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Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

474-476

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bülck, Walter

Titel/Untertitel:

Die christliche Botschaft in der heutigen Welt 1939

Rezensent:

Langner, E.

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12

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dein ausdrücklich bestritten (Vgl. 1. Cor. 1,21; 2,6—14). Köm. 8,
16 wird von O. gänzlich mißverstanden.

Ein weiterer eng mit diesem zusammenhängender Fehler der
Schöpfungslehre des Verf. liegt in seiner Bestimmung des Verhältnisses
von Schöpfung und Sünde. Er hat sich hier den Weg durch eine falsche
Fragestellung verbaut. Es geht ihm darum, gegenüber den Tatbeständen
der Sünde „den Schöpfungscharakter des Menschen konkret
darzulegen" (S. 139). Er fürchtet, daß durch die Behauptung der
totalen Sündenbestimmtheit des menschlichen Daseins entweder die
Schöpfertätigkeit Oottes verkürzt oder Oott gar zum Urheber der Sünde
gemacht wird. Daruni möchte er durch die sündige Wcltgestalt,
die er durchaus anerkennt, hindurch die „in und unter dieser Gestalt
lebende, sie tragende Schöpfung" (S. 97) sehen. Er kennt zwar
keine Gebiete, die von der sündigen Weltgestalt nicht betroffen wären,
;iber er glaubt, auf jedem Gebiet Schöpfung und Sünde konkret
unterscheiden, gegen einander abgrenzen zu können. Sündenerkennt-
nil ist 'nur Sache der Erfahrung, nicht des Glaubens (S. 145/(6, 182).
In kritischer Auseinandersetzung mit der Sündenlehre der lutherischen
Bekenntnisse und der neueren Theologie kommt er zu dem Ergebnis:
Sünde ist nicht ein Sein, sondern allein ein Tun (S. 116). Der
Mensch ist Sünder nur, sofern er der schuldige Täter sündiger Taten
neben guten Taten ist. Das Personsein des Menschen ist Schöpfung
und wird von der Sünde als solches nicht betroffen. Die Tatsache,
daß alle Taten des Menschen sündig sind, die Unvermeidbarkeit der
Sünde, die gänzliche Unfähigkeit zum Guten, das servum arbitrium,
die „metaphysische" Wirklichkeit des Teufels werden ausdrücklich bestritten
(S. 125, 146, 186). Die kirchliche Erbsündenlehre schrumpft
zusammen zu der Behauptung der Allgemeinheit der Sünde, der
„Schuldgemeinschaft". Das Handeln des Menschen, das er in seiner
Personeinheit selber ist, ist „sowohl gut, als auch böse" (S. 136),
die Aktualität der ursprünglichen Gemeinschaft mit dem Schöpfer isl
nicht zerbrochen, sondern „gebrochen". Inhaltlich ist Sünde „Raub
am Geschaffenen" (S. 144) „Zerstörung des Geistseins" (S. 210)
durch den geschaffenen Geist, also ein „Privativum". Der Versuch,
Schöpfung und Sünde konkret gegeneinander abzugrenzen hat zu einer
ungeheueren Verflachung des Sündenverständnisses geführt, in dem sich
der Verf. mit der katholischen Auffassung, wenn nicht gar der pelagia-
nischen berührt, die totale Verurteilung des menschlichen Seins und
Inns ist relativiert. Die Sündenlehre des Verf. erweist sich als durch
und durch unbiblisch und bekenntniswidrig. Es überrascht dann auch
nicht mehr, wenn G. noch über E. Brunner hinausgehend die imago
Dei im Menschen auch inhaltlich als durch die Sünde „nicht aufgehoben
, wohl aber verdeckt und verdunkelt" (S. 185). ansieht. Es
wundert einen von da aus gesehen auch nicht, wenn nun gleichfalls
der articulus stantis et cadentis ecelesiae, die Rechtfertigungslehre
verfälscht wird: der Glaubende wird gerechtgesprochen um des Werkes
Christi willen, wobei neben dem Kreuz Christi „alles, was der Mensch
mit seiner Geschöpflichkeit, gerade auch soweit sie in gerechter Tat
lebendig ist, zu seiner Rechtfertigung positiv herzubringt" (S.187),
als „Gottes Schöpfergabe in Christus", aber doch als Grund des göttlichen
Freispruchs zu stehen kommt. Davon, daß unsere Gerechtig-
keil im Glauben eine iustitia extra nos ist, bei der weder die alte noch
die neue Geschöpflichkeit in Betracht kommt, weiß der Verf. nichts.
Der Fehler liegt schon im Ansatz. G. geht nicht vom Urteil Gottes
in seinem Offenbarungswort, sondern von der Empirie aus. Aber weder
die Geschöpflichkeit, noch die Sünde, geschweige denn unsere Gerechtigkeit
sind empirische Tatbestände, sondern werden Gott auf sein
Wort hin geglaubt, indem wir dem Urteil Gottes über uns als sündige
Geschöpfe recht geben — auch die Sündhaftigkeit wird dem Urteil
Gottes allein geglaubt — und die Zusage der Gerechtigkeit ausschließlich
um des Opfertodes Christi willen empfangen.

