann, das einem
bis zu den Sternen hob. Aber Beethoven — der „um aber immer wieder sagt: Eine Strecke Weges können
Gott Ringende" — wie Fels richtig sagt (S. 368) — wir zusammengehen, dann aber kommen sofort die Geist
der wirkliche Typ des katholischen Menschen? Und gensätze. Die springen jedesmal auf, wenn irgendwo
seine missa solemnis Ausdruck bewußt katholischer mir das Wort: Kirche steht.

Frömmigkeit? kann man ihn nicht genau so gut evange- i Bonn.__F. Haun.

Bibellesung jedes Einzelnen nicht als heilsnotwendig
angesehen hat" (S. 126). Zu meinen, man müsse in seiner
Bibel zu Hause sein, um zum Heil zu gelangen,
ist Häresie (S. 128). „Wir Priester sind für viele Citri-