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Ausgabe:

1939 Nr. 12

Spalte:

471-474

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gerstenmaier, Eugen

Titel/Untertitel:

Die Kirche und die Schöpfung 1939

Rezensent:

Wiesner, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1939 Nr. 12

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jede Gestalt der acht behandelten Denker mit einem Sonderthema
verknüpft wird, versucht er, aus ihnen grundsätzliche
und systematische Einsichten zu gewinnen, nämlich
das Wesen deutscher Denker, das der Untertitel als
„Zwischen Kritik und Imperativ" liegend bestimmt. Daß
der Protestant Luther den Deutschen ihre Sprache verkündigt
, gilt dem Verfasser als Gleichnis dafür, daß in
dieser Sprache das Pathos des Widerstandes zu Haus
ist. Der Einzelne vor Gott, das ist zuletzt das Thema
des lutherischen Protestes, der die Kraft in uns herausforderte
, jeden Einzelnen zu seiner Mächtigkeit rief. So
sieht Bense in Luthers „gefährlicher Religiosität" schon
das „gefährliche Leben" vorweggenommen, das Nietzsche
einmal verkünden sollte. Die Geburt einer neuen
Weltlichkeit aus dem Geiste seiner Religiosität erfährt
gleichfalls ihre Vollendung durch Nietzsche, indem er
den Leib als das Große verkündet und dien Einzelnen
sich abwenden läßt von Gott. Die Ohnmacht vor Gott,
die Luther und Kierkegaard predigten unct zu einer
Ohnmacht des Menschlichen überhaupt hatten werden
lassen, wird bei Nietzsche zur Macht, die ihrer möglichen
Größe gewiß wird. Nicht auf Erlösung mehr ist das
Dasein abgestimmt, sondern auf Wiederholung; das oberste
Gesetz heißt nun: der Erde treu zu bleiben, d. h. sich
beiden Mächten, Geist und Leben, Apollon und Dionysos
, auszusetzen, während der Epigone Klagcs in seiner
These vom Geist als Widersacher der Seele diesen Dualismus
preisgibt. Widerspricht also Klages der Verkündigung
der Macht und des Willens, so widerruft Spengler
jenen Glauben an das Zukünftige, dessen Nietzsche
so voll war. Aber trotz des bei Spengler sichtbar werdenden
Entschlusses zur Vitalität und Macht gelingt es
ihm nicht, ein klares Verhältnis zur Gegenwart zu finden,
die im neuen Staatsgedanken die ersehnte Macht und
Vitalität wirksam werden ließ. Das Rätsel dieser Un-
entschiedenheit zwischen Kritik und Imperativ löst Bense
durch den Rückgriff auf die menschliche Eigenart des
Denkers, durch die Aufdeckung der „existentiellen" Untergründe
seiner Philosophie, wofür Kierkegaard gleichsam
das Leitmotiv angeschlagen hat. Aber nicht nur damit
, daß er den Begriff prägte, den die jüngste deutsche
Philosophie, vor allem Heidegger und Jaspers, aufgriff
, sondern auch damit, daß er eigentlich das Abendland
vor das religiöse Entweder-Oder stellte, Christ zu
sein oder Antichrist, gehört Kierkegaard zu den geistigen
Vätern unseres Jahrhunderts.

Die einzelnen Darstellungen Benses sind ungleich in
Anlage und Wert, manche ziehen das Biographische so
stark in den Kreis der Betrachtung, daß die sachlichen
Zusammenhänge vernachlässigt werden; andere stellen
Sachzusammenhänge in den Vordergrund, wobei der betr.
Denker nur unter einem einzelnen Blickpunkt gewürdigt
wird, der eine perspektivische Verzeichnung bedeutet.
Aber im Ganzen bedeutet diese Vereinfachung der Linienführung
wie etwa bei dem abendländischen Prozeß
fortschreitender „Näherung an die vollkommene Verwirklichung
der Weltlichkeit des Menschen" und ihrer
Stadien „Denken, Glauben und Leben oder Geist, Demut
und Macht" eine Verführung zum Mit- und Nachdenken,
deren Reiz nicht zuletzt darin liegt, daß diese Ausblicke
in die Geistesgeschichte und der Fortgang der Gedanken
durch die Verknüpfung der einzelnen Denker Widerspruch
herausfordern. Aber daß deutsches Denken nicht
untergehe, dazu vermag das vorliegende Werk in ausgezeichneter
Weise beizutragen.
Quakenbrück H. Vorwahl

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Gerstenmaier, Lic Eugen: Die Kirche und die Schöpfung.

Eine theologische Besinnung zu dem Dienst der Kirche an der Welt.

Berlin: Furche-Verlag 1938. (285 S.) 8°. RM 6.60; geb. 7.80.

„Dieses Buch ist der Versuch, das Ja der Kirche
zu der Welt aus ihrem Bekenntnis zu dem dreieinigen
Gott zu begründen und neu zu vergegenwärtigen" (S.