Der eigentliche Hintergrund der in diesem Buche
entwickelten Auffassung wird erst in dem Kapitel:
„Geist und Heiliger Geist" deutlich, nämlich die idealistische
Geistmetaphysik hegelscher Prägung. Hier zeigt
sich, daß die bewußte oder unbewußte Absicht des Buches
die theologische Legitimierung der idealistischen
Gottes- und Weltauffassung ist. Zwischen dem Schöpfergeist
und dem geschaffenen Geist, zwischen Gott und
Mensch besteht kein unbedingter Qualitätsunterschied,
sondern nur ein „relativer Modalitätsunterschied" (S.
200). Abgewiesen wird die subjektiv-idealistische dialektische
Identifizierung von Gott und Mensch im Sinne
Fichtes, nichtsdestoweniger wird aber ein „Einheitsmoment
zwischen Schöpfer und geschaffenem Geist" (S.
9) behauptet, der geschaffene Geist existiert als relativ
selbständiger Teil in der Einheit des Schöpfergeistes
und wird von ihr „umgriffen". Allein diese Teilhaftig-
keit, die Bedingtheit durch das Ganze des Schöpfergeistes
macht den „relativen Modalitätsunterschied" zwischen
Gott und Mensch in der Einheit aus. Ja, „im
Geist und Personsein des Menschen manifestiert sich

die Einheit, die zwischen dem Schöpfer und seiner
Schöpfung, zwischen Gott und Welt statthat" (S. 199).
Der Verf. scheut sich schließlich nicht, die letzte Konsequenz
aus seinem idealistischen Ansatz zu ziehen: den
Geistmonismus, er „muß die allerdings einzige, nämlich
die allein bewirkende Wirklichkeit des Geistes konsequent
bekennen" (S. 208 Anm.). Man fragt sich,
was unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch der
Schöpfungsgedanke bedeuten soll. Wenn damit mehr
gemeint ist als die dialektische Bewußtseinsentfaltung

! des Geistes, wenn die „Setzung" des geschaffenen Ich
in der Welt Wirklichkeit sein soll, so kann unter der
Voraussetzung des Geistmonismus und des „Einheitsmo-

| ments" zwischen göttlichem und geschaffenem Geist
Schöpfung nur noch als Emanation verstanden werden.

| Der idealistische spekulative Wirklichkeitsbegriff, den
G. hier voraussetzt, und der biblische Schöpfungsglaube

I schließen sich aus. Der Versuch, Gott und Mensch,
Gott und Welt unter einem Wirklichkeitsbegriff zusammenzufassen
, ist christlich gesehen Hybris der
menschlichen Vernunft. Die unbedingt-synthetische Geisteinheit
, an der das endliche Selbstbewußtsein teilhat
und die sein notwendiges Korrelat ist, als „Gott" ver-

j standen ist eine zum Götzen erhobene menschliche Idee,
nicht der lebendige dreieinige Gott der Bibel. Die Schrift
weiß von allen daraus gezogenen Folgerungen für das
Verhältnis Gott-Mensch, Gott-Welt nichts. Schließlich
besteht das Ziel der Schöpfung nicht in ihrer eschatolo-
gischen Endgestalt, nicht in einer Seins- oder Wertstei-

gerung der Schöpfung, sondern in der Herrschaft, der

[ Verherrlichung Gottes, die an der dienenden Schöpfung
geschieht. Die Achse des Geschehens von Schöpfung,
Versöhnung, Erlösung und Vollendung ist nicht das
Geschaffene, sondern die öo'Su Gottes. Dies ist das Ent-

| scheidende, was die Kirche zum Thema der Schöpfung
zu sagen hat.

Der beste Ertrag des Buches sind seine Ausführungen
zum Thema: Kirche und Staat, bei denen jene bedenklichen
theologischen Grundlagen etwas in den Hin-

, tergrund treten. Allerdings wird es weder notwendig
noch möglich sein, mit dem Verf. das heutige Staatsverständnis
als „Aktionsform des Volkes" (S. 91, 260)
von der Schöpfung her theologisch zu sanktionieren.

I Ebenso bedenklich ist es, wenn der Verf., jedoch mit

I einigen Vorbehalten, das „Volksgesetz" als „individuelles
Organ des Gottesgesetzes (S. 261) und als „Auslegung
und Konkretisierung des Gehorsams gegen das Gottesgesetz
" (S. 262) bezeichnet und der Meinung ist, daß
Christus die Völker als Ganzheit durch ihr Volksgesetz
zu sich ruft (S. 263). Christus hat die Völker von
jeher nur durch die Botschaft von ihm zu sich gerufen

i und ihnen damit Gottes Gesetz gegeben. Gottes Gesetz
wird aber nicht von der Welt her, sondern von dem

1 gegenwärtigen Herrn konkret ausgelegt.

Göttingen Werner W i e s n e r

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Bülck, Prof. D. Walter: Die christliche Botschaft in der heutigen
Welt. Leipzig: Leopold Klotz 1939. (76 S.) 8°. RM 1.80.
Der christlichen Verkündigung wird die Aufgabe neu
vor Augen gestellt, über den Inhalt des eigenen Glau-

I bensauftrages hinaus sich darüber Rechenschaft zu geben
, in welchen Denkformen dem neuen Weltbild ent-

| sprechend sie zu erfolgen habe, um überhaupt vom heutigen
Menschen als Botschaft verstanden werden zu können
. Solches zeitgemäßes Gegenwartsverständnis ist zwar
schon immer als ein Anliegen der Predigt erkannt wor-

i den; denn welcher Prediger wüßte nicht von den Erwartungen
und den Vorurteilen, die seiner Verkündigung
vorausgingen. Während aber in der Nachkriegstheologie
, besonders unter dem Einfluß der dialektischen
Theologie, solches Eingehen auf Zeittragen als Ablenkung
und Gefährdung der Glaubensexistenz verdächtigt
wurde, neigt man heute dazu, die morphologische Be-