5). So sucht der Verf. zu entfalten, daß die Welt auch
! in der Gestalt der Sünde Gottes Schöpfung bleibt,
daß Sünde ebenso als Verstoß gegen die Schöpfung wie
als Feindschaft gegen Gott zu verstehen ist, daß der
Mensch auch als Sünder nicht sein Menschsein verliert,
daß Christus als das fleischgewordene Wort in seine
Schöpfung als sein Eigentum kam, daß er der Herr
j nicht nur der einzelnen Seele, sondern der Schöpfung
| ist, daß die Rechtfertigung den Menschen frei macht
i zum Dienst in und an der Schöpfung, daß der Heilige
Geist die Erlösung der Schöpfung aus der Verkehrung
der Sünde bedeutet, daß die Kirche nicht nur der Fremdling
in der Welt der Sünde ist, sondern zugleich behei-
j matet in der Welt als Schöpfung Gottes, daß endlich das
i Reich Gottes nicht nur die Wiederherstellung der durch
die Sünde depravierten Schöpfung ist, sondern ebenso
das auch unabhängig vom Sündenfall gültige Ziel der
Schöpfung und ihre Vollendung. Wenn der Verf. dies
nach der Richtschnur des Wortes Gottes und unter Berücksichtigung
der wirklichen Problemlage unserer Zeit
dargestellt und begründet hätte, so wäre der Kirche damit
sicher ein großer Dienst getan. Leider ist aber die
Beantwortung der behandelten Fragen in mehr als einer
Hinsicht bedenklich und man wird bestreiten müssen,
daß die Lösung in der vom Verf. eingeschlagenen Richtung
zu suchen ist. G. hat Motive seines Lehrers Brun-
städ, von Lütgert, Althaus, E. Brunner u. a. in einem
selbständigen Gedankengang miteinander verwoben, wobei
er die Thesen dieser Theologen noch wesentlich zugespitzt
und radikalisiert hat.

Bedenklich ist es schon, daß der Verf. die Frage, ob nach dem
Sündenfall noch von der Welt als Schöpfung zu reden ist, mit der
anderen Frage verkoppelt, ob uns die Schöpfungs Offenbarung
auch nach dem Fall noch zugänglich ist. Mit der ersten wird auch
die zweite Frage vom Verf. leidenschaftlich bejaht. Die Schöpfung
Gottes in Natur und Geschichte, so wie sie im menschlichen Existenzbewußtsein
erfaßt wird, macht zusammen mit der Christusoffcnbarung
die Offenbarung in ihrer Ganzheit aus (S. 237). Die Schöpfungsoffenbarung
ist das Ziehen des Vaters zum Sohne im Sinne von Joh.
6, 44. In Christus wird der in der Schöpfung offenbare Gott „wiedererkannt
" (S. 241). Das Zeugnis des Hl. Geistes beruht auf dem
Zusammenklang der Stimme des Gottesgeistes mit dem Zeugnis des
Menschengeistes auf Grund der Schöpfungsoffenbarung. Dabei unterscheidet
sich G. von der deutsch-christlichen Auffassung darin, daß er
die Schöpfungsoffenbarung nicht in bestimmten geschichtlichen Ereignissen
, sondern in der Schöpfung als Ganzem finden will. Die Umsetzungen
von Raum und Zeit, in denen der geschaffene Geist als
,,Gestaltmoment" der Schöpfung in der Bewegtheit der ercatio continua
auf das Schüpfungsziel hin existiert, sind die bleibende allgemeine
Offenbarung. In der menschlichen Existenz dokumentiert sich die
Schöpfung als solche in den Schöpferordnungen Volk und Staat. Die
Schöpfungsoffenbarung ist dem Sünder zwar relativ verdunkelt, aber
er lebl in der natürlichen Wahrheitserkenntnis von ihr und kanii so
jederzeit auf sie rekurrieren, sie ist seine Fähigkeit, Gottes Offenbarungswort
in Christus zu vernehmen (S. 55), die „facultas appli-
candi se ad gratiam" (S. 218 Anm.). In der Christusoffenbarung
wird die allgemeine Offenbarung „aufgenommen und erfüllt" (S. 55).
Der Christusglaubc ist die Vollendung des Schöpferglaubens auf Grund
der allgemeinen Offenbarung, der das Korrelat des Selbstbewußtseins
im menschlichen Existenzbewußtsein ist (S. 36). Es ist erstaunlich
, wie wenig G., der doch von der Schrift her über die Schöpfung
reden will (S. 22 u. 29), das Schriftzeugnis über die Schöpfung in
seinem eigenen Zusammenhange untersucht und statt dessen die Schöpfungslehre
in philosophischer Spekulation deduziert. Schon im Alten
Testament steht die Schöpfung und Schöpfungsoffenbarung im Rahmen
der Heilstat Gottes an Israel und nicht selbständig daneben. G. hat
ebenso wie die meisten heutigen Verteidiger der natürlichen Offenbarung
übersehen, daß im neutestamentlichen Kerygma die Schöpfungsoffenbarung
ihre bestimmte Stelle in der Büß predigt hat und nur
dazu dient, um den Menschen durch den Hinweis auf die von ihm in
die Lüge verkehrte Schöpfungsoffenbarung unentschuldbar zu machen
(Rom. 1,20). Es ist aber nicht gesagt, daß die Heiden ihr unverständiges
Herz (Rom. 1,21) wandeln und in der Schöpfung noch den
Schöpfer finden könnten. Sic müssen bekennen, daß der Schöpfergott
ihnen unbekannt ist (Act. 17, 23 u. 30) und ihnen erst verkündigt
werden muß. In Jesus Christus wird uns nicht nur der Versöhner und
Erlöser, sondern zugleich der Schöpfer offenbar. Eben dies und nicht
etwa die Harmonie von Schöpfungs- und Erlösungsoffenbarung ist der
Sinn des kirchlichen Trinitätsdogmas. Daß das natürliche Wissen von
Gott gemäß der Schöpfungsoffenbarung die Voraussetzung zum inneren
Geisteszeugnis sei, wird von der Schrift nicht nur nicht behauptet, son